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Mauricio Kagel dirigiert eigene Werke:
Kagel`s guide to the World Von Angela Mense und Sebastian Hanusa
Was nach Kagels Bearbeitung dabei herauskommt, ist ein "Ballet d'action" mit 18 Nummern, in dem das Material der Vorlage musikalisch und choreographisch neu zusammengestellt ist. Auch wenn im Funkhaus Halberg nur die konzertante Version des Stückes zur Aufführung kam, bot die Aufführung sehr viel Abwechslung, wobei auch das visuelle nicht zu kurz kam. Die Besetzung des Stückes besteht aus Streichern, meist einfach besetzten Bläsern, Gitarre, Harfe, diversen Tasteninstrumenten und drei Schlagzeugern. Hinzu kommen als Gesangssolisten eine Sopranistin und ein Tenor. Im gleichen Maße, in dem das Orchester zwischen Kammerensemble und symphonischer Besetzung angesiedelt ist, präsentiert sich auch das Satzbild. Neben Passagen polyphoner, fast kakophonisch anmutender Dichte finden sich zahlreiche Stellen, an denen einzelne Musiker solistisch hervortreten, in denen sich der Satz bis auf ein Duo, Trio oder Quartett ausdünnt. So wird schon mal eine einzelne Violine mit Blasinstrumenten gepaart, die Gitarre spielt im Duett mit einem Kontrabaß, das Cembalo mit der Tuba. In der Materialbehandlung werden Widersprüche und Heterogenität zum Prinzip erhoben. Die einstimmigen Melodien der Vorlage werden mit Poly- oder Atonalem kombiniert, in Fragmente zerlegt, neu kombiniert. Auch die rhythmischen Strukturen werden gebrochen und in einem neuen Kontext widersprüchlicher Elemente eingebaut. Atonalität und Tonalität werden miteinander und gegeneinander ausgespielt, es entsteht ambivalentes und - in Anlehnung an Kagels Intention - zeitloses Mosaik. Die entstehende Polyphonie der Linien und Stile, der historischen Ursprüngen und ihrer gegenwärtigen Reflexion ist dabei mal transparent und durchscheinend, mal kippt sie in eine komplexe Klangattacke auf den Rezipienten. Eingebettet ist die Weise in eine Polyphonie, die mal leicht und transparent, mal äußerst komplex erscheint. Dabei stehen die transparenten Passagen oftmals in der Nähe naiver Volksweisen, drängt sich eine Affinität zu volkstümlicher Straßenmusik auf. Müßte man einen Vergleich anstellen, so könnte man für jene Stellen Strawinskys Pulcinella-Suite anführen, was auch hinsichtlich der doppelten sowohl affirmativen, als auch reflexiven Materialbehandlung nahe liegt. Ein wichtiges Element des Stückes sind die zahlreichen ironischen Momente. Dazu leistet nicht zuletzt der Einsatz des Schlagzeugs einen wesentlichen Beitrag. Angefangen mit Xylophon über Papierseiten bis hin zu Vogelpfeife und Pistole kommen 36 verschiedene Klangerzeuger zum Einsatz. So kann man dankbar über plötzlichen Regenfall oder Wasserrauschen lachen und sich über die Undurchschaubarkeit und Komplexität des Vorgetragenen erheben. Aber vielleicht ist diese Komik mehr als nur das Entgegenkommen eines Komponisten, der dem Zuhörer den Zugang zur neuen Musik erleichtern will. Gelacht wird über einen Bruch mit bestehenden Hierarchien: In die unangefochtene Autorität der klassischen Musik bricht so ein harmloses Vogelzwitschern und entlarvt die Kunst als Lüge. Ursprünglich wird die Zeitlosigkeit durch die Choreographie und den damit verbundenen Auftritt der unterschiedlichsten Berufe und Charaktere unterstrichen. In Saarbrücken reduzierte sich das Szenische auf den gelegentlichen Auftritt von Solosopran und -tenor. Dabei zitieren die beiden Figuren Fragmente aus der Weltliteratur. Hier erweist sich die intendierte Zeitlosigkeit nach und nach als Problem. Im Vorwort der Partitur spricht Kagel in Bezug auf die Choreographie von einer "Anleitung zu einer Gesamtcollage [...], wo die Grenzen zwischen den Sparten so durchlässig sind, dass weitere Entdeckungen - aus der unmittelbaren Umgebung, Geschichte, Fiktion, Literatur - einmontiert werden können". Hinsichtlich der beiden Gesangspartien droht hier die Gefahr einer Überlastung des Konzepts. Man könnte meinen, der Komponist wolle die ganze Welt umarmen. Dieser Anspruch erscheint überheblich. Gleichzeitig ist dieses Vorhaben allein organisatorisch nur in Fragmenten möglich. Der Anspruch des Enzyklopädischen und seine zwangsläufige Begrenztheit treten zusammen auf.
Im zweiten Teil des Abends kamen die Duodramen von 1998 zur Aufführung. Diesmal greift der Komponist als zu bearbeitendes Material auf vorgefundene Texte zurück. Es handelt sich um Balladen und Moritaten aus dem 17., 18. und 19. Jahrhundert, die stark gekürzt und neu zusammengesetzt von Sopran und Bariton musikalisch in Szene gesetzt werden. Gehen die gesanglichen Partien in "Tantz-Schul" im Gesamtklang des Orchesters auf, so stehen sie in "Duodramen" im Vordergrund. Hier Anachronismus, was vorher Zeitlosigkeit war. In sechs voneinander unabhängigen Szenen treffen sich Figuren wie Indira Gandhi und Casanova, Henry Ford und Cosima Wagner, Alma Mahler-Werfel und Dschingis-Khan.
Insgesamt gesehen sind beide Kompositionen unheimlich dicht komponierte Werke, die es dem Hörer nicht immer leicht machen, der Klangarchitektur eine gewisse Struktur zu entnehmen. Auch der Komponist selbst schien teilweise überfordert, das Orchester an diffizilen Stellen zu führen. Durch die szenische Darstellung in den Duodramen wird einem allerdings die Orientierung erleichtert. Während die gesanglichen Partien in Tantz-Schul weitgehend in den Orchesterklang aufgehen, bilden sie hier eine eigene Dramaturgie, die durch das Stück führt. Nicht zuletzt ist es der ausdrucksstarken Darstellung des Baritons Roland Hermann zu verdanken, dass das Publikum von den heiter bis grotesken Dramen gefesselt wurde.
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- Fine -