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Berliner Philharmonie
20. März 2003

Die Jahreszeiten


Überzeugende Aufführung von Haydns Oratorium

Von Kilian Vollmer


Die Jahreszeiten von Joseph Haydn erfuhren vergangene Woche in der Berliner Philharmonie eine erstklassige Aufführung durch die Berliner Philharmoniker unter der Leitung ihres Chefdirigenten Sir Simon Rattle sowie dem RIAS-Kammerchor und herausragenden Gesangssolisten.

In diesen Tagen werden viele, wenn nicht alle Konzertbesucher mit den Gedanken beim begonnenen Irak-Krieg sein und so wandte sich Sir Simon, wie der neue Chef der Berliner Philharmoniker von Musikern und Publikum liebevoll genannt wird, am Donnerstag Abend auch vor Beginn der Aufführung an das Publikum und sagte (sinngemäß und in Auszügen):
"Liebe Konzertbesucher, liebe Freunde. Eigentlich spreche ich nicht vor einem Konzert. Aber an einem Tag, an dem ein Krieg beginnt, ist es mir ein Bedürfnis. Wenn so etwas passiert, fühlen sich Musiker schnell hilflos und wissen nicht, was sie tun sollen. Im tiefsten Innern strebt das Werk von Haydn nach Frieden und so hoffen wir, dass Sie die Aufregungen zumindest für eine Weile vergessen können und etwas spüren von dem Geist des Werkes."
Diese Worte trafen wohl genau das, was viele Zuhörer dachten und so nahmen sie es sehr dankbar auf, dass die Künstler nicht einfach zur Tagesordnung übergingen.

Die Jahreszeiten standen und stehen wohl immer noch, wenn man einen Blick auf die Rezeptionsgeschichte wirft, im Schatten der bekannteren und öfters aufgeführten und auf CD gebannten Schöpfung. Es lassen sich allerdings einige Bezüge aufzeigen und Gottfried van Swieten plante das Werk darüber hinaus als zweiten Teil eines Tryptichons, dessen dritter Teil die Darstellung des Jüngsten Gerichts werden sollte.

Gemeinsamkeiten haben beide Oratorien schon in der Entstehungsgeschichte: Die zwei Werke entstanden kurz hintereinander, im Auftrag derselben Mäzene, hatten denselben Librettisten und erlebten ihre ersten Aufführungen im gleichen Rahmen. Dennoch sind "Die Jahreszeiten" keine zweite Schöpfung, wie Haydn selbst betont, den "in dem einen sind die Personen Engel, in dem anderen sind sie Bauern." Die Solisten der Jahreszeiten treten aber nicht als handelnde Personen auf, sondern als Betrachter, die als Kommentatoren den Blick lenken auf den Menschen im Verhältnis zu einer Natur, in der überall Gott zum Ausdruck kommt.
Somit hat man es nicht, was zunächst auch denkbar wäre, mit plakativer Naturschilderung zu tun. Haydn schreibt keine Programmmusik im engsten Sinn, obgleich er das Werk spickt mit instrumentatorischen Effekten, die zeigen, wie raffiniert und aufregend seine Musik ist. Fische wimmeln, der Hahn kräht, Glocken schlagen und das Gewitter im Sommer ist auch ein spürbares, alles geschieht aber auf dem Hintergrund einer friedlichen Natur, die immer ein Gleichgewicht fordert.
Die Musiker setzten diese Lautmalereien so überzeugend um, hielten die komponierte dramatische Spannung über drei Stunden wirklich bis zum Schluss, so dass sie auf wunderbare Art und Weise den Geist des Stückes trafen.

Das Orchester spielte neben der gewohnten und erwarteten Präzision mit einer auch sichtbaren Lust, die das Zuhören wirklich zum Genuss machte. Man hat wirklich selten die Möglichkeit, so leuchtende Streicher, butterweiche Holzbläser (Extralob von Rattle auch an Solo-Oboist Albrecht Mayer) und kraftvolle Blechbläser zu erleben.
Dazu kam ein Chorklang, der in seiner Intensität und Fülle allein schon ein Erlebnis war. Wenn der Chor mit etwa 50 Sängern zahlenmäßig auch nicht stark besetzt war, so war die Textverständlichkeit und besonders der Sound, der die Zuhörer immer wieder in Wogen umhüllte, schlichtweg beeindruckend.

Großes Lob auch an die hochkarätigen Solisten. Durchweg überzeugend ihre warmen, runden und leuchtenden Stimmen mit einem jeweils sehr angenehmen und der Szene angepassten Timbre. Wenn Haydn die Sänger auch nicht als handelnde Personen agieren lässt, so hatte man als Zuhörer doch immer den Eindruck, dass es sich um individuelle Persönlichkeiten handelt.

Als ein Beispiel für viele sei nur die Arie des Simon kurz vor Schluss erwähnt, in der der Pächter auf sein Leben zurückblickt und so der Jahreskreis der Natur zum Sinnbild des menschlichen Lebens wird. Wenn dies dann von Thomas Quasthoff mit seinem fülligen, kräftigen Bariton, der völlig mühelos den ganzen Saal zum Klingen bringt, vorgetragen wird, dann muss dem Zuhörer ein kalter Schauer über den Rücken laufen.
Seine Fähigkeit, Text nicht einfach nur deutlich zu artikulieren, sondern dem Publikum das Gefühl zu geben, er lebt seine Rolle in dem Moment und ist, wenn der Frosch quakt, wirklich ein Frosch, ist wohl einzigartig und macht ihn auch in Gesellschaft so vieler Weltklasse-Künstler wie an diesem Abend zu etwas Besonderem.

Sehr überzeugt haben aber auch Ian Bostridge als Tenor und Christiane Oelze als Sopran. Der smarte Engländer verkörperte die Rolle des Lukas sehr treffend mit makellos weicher Stimme, wenn man auch den Eindruck haben konnte, dass ihm die letztjährige Rolle als Evangelist in der Bachschen Johannespassion noch etwas besser lag.
Einfach schön anzuhören war der runde, leuchtende Sopran der Oelze, der auch in hohen Lagen niemals angestrengt oder forciert wirkte.

Nach Claudio Abbado, der im Blick auf die Ausrichtung und das Selbstverständnis des Orchesters schon einige Neuerungen durchgesetzt hatte, scheint Deutschlands Spitzen-Ensemble mit seinem neuen künstlerischen Leiter weiter auf einem Reformweg zu schreiten, der die Musiker zu immer neuen Zielen führt. So konnte Sir Simon einmal mehr mit seiner enorm vielfältigen künstlerischen Kompetenz überzeugen. Sein unglaublich starkes Charisma scheint auf Musiker wie Publikum gleichermaßen elektrisierend zu wirken.

Es wurde intensiv und mit Freude musiziert, so dass man den Eindruck haben musste, es könnte gar nicht anders, geschweige denn besser sein. Alles in allem lässt sich sagen, dass das Berliner Publikum eine perfekte Aufführung der Jahreszeiten erleben durfte. Alle Beteiligten hatten für sich schon Weltklasse-Niveau, wurden durch Sir Simon nochmals animiert und so ging dessen eingangs geäußerter Wunsch in Erfüllung, die Zuhörer mögen den Alltag für eine Weile vergessen und den Frieden, den die Jahreszeiten ausstrahlen, spüren.


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Programm:

Joseph Haydn
Die Jahreszeiten
Oratorium für drei Solostimmen,
Chor und Orchester Hob. XXI:3

Text: Gottfried van Swieten
nach The Seasons von James Thomson


Christiane Oelze, Sopran
Ian Bostridge, Tenor
Thomas Quasthoff, Bariton

RIAS-Kammerchor,
Einstudierung Morten Schuldt-Jensen
Berliner Philharmoniker

Leitung: Sir Simon Rattle





Da capo al Fine

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