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München, Herz-Jesu-Kirche
2. Konzert der Reihe "Paradisi Gloria - Altes Testament und Psalm im 20. Jahrhundert"
7. März 2003

Münchner Rundfunkorchester


Tallis - Einstrahlungen für großes Orchester von Peter Ruzicka in der Konzertreihe "Paradisi Gloria"

Von Ingo Schüttke


Das 2. Konzert der diesjährigen "Paradisi Gloria"-Reihe des Münchner Rundfunkorchesters, die sich den Vertonungen alttestamentarischer Themen im 20. Jahrhundert verschrieben hat, spannte einen Bogen von der Überlieferung des maßlosen babylonischen Herrschers Belsazar bis hin zu einer klang- und kraftvollen Psalmvertonung Alexander Zemlinskys.

Die viersätzige Orchestersuite von Jean Sibelius, die Zusammenfassung einer Schauspielmusik für ein seiner Zeit überaus erfolgreiches Bühnenstück von Sibelius´ Zeit- und Landesgenossen Hjalmar Procopé, bezieht sich auf die Szenen rund um das biblisch überlieferte nächtliche Gastmahl auf dem Herrscherschloss, bleibt aber die eigentlich lehrreichen Szenen der mysteriösen Prophezeiung und der anschließenden Ermordung des Heidenkönigs schuldig. Dafür werden die beiden in die Handlung nachträglich integrierten Frauengestalten, ihr Werben um den König, dessen Verliebtsein und der Tod der einen durch einen Schlangenbiss in eindrucksvoller Lautmalerei zu Ohren gebracht. Besonders umwerfend ist dabei - im ersten Satz - Sibelius´ Fähigkeit, mit seiner eigenen Tonsprache täuschend gutes orientalisches Kolorit zu entwerfen.

Den eigentlichen Zentralpunkt des Konzerts und gleichzeitig einen großen Kontrast zu den beiden Rahmenwerken aus dem 20. Jahrhundert bildete das Doppel aus einer Renaissance-Motette für acht fünfstimmige Chöre und den unmittelbar daran anschließenden Einstrahlungen für großes Orcheste des Dirigenten Ruzicka. Einen Kontrast in zweierlei Hinsicht: zunächst der Kontrast im Hörempfinden, war doch mitten in einem Konzert über Musik des vergangenen Jahrhunderts die 400 Jahre alte Musik des Engländers Thomas Tallis in all ihrer Andersartigkeit "eingeblendet". Tatsächlich nur eine Einblendung - denn im nachhinein, d.h. mit Beginn des Stückes von Peter Ruzicka, erschien diese lediglich noch als eine Art Quellenangabe und Verständnishilfe für das nun Kommende.

Und das nun Kommende war der nächste Kontrast: Ruzickas Einstrahlungen versuchen die Musik von Tallis in eine moderne Klangsprache umszusetzen und verzichten dabei sogar auf den Chor. Dies ist ein zutiefst persönliches Unterfangen, auf das der Komponist schon bei der Wahl des Titels hinweist - es geht nicht mehr primär um die alttestamentarische Textgrundlage des "Spem in alium", sondern es geht um "Tallis", den Komponisten selber und die Empfindungen, die dessen Musik auf Ruzicka verursacht hat. Dieser Subjektivität konnte sich auch der Konzertbesucher immer wieder versichern, hatte doch gerade zuvor jeder ein anderes Erlebnis der Renaissance-Musik gehabt und wird daher nicht jeder durchweg mit Ruzickas "zweiter Interpretation" einverstanden gewesen sein.

Die teilweise noch lange nach dem Konzert andauernden kontroversen Diskussionen haben in eindrucksvoller Weise gezeigt, dass Ruzicka mit Tallis - Einstrahlungen für großes Orchester ein bedeutsames Stück zeitgenössischer Musik geschaffen hat. Dennoch erscheint auch dies erwähnenswert: Ruzickas Stück ist ein musikalisches Stück Reflexion über Musik, eigentlich Beitrag zu einem Diskurs über Kunst. Der Hintergrund der Tallisschen Musik und damit auch das auch heute noch unmittelbar Wirkende des "Spem in alium nunquam habui, prater in te, Deus Israel" ist verloren gegangen. Von daher ist Ruzickas Werk keine unmittelbare Musik, sondern typisch für die Intellektualität der Postmoderne, die das Kunstschaffen und die Reflexion darüber auf eine Stufe stellt - Musik aus zweiter Hand eben. Bezeichnend in diesem Zusammenhang ist ein Zitat Ruzickas zum Entstehungsprozess: "Rezeption und kompositorische Produktion bedingten einander und ließen die Musik aus der Zeit gleichsam heraustreten."

Absolut souverän und präzise spielte das Münchner Rundfunkorchester. Dem Rundfunkchor Berlin, der dankenswerter Weise zu Gast in Herz Jesu war, lagen die Klanggewalten Zemlinskys deutlich mehr als die Welt alter Musik, wenn auch das Durch-den-Raum-Wandern der Stimmgruppen in der Tallis-Motette eindrucksvoll umgesetzt wurde. Ich freue mich bereits auf weitere Abende, hoffentlich gleichfalls voller Kontraste, im Rahmen der Reihe "Paradisi Gloria"!


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Programm

Jean Sibelius
Belsazars Gastmahl,
Suite für Orchester op. 51

Thomas Tallis
Spem in alium nunquam habui
für 40-stimmigen Chor a cappella

Peter Ruzicka
Tallis - Einstrahlungen für großes Orchester

Alexander Zemlinsky
13. Psalm für Chor und Orchester op. 24


Wieland Schmied, Sprecher
Rundfunkchor Berlin
Münchner Rundfunkorchester

Leitung: Peter Ruzicka







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