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Kölner Philharmonie
8. Dezember 2003

Orchestra of the Age of Enlightenment


Simon Rattle begeistert das Publikum mit seiner Schumann und Brahms Interpretation

Von Ralf Jochen Ehresmann


Das Orchestra of the Age of Enlightenment ist seit seiner Gründung 1986 als besonderer Anwalt der Anliegen der Historischen Aufführungspraxis unterwegs und gelangte im Rahmen dieses damals um Etablierung ringenden Unterfangens schon frühzeitig über dessen engsten Radius hinaus. So verwundert es heute kaum noch, wenn dieser Klangkörper mit einem Doppelprogramm zur Deutschen Romantik aufwartet.

Ganze zwei Abende mit Brahms und Schumann, einer sinfonisch, der andere auf Chorwerke programmiert, möchten bei bloßer Lektüre der Ankündigung recht einseitig klingen, ehe man durch das 40-seitige Programmheft auf die besondere Innigkeit der Verbindung dieser beiden Komponisten - wenn auch nur während weniger Jahre - hingewiesen wurde, und mit diesem Wissen im Hinterkopf meinte man beinahe, Werke nur einer einzigen Tonsprache zu vernehmen. Wenn es also darum ging, die Wirkmächtigkeit dieser Koalition im Geiste real zu dokumentieren, so ist diese Rechnung voll aufgegangen.

Eingeleitet wurde der Abend durch die tragische Ouvertüre op.81, die zugleich den Grundstock für alles Folgende legte. Schon der typisch herbe Klang der alten bzw. nach alter Art neu gebauten Instrumente betont ganz material die unlyrische Grundhaltung des Werkes. Dem tut auch die vergleichsweise kleine Besetzung keinen Abbruch, die sich vom romantisch geprägten Riesenorchester auffällig weit zurückhält. Vielmehr verstärkt die dunkle Klangtönung den grüblerischen Impuls der hier besonders introvertierten Behandlung des thematischen Materials, das sich ohnehin überwiegend aus einem einzigen Inhalt speist.

Schumanns Violinkonzert aus dem opus posthumum war das einzige Werk des Programms, das Simon Rattle aus Noten dirigierte, was auf seine Weise den unverdient geringeren Bekanntheitsgrad dieses Werkes veranschaulichte. Aus heute kaum noch nachvollziehbaren Beweggründen haben Schumanns Nachlassverwalter - und also auch Johannes Brahms - befunden, dieses Werk sei den anderen Schöpfungen seines Erfinders nicht ebenbürtig und seine Veröffentlichung daher zu vermeiden. Thomas Zehetmair hinterließ den Eindruck, als sei er eigens dazu angetreten, die Falschheit dieser Einschätzung zu belegen. In meisterlicher Beherrschung seines Geschäftes durchzog er das Werk, dessen Makrostruktur eher dürftigen Zusammenhalt stiftet, mit Verbindungslinien eigener Art, die sich v.a. seiner Fähigkeit zur Anpassung an die akustische Düsternis des Orchesters verdankten.

Mit herrlichem piano-Ton füllte er den riesigen Raum völlig aus, ohne an Stärke zu verlieren, was nur funktionieren kann angesichts des hohen Synthesegrades zwischen Orchester und Solist, woran sich wiederum dessen veränderte Aufgabenstellung in diesem apokryphen Werk nachvollziehen lässt, die ihm auch nicht eine Kadenz zuweist und stattdessen die Hauptlast der thematischen Arbeit anvertraut. Im 2.Satz ließ er ein endloses Lamento vernehmen, das wie ein Traum vom verlorenen Glück daherkam und damit zugleich einen Kontrast zum anschließenden Schlusssatz mit seinem finaltypisch beschwingteren Tonfall bot, dessen technische Hürden Zehetmair bravoureus bewältigte. Damit hat er ein rundum überzeugendes Ergebnis als Gesamtleistung abgeliefert, das die betont unorthodoxe und zugleich gediegene Aufmachung seiner Personwie auch die spürbare Begeisterung des Publikums bestens rechtfertigte.

Die Haydn-Variationen op.56a sind unzweifelhaft eines von Brahms' bekanntesten Orchesterwerken, zumal die Originalversion für Klavier nur äußerst selten anzutreffen ist. Entgegen dem Originalitätsanspruch, der sich mit der Historischen Aufführungspraxis verbindet, entschied sich Simon Rattle hier für eine Herangehensweise, die dem romantischen Ideal weitgehend folgte und also den organischen Gesamtzusammenhang des Werkes hervorkehrte, anstatt auf nähere Analyse des variativen Gehaltes seiner Einzelteile zu orientieren. Es entstand ein Höreindruck aus einem Guss, der auch das Finale mit der überhöhenden Reprise nicht als affirmative Coda hintanfügte sondern organisch an das zuvor entwickelte Spektrum anschließen ließ: eine sinfonische Interpretation ganz ohne Satzform.

Diese war auch in Schumanns Sinfonie IV op.120 nur indirekt erkennbar, von der eine Frühfassung gebracht wurde, deren schroff zerrissene Gestalt Schumann in der Folgezeit zu jenen glättenden Eingriffen veranlasste, denen sich die sonst zumeist anzutreffende Endfassung verdankt. Mit ihrer durchgehenden Form ohne Absatz betont auch sie den Charakter des Zusammenhanges alles scheinbar Getrennten und liegt also schon kompositions-programmatisch auf derselben Linie.
Rattles Wahl der frühen Fassung kehrte nun quasi dagegen die Aporien hervor, in denen Schumanns revolutionäres und bis dato bespielloses Unterfangen steckte, indem es die zahlreichen Brüche und v.a. Abbrüche zum beredten Schweigen bringt, diesen Fluss des großen Bogens und dieser Frühform der "Unendlichen Melodie" mit permanenten Rissen konfrontiert und damit nicht zuletzt in der Nähe des Brahms'schen Tonfalls die Antizipation des Bruckner-Prinizips inkludiert.

Mit ständig neuen Bravo-Wellen bedankte sich ein begeistertes Publikum für einen beeindruckenden Konzertabend, der außer Hörgenuss auch nennenswert neue Einsicht in strukturelle Zusammenhänge der Musik und ihrer Geschichte zu vermitteln wusste.
Nicht unerwähnt bleibe das beachtliche Niveau des Doppelprogrammheftes, dessen Beitrag exquisiten sprachlichen Stil mit einer ausnehmenden Tiefe und gedanklichen Dichte zu verbinden weiß.


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Programm

Johannes Brahms
Tragische Ouvertüre
d-moll, op.81

Robert Schumann
Konzert für Violine und Orchester
d-moll op. posth.

Johannes Brahms
Variationen für Orchester
B-dur, op.56a über ein Thema von Joseph Haydn

Robert Schumann
Sinfonie Nr. 4 d-moll, op.120


Thomas Zehetmair, Violine

Orchestra of the Age of Enlightenment

Leitung: Sir Simon Rattle





Da capo al Fine

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