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Beethovenhalle Bonn
27. September 2003

Internationales Beethovenfest Bonn 2003


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Brilliante Zweite Wiener Schule

Von Ralf Jochen Ehresmann


Das diesjährige Beethovenfest bietet in seinen 54 Veranstaltungen auch neun Orchesterkonzerte, die auch wieder den Schwerpunkt der Berichterstattung im Online Musik Magazin definieren. Unter diesen bot das Philharmonische Staatsorchester Hamburg sicherlich das mutigste Programm, da es das Motto dieser Festspielrunde "Beethoven und die Zweite Wiener Schule" ernst nimmt, dabei aber nicht "nur Beethoven" bringt, überhaupt auf altbewährte Zugnummern ganz verzichtet und stattdessen "nur" den anderen thematischen Schwerpunkt bedient, indem jedem der drei Vertreter des Neuen Wien je ein Programmteil gewidmet ist.

Zunächst erklangen Weberns Sechs Stücke op.6 in einer unerhört zarten Aufführung, wogegen die anfängliche Unschärfe der Trompeten entschuldbar bleibt. Das schließt die immense Klimax in Stück IV ausdrücklich ein, die nur daher so organisch sich auftürmen konnte, ohne falsch und aufgesetzt zu wirken, weil vor- und hinterher der Rahmen stimmte. Hier wurde idealtypisch vorgeführt, welch ein misterioso entstehen kann, wenn ein großer Apparat tutti ppp spielt und dabei selbst der Gong so leise mitklingt, dass man sich fragen möchte, ob er wohl angehaucht oder -gestreichelt worden sein mag.
Langsam und leisem also wieder in Entsprechung zur Grundhaltung des ganzen opus, verklang der letzte Ton so überraschend unerwartet, dass man auch dann noch stutzte, wenn man es eigentlich vorher wusste.

Danach ergriff Dirigent Ingo Metzmacher das Mikrophon und gab die verheißene Werkeinführung, in deren Zusammenhang er auf das "geheime Programm" Bezug nahm, das Webern Schönberg einst übermittelt hat. Und da das Ganze in all seiner flüchtigen Hauchigkeit zusammen keine Viertelstunde gedauert hat, gaben Metzmacher und seine Hamburger ihre Zugabe gleich hier und wiederholten Weberns op.6 unmittelbar.

Nach einer weiteren Einführung folgten Alban Bergs Bruchstücke aus Wozzeck, wo Berg einmal mehr seine "Fortsetzung der Romantik mit anderen Mitteln" betreibt. Konkret ging es um die Propagierung der neuen Oper noch vor deren Uraufführung auf dem Umweg über den Konzertsaal, welches Verfahren so ungewöhnlich nicht war. Der besondere lyrische Ton, ohnehin Bergs persönliches Merkmal innerhalb seiner Gruppe, schlägt auch hier wieder deutlich durch, und schon das 1.Bruchstück spielt souverän mit der Nähe heterogener Klangerzeugungen, denn das Umtata der Militärcapelle prägt, deren rhythmischer Schwung auch im Gesang vernehmbar bleibt und damit die Nähe zu den parallel entstehenden Schöpfungen des deutschen Musiktheaters - viel näher als beispielsweise zu Schönbergs Moses und Aaron - veranschaulicht.

Allen 3 Meistern gemein: die Verweigerung der geschlossenen Form als Vorwegnahme der späteren Kritik am Werkbegriff führt zu offenen Schlüssen, deren Finalcharakter nach Abhandenkommen einer Schlusstonika ohnehin anderweitig herzustellen wäre, wofür Berg besonders gerne jenes unsagbar zarte Verklingen wählt, welches auch diesen Satz beenden durfte.
Das 2.Bruchstück bringt Maries Reflexion über ihren unglücklichen Stand und dessen gefühlte Sündhaftigkeit. Kristine Ciesinski konnte hier zugleich ihre melodramatischen Fertigkeiten ausspielen, eine fast unerwartete Erweiterung des Dargebotenen angesichts ihrer sonst festen klaren Stimme, die mit angenehm wenig Vibrato auskommt und nur in höheren Lagen darauf zurück kommt. Sie aber meisterte das Eine so gut wie das Andere und zeigte minimale Abstriche nur dort, wo sie in den höchsten Registern nicht mehr durch ein lautes Orchester hindurch drang. Dem wechselnden Hintergrund aus stechenden Bläsertönen v.a. bei den Trompeten oder im piccolo zumeinen oder dem gesättigten Raumklang der tiefen Streicher vermochte sie sich gleichermaßen anzuverwandeln. Deren auratische Stimmung gestaltete auch den Anfang des 3.Fraktums, dessen allmählich einsetzende Klimax organisch bis zu jenem gewaltigen Geboller anschwillt, vor dessen Hintergrund die kindlichen "Hopp, hopp!"-Rufe vom Finale der Oper nach einer lang abfallenden Linie der Holzbläser einen scharfen Kontrast und ein um so abrupteres Ende stiften, welcher Schock hier im Konzertsaal nicht minder mächtig wirkt als auf der Opernbühne.

Schönbergs Erwartung op.17, das er selbst als Monodram bezeichnet und dessen szenische Realisierung kaum anders als mit filmischen Mitteln denkbar scheint, wurde von Metzmacher als das erste komplett abstrakte Werk eingeführt, wie es am Klavier gar nicht komponierbar wäre, zumal die Farbigkeit der Orchesterklänge hier nicht mehr bloß variatives Stilmittel und somit rein akzidentell ist, sondern quasi als Vorwegnahme der Prinzipien seiner späteren Erben in der seriellen Schule ihrerseits mitzugestaltendes Parameter auf der Bedeutungsebene des Werkes selbst geworden ist.
Marie Pappenheims Dichtung führt in vielen Kurzsentenzen, die oftmals über bloße Emphasen nicht hinausgehen, durch das Wechselbad einer Frau von erheblichen Stimmungsschwankungen, die in Erwartung eines Mannes in den Wald geht, um dort wartend festzustellen, dass er bereits dort liegt - wenn auch schon halb überwuchert. Dabei vermeidet der Text jede Eindeutigkeit über den Realitätsgehalt dieses Fundes, und eindeutig ist lediglich ihre nicht mehr beherrschbare Reizüberflutung, die in eine Melange aus fragmentierter Phantasmagorie und erkaltetem Fieberwahn eingemündet zu sein scheint.1 Ob also die permanenten Stimmungsschwankungen dieser wenig zielstrebigen Dame ausschließlich auf Vorgängen im Inneren ihres Hirnes beruhen, bleibt formal offen und unentschieden, doch legt die hektische Charakterisierung der "Erwartenden", die in der knappen halben Stunde ungefähr 50mal ihre Meinung ändert, den Verdacht nahe, der "Erwartete" tat womöglich gut daran, sich derartiger Zuneigung durch Verwesung zu entziehen. Kristine Ciesinskis Verdienst ist es nun, diese an Dramatik kaum mehr steigerbare Aufregung ausschließlich mit ihrer Stimme transportiert zu haben, zumal jegliche szenische Hilfe fehlte. Wendig changierte sie zwischen den Stimmungen und legte sich souverän steil in die Kurven des Gemütes, indem sie zwischen Rufen, Singen, Sprechgesang und sogar Schreien den blanken Expressionismus angemessen transportierte. Solide in allen Lagen mit guter, wenn auch nicht exorbitanter Artikulation, hielt sie ihr Vibrato angenehm begrenzt auf extreme Höhen, und nur in der Tiefe wäre vielleicht etwas mehr Temperament hilfreich. Am besten gelungen waren demnach die leisen und halblauten Stellen sowie ihr starker Flüsterton, der auch bis weit nach hinten noch verständlich gewesen sein dürfte. Mit wachsendem Orchesterschwall hatte sie es allerdings schwer, darüber hinaus zu kommen. Verdienter Applaus - authentische Begeisterung!

Fazit: Von solchen Konzerten müsste es mehr geben, wollte man ernst machen mit dem Vorsatz, breitere Kreise an jene Musik heranzuführen, die "so fürchterlich neu", also noch nicht mal 100 Jahre alt ist.


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Programm

Anton von Webern
Sechs Stücke op.6

Alban Berg
Drei Bruchstücke aus Wozzeck

Arnold Schönberg
Erwartung op.17




Kristine Ziesinski, Sopran
Philh.Staatsorchester Hamburg

Leitung: Ingo Metzmacher







Da capo al Fine

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