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9. Oktober 2002
Lavoir du Carreau-Wendel, Petite-Rosselle


Jan Sandström: Indri / Cave Canem
Sergej Prokofiev: Violin-Konzert Nr. 5
Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 1 "Der Titan"

Nikolaj Znaider, Violine
Königlich Philharmonisches Orchester Stockholm
Leitung: Alan Gilbert

Der Star ist die Mannschaft

Das Königlich Philharmonische Orchester Stockholm zu Gast in Petite-Rosselle

Von Sebastian Hanusa

Mit ausgefallenen Gastspielen bietet die Forbacher Scène National "Le Carreau" immer wieder interessante Alternativen zum Saarländischen Kulturbetrieb. Oftmals setzen die unkonventionellen Programme einen Kontrapunkt zur latenten Provinzialität der Saarmetropole, bewahren herausragende Gastspiele die Wahrnehmung vor selbstzufriedener Gemütlichkeit.

Kathartisch in letzterem Sinne war das Gastspiel des königlich schwedischen Sinfonie-Orchesters unter seinem jungen Chefdirigenten Alan Gilbert: Größte Musikalität, Präzision und eine atemberaubende Klangsensibilität zeichneten das Orchester aus, ließen den Gedanken an müde Orchester-Routine gar nicht erst aufkommen. Das Zusammenspiel der Musiker in den anspruchsvollen Stücken des Programms verriet eine fast blinde Vertrautheit, Tutti-Passagen als auch kammermusikalische Stellen vermittelten den Eindruck, den Gestaltungswillen jedes einzelnen Musikers. Bei aller Perfektion war der Eindruck jedoch nicht der eines gesichtslosen Hochglanzprodukts. Hierzu ist der außerordentlich runde Gesamtklang des Orchesters viel zu charakteristisch, hebt sich vom Mainstream vieler Einspielungen positiv ab.

Zum Auftakt des Konzerts erklang Jan Sandströms Orchesterwerk Indri / Cave Canem. Das Stück, 1988 als Auftragswerk zum 75sten Geburtstag des Orchesters geschrieben, ist eine klangvollen Demonstration von dessen musikalischer Qualität. In zwei sehr rhythmisch betonten Eckteilen war es die mitreißende Interpretation der treibenden Strukturen, in dem an Filmmusik erinnernden, lyrischen Mittelteil der satte Streicherklang, mit welchem die schwedischen Musiker überzeugten.

Im folgenden, fünften Violin-Konzert von Sergej Prokofiev wurden diese Qualitäten um eine weitere ergänzt: Durch das gänzlich selbstverständliche, schlafwandlerisch sichere Zusammenspiel mit dem Solisten Nikolaj Znaider.
Letzterem eine glanzvolle Karriere als Virtuose vorauszusagen, scheint nicht übertrieben. Außergewöhnlich war die Selbstverständlichkeit, mit der er das an Einfällen überschäumende, dabei aber ganz auf den Virtuosen zugeschnittene und diesen mit einer Unzahl an spieltechnischen Höchstleitungen fordernde Konzert vortrug.
Dabei ist seine Tongebung gänzlich von einer Eleganz höchster Kultiviertheit getragen, die mit der Virtuosität der Komposition, der bis ins letzte Detail ausgefeilten Instrumentation Prokofievs sich auf beste ergänzt. Im Zusammenwirken mit der erwähnten Begleit-Kultur des Orchesters, die sich besonders in durchhörigen, kammermusikalischen Passagen zeigte, entstand eine Interpretation von ungewöhnlicher Güte.

Indem sich Dirigent Alan Gilbert mit einer der vornehmsten Aufgaben des Orchesterleiters ausgezeichnet hatte - der gelingenden Begleitung eines Solisten-Konzerts, der hier verlangten mitgestaltenden Unterordnung -, hätte seine große Stunde mit der abschließenden Interpretation von Mahlers erster Sinfonie schlagen sollen. Leider wurde auch hier die Orchesterkultur in den Vordergrund gestellt; was indes Prokofievs virtuoser, wenngleich eher verspielter Kompositionweise entgegenkommt, scheiterte an der mahlerschen Sinfonik.
Während die Naturidylle des ersten Satzes, der Bauerntanz des zweiten oder der ironische Trauermarsch des dritten naive Verspieltheit suggerieren, verfiel Gilberts der Gefahr jener eindimensionalen Interpretation, die Mahler schon zu Lebzeiten den Vorwurf der Trivialität eingetragen hatten.
Wenngleich "musikantisches" Material verarbeitet wird, impliziert dies keine musikantische Umgangsweise. Vielmehr offenbart sich erst hinter und durch das Banalen dessen Brüchigkeit, Fragwürdigkeit und Negativität. Erst die immanente Spannung zwischen verwendetem Material, sinfonischer Großform und einer latenten Negation beschreibt das Wesen mahlerscher Musik.
Hiervon war leider nicht immer etwas zu spüren. Gilberts Interpretation flüchtete zu sehr in die Welt jenes schönen Scheins, vernachlässigte hierüber das erwähntes immanente Potential des Stückes. Es fehlte an Grundspannung, die Absurdität der sinfonischen Großform wurde ins niedliche verkleinert, dort wo sich das Stück in eine Transzendenz zu brechen droht, herrschte ein Übermaß an vorzüglicher Handwerkskunst.

So war es insgesamt das Erlebnis eines ausgezeichneten Klangkörpers, dessen Potential im Mahler leider nicht zur Gänze ausgeschöpft wurde, der das Konzert eindeutig zu einem Einzigartigen im Musikleben der Region gemacht hat.


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