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Glänzende Aufführung von Hans
Krásas Kinderoper Brundibar
Von Norbert Göbbel
Üblicherweise verbinden große und kleine Leute mit dem Gedanken an "Klassische Musik" immer nur eines: Langeweile. Solche Konzerte sind normalerweise "laut", "langweilig", und es treten dort alte Frauen auf, die gräßlich schreien, aber so tun, als sängen sie wie eine Nachtigall. Außerdem laufen dort immer nur alte Menschen herrum, so fern sie sich überhaupt noch auf den Beinen halten können. Doch wie so oft, ist bei dem Konzert von Thomas Honickel alles anders. Nicht, daß nicht auch Opa und Oma im Publikum säßen, aber in der Hauptsache sitzen die jungen Mamas und Papas sichtlich vergnügt auf den bis in die letzte Reihe besetzten Stühlen - und eine Menge Kinder in der Mitte des Mendelssohn-Saales der historischen Stadthalle Wuppertal. Alles ist anders? Nicht alles - der Anspruch, eine hervorragende musikalische Qualität, in Verbindung mit dem Willen, nicht nur zu unterhalten, sondern auch über das dunkelste Kapitel deutscher und damit europäischer Geschichte zu informieren und Kinder an sie heran zu führen, steht demjenigen "großer" Sinfonieorchester in nichts nach.
Noch bevor man den Saal erreicht hat, ist klar, daß
es sich hier nicht um eine Veranstaltung mit
Sesamstraßencharakter handelt: In einer Installation
mit zerbrechlichen Kinderschuhen aus Papier zeichnet
Ulrike Oeter den Weg der Kinder von Theresienstadt
nach: aus dem ersten Stock in den Keller, ins
Nirgendwo.
Dann beginnt sie endlich, die zweiaktige Kinderoper "Brundibar" des im KZ ermordeten Prager Komponisten Hans Krása (1889-1944), hier mit einem deutschen Text von Adolf Hoffmeister. Krása schrieb diese Oper noch vor dem Einmarsch deutscher Truppen in Prag, dort wurde sie in einer geheimgehaltenen Aufführung in einem Waisenhaus 1941 uraufgeführt. Bekannt wurden erst die zahlreichen Aufführungen (ca. 55) zwischen September 1943 und September 1944 im von den Nazis als "Muster-KZ" geführten KZ Theresienstadt. Dienten diese Aufführungen den braunen Machthabern auch nur als Propagandamittel, um auf höchst perfide Weise die Weltöffentlichkeit über ihre wahren Absichten zu täuschen - für die Kinder im KZ Theresienstadt boten sie doch die Möglichkeit, ein bißchen Kraft und Hoffnung zu schöpfen.
Die Story selbst ist schnell erzählt: Pepicek und
Aninka wollen für ihre kranke Mutter Milch kaufen. Was
tun? Ihr Vater ist lange tot und sie haben keinen
Pfennig Geld in der Tasche. Da sie nicht stehlen
wollen, versuchen sie es, dem Leierkastenmann
Brundibar nachzutun. Sie singen ihr Lieblingslied.
Aber die Erwachsenen hören die Kinder gar nicht, weil
ihre Stimmen nicht laut genug sind. Schließlich
werden sie sogar vom neidischen Brundibar vom
Marktplatz vertrieben. Der Oper vorangestellt hat Herr Honickel aber einen Prolog: Zwei Jungen der Gegenwart treffen sich zum Briefmarkensammeln. Dabei tauchen altmodische Marken auf, einer der Jungen berichtet von seinem Opa, der ihm von der Zeit erzählt habe, als diese Briefmarken modern - und der Opa selbst noch Kind gewesen sei. Die anwesenden Kinder werden anschaulich in die Problematik der Zeit des Nationalsozialismus eingeführt, sie erfahren, daß es sich nicht um alten "Kram" handelt, sondern um lebendige Geschichte, die ihr eigener Opa einst mitgemacht hatte, als er so alt war, wie sie es jetzt sind.
Auch zwischen den beiden Akten ist ein Intermezzo
eingeschaltet, das sich mit der Verknüpfung von
nationalsozialistischem Terrorregime von einst und den
heutigen fremdenfeindlichen Anschlägen, wie in Mölln
oder Solingen geschehen, beschäftigt. Herr Honickel
weiß im Gespräch geschickt die Brücke vom Einst zum
Jetzt zu schlagen und die Kinder mit unserem heutigen
Rassismusproblem vertraut zu machen.
Aus musikalischer Sicht tut sich der Chor zu Beginn
etwas schwer, sich gegen vollverkabelte und
higtechverstärkte Solisten und das professionell
agierende Orchester durchzusetzen. Vielleicht sind die
Chorkinder auch noch ein wenig gehemmt - das verfliegt
aber bald.
Das Bühnenbild von Steven Rundle und Joan Mokroß zeichnet sich durch professionelle Einfachheit und viel Liebe zum Detail aus: Ein Podest, eine Trennwand, ein paar Straßenlaternen und das Panorama, auf dem sich bei Tage die Häuser der Stadt und bei Nacht zusätzlich ein perfekt leuchtender Mond und funkelnde Sternen zeigen. Das Fazit der Oper - gemeinsam sind wir stark und wir werden sogar den bösen Brundibar (alias Adolf Hitler) besiegen - kommt ohne Einschränkung beim begeisterten Publikum an. Nach der Wiederholung des Wiegenliedes, zum Andenken an die Kinder von Theresienstadt, bekommen die Kinder beim Verlassen des Mendelssohn-Saales jeder noch eine Briefmarke. Den darauf abgebildeten "bösen König" Adolf Hitler sollen sie ganz dick durchstreichen und auf dem Weg zum Ausgang wegschmeißen. Auch den Erwachsenen wird der Weg gewiesen: die Papierschuhe der Kinder aus Theresienstadt. Ein Konzert mit klassischer Musik einmal anders, nicht langweilig, sondern be- und ergreifend. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
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