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1. November 2001
Historische Stadthalle Wuppertal


Hans Krása
Brundibar

Julia Fuckert(Pepicek)
Ronja Brandt (Aninka)
Rachel Bilger (Brundibar)
Sarah Schulz (Spatz)
Dorothee Foede (Katze)
Christina Schmidt (Hund)
Yannick Bartsch (Milchmann(frau))
Viktoria Küpper (Polizist(in))
Caroline Lünenschloss (Eismann(frau))
Sarah Lünenschloss (Bäcker(in))
Katernberger Kinderchor (Einstudierung Angelika Küpper)
Kid's Klassik Kinderchöre Wuppertal & Leichlingen (Einstudierung Thomas Honickel)
Junge Philharmonische Orchester Wuppertal
Leitung: Thomas Honickel

Glänzende Aufführung von Hans Krásas Kinderoper Brundibar


Von Norbert Göbbel


Wie interessiert man seinen Nachwuchs für Geschichte und klassische Musik?
Thomas Honickel zeigt uns, daß beides überaus spannend sein kann: In der Wuppertaler Stadthalle kam Hans Krásas Kinderoper "Brundibar" zu einer glänzenden Aufführung.

Üblicherweise verbinden große und kleine Leute mit dem Gedanken an "Klassische Musik" immer nur eines: Langeweile. Solche Konzerte sind normalerweise "laut", "langweilig", und es treten dort alte Frauen auf, die gräßlich schreien, aber so tun, als sängen sie wie eine Nachtigall. Außerdem laufen dort immer nur alte Menschen herrum, so fern sie sich überhaupt noch auf den Beinen halten können.

Doch wie so oft, ist bei dem Konzert von Thomas Honickel alles anders. Nicht, daß nicht auch Opa und Oma im Publikum säßen, aber in der Hauptsache sitzen die jungen Mamas und Papas sichtlich vergnügt auf den bis in die letzte Reihe besetzten Stühlen - und eine Menge Kinder in der Mitte des Mendelssohn-Saales der historischen Stadthalle Wuppertal. Alles ist anders? Nicht alles - der Anspruch, eine hervorragende musikalische Qualität, in Verbindung mit dem Willen, nicht nur zu unterhalten, sondern auch über das dunkelste Kapitel deutscher und damit europäischer Geschichte zu informieren und Kinder an sie heran zu führen, steht demjenigen "großer" Sinfonieorchester in nichts nach.

Noch bevor man den Saal erreicht hat, ist klar, daß es sich hier nicht um eine Veranstaltung mit Sesamstraßencharakter handelt: In einer Installation mit zerbrechlichen Kinderschuhen aus Papier zeichnet Ulrike Oeter den Weg der Kinder von Theresienstadt nach: aus dem ersten Stock in den Keller, ins Nirgendwo.
Als Thomas Honickel auftritt, wird zunächst herzlich das Publikum, aber besonders natürlich die zahlreichen Kinder begrüßt. Er bedankt sich außerdem bei den Eltern der Kinderchorkinder, die die Dekoration mitgestaltet haben. Selbst der Generalintendant der Wuppertaler Bühnen, Gerd Leo Kuck, würde wohl vor Neid erblassen.

Dann beginnt sie endlich, die zweiaktige Kinderoper "Brundibar" des im KZ ermordeten Prager Komponisten Hans Krása (1889-1944), hier mit einem deutschen Text von Adolf Hoffmeister. Krása schrieb diese Oper noch vor dem Einmarsch deutscher Truppen in Prag, dort wurde sie in einer geheimgehaltenen Aufführung in einem Waisenhaus 1941 uraufgeführt. Bekannt wurden erst die zahlreichen Aufführungen (ca. 55) zwischen September 1943 und September 1944 im von den Nazis als "Muster-KZ" geführten KZ Theresienstadt. Dienten diese Aufführungen den braunen Machthabern auch nur als Propagandamittel, um auf höchst perfide Weise die Weltöffentlichkeit über ihre wahren Absichten zu täuschen - für die Kinder im KZ Theresienstadt boten sie doch die Möglichkeit, ein bißchen Kraft und Hoffnung zu schöpfen.

Die Story selbst ist schnell erzählt: Pepicek und Aninka wollen für ihre kranke Mutter Milch kaufen. Was tun? Ihr Vater ist lange tot und sie haben keinen Pfennig Geld in der Tasche. Da sie nicht stehlen wollen, versuchen sie es, dem Leierkastenmann Brundibar nachzutun. Sie singen ihr Lieblingslied. Aber die Erwachsenen hören die Kinder gar nicht, weil ihre Stimmen nicht laut genug sind. Schließlich werden sie sogar vom neidischen Brundibar vom Marktplatz vertrieben.
Die Kinder sind sehr traurig, jetzt wird es auch noch dunkel! Zum Glück sind sie nicht allein: eine Katze, ein Hund und ein Spatz kommen ihnen zu Hilfe. Gemeinsam üben sie ein Lied ein, das sie am Morgen auf dem Marktplatz vortragen. Die Erwachsenen sind begeistert und spenden viel Geld. Auch als Brundibar ihnen dieses Geld stehlen will, sind Kinder und Tiere gemeinsam auf der Hut: Sie verfolgen den bösen Dieb und überwältigen ihn.

Der Oper vorangestellt hat Herr Honickel aber einen Prolog: Zwei Jungen der Gegenwart treffen sich zum Briefmarkensammeln. Dabei tauchen altmodische Marken auf, einer der Jungen berichtet von seinem Opa, der ihm von der Zeit erzählt habe, als diese Briefmarken modern - und der Opa selbst noch Kind gewesen sei.

Die anwesenden Kinder werden anschaulich in die Problematik der Zeit des Nationalsozialismus eingeführt, sie erfahren, daß es sich nicht um alten "Kram" handelt, sondern um lebendige Geschichte, die ihr eigener Opa einst mitgemacht hatte, als er so alt war, wie sie es jetzt sind.

Auch zwischen den beiden Akten ist ein Intermezzo eingeschaltet, das sich mit der Verknüpfung von nationalsozialistischem Terrorregime von einst und den heutigen fremdenfeindlichen Anschlägen, wie in Mölln oder Solingen geschehen, beschäftigt. Herr Honickel weiß im Gespräch geschickt die Brücke vom Einst zum Jetzt zu schlagen und die Kinder mit unserem heutigen Rassismusproblem vertraut zu machen.
Manchmal ist es freilich nicht ganz einfach, den roten Faden beizubehalten, wenn beispielsweise ein Kind mit dem Namen der Stadt Solingen nicht den furchbaren Anschlag, sondern - zum Glück möchte man trotz allem sagen - den eigenen ganz tollen Aufenthalt im dortigen Schullandheim verbindet.

Aus musikalischer Sicht tut sich der Chor zu Beginn etwas schwer, sich gegen vollverkabelte und higtechverstärkte Solisten und das professionell agierende Orchester durchzusetzen. Vielleicht sind die Chorkinder auch noch ein wenig gehemmt - das verfliegt aber bald.
Den Streichern des Jungen Philharmonischen Orchesters Wuppertal gelingen sogar die Pizzicati perfekt, ein Kunststück, das den Wuppertaler Sinfonikern in der Vergangenheit nicht immer geglückt war. Nur die Trompete tut sich einige Male etwas schwer, was aber nicht weiter ins Gewicht fällt.

Das Bühnenbild von Steven Rundle und Joan Mokroß zeichnet sich durch professionelle Einfachheit und viel Liebe zum Detail aus: Ein Podest, eine Trennwand, ein paar Straßenlaternen und das Panorama, auf dem sich bei Tage die Häuser der Stadt und bei Nacht zusätzlich ein perfekt leuchtender Mond und funkelnde Sternen zeigen.

Das Fazit der Oper - gemeinsam sind wir stark und wir werden sogar den bösen Brundibar (alias Adolf Hitler) besiegen - kommt ohne Einschränkung beim begeisterten Publikum an.

Nach der Wiederholung des Wiegenliedes, zum Andenken an die Kinder von Theresienstadt, bekommen die Kinder beim Verlassen des Mendelssohn-Saales jeder noch eine Briefmarke. Den darauf abgebildeten "bösen König" Adolf Hitler sollen sie ganz dick durchstreichen und auf dem Weg zum Ausgang wegschmeißen. Auch den Erwachsenen wird der Weg gewiesen: die Papierschuhe der Kinder aus Theresienstadt. Ein Konzert mit klassischer Musik einmal anders, nicht langweilig, sondern be- und ergreifend.




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