Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Konzerte
Zur Homepage Zur Konzert-Startseite E-mail Impressum



„Ein' feste Burg ist unser Gott“

2. Sinfoniekonzert des hr-Sinfonieorchesters


29.09.2005
Alte Oper Frankfurt
Großer Saal
Homepage

Alte Oper Frankfurt
(Homepage)
Sternstunde mit Mendelssohn

Von Claus Huth

Felix Mendelssohn Bartholdy: ein jugendlicher Genius, dem exzellente Musik nur so zuflog ist. So will es das Klischee. Stimmt aber nicht, wie Christopher Hogwood zu berichten weiß: Nicht weniger als vier Versionen etwa fertigte Mendelssohn von der Konzert-Ouvertüre „Das Märchen von der schönen Melusine“ op.32. Hogwood, der zurzeit an einer kritischen Ausgabe der Mendelssohn-Ouvertüren arbeitet, dirigierte in Frankfurt am Main die allererste davon, die es so gut wie nie zu hören gibt. Von der auch nicht sonderlich häufig, aber doch öfter gespielten letzten Fassung unterscheidet sie sich signifikant: Zwar ist das musikalische Material das Gleiche, aber der ganze Aufbau der Komposition ist urwüchsiger und weniger elaboriert. Bei den Wellenmotiven des Anfangs (die übrigens Richard Wagner für sein „Rheingold“ klaute) fanden Hogwood und das Orchester noch nicht recht zusammen: Der Klang wirkte dünn und matt. Aber man spielte sich warm, während musikalisch die Geschichte der Meerjungfrau Melusine, die (eine Art weiblicher Lohengrin) ihrem Geliebten verboten hatte, nach ihrer Herkunft zu fragen, schrecklich enttäuscht wurde von der Neugier des geliebten Grafen Lusignan, der schließlich doch fragte. Melusine kehrte tief betrübt ins Reich der Meerjungfrauen zurück wie Lohengrin zum Gral – im Unterschied zu diesem fragte Graf Lusignan aber nicht gleich in der Hochzeitsnacht, sonder erst, nachdem ihm die Nixe in Menschengestalt zehn Nachkommen geschenkt hatte. Hogwood wählte eine mittelgroße Streicherbesetzung, und die antiphonale Aufstellung der Violinen ermöglichte es den vielen Wellen, die in dem Stück plätschern, höchst apart von links nach rechts und wieder zurück zu schwappen. Spannung kam aber so recht nicht auf während der Dauer, und große Momente hatte die Interpretation nicht recht. Höchst interessant immerhin, dieser Fassung im Konzertsaal zu begegnen. Der Start: nett, aber nicht viel versprechend.

Große Momente hatte aber dann Imogen Cooper, die eine raffinierte, poetische Deutung des A-Dur Konzerts KV 488 von Mozart bot. Hogwood reduzierte die Streicherbesetzung auf ein für den großen Saal der Alten Oper noch akzeptables Minimum und so gelang es, den zurückhaltenden, fast transzendenten Klang von Coopers Klavierspiel optimal mit den Streichern und den Holzbläsern zu mischen. Gewiss mag es manche Besucher des Künstlergesprächs mit Hogwood vor dem Konzert („Musik im Gespräch“ ist ein regelmäßiges Angebot vor den Sinfoniekonzerten des hr-Orchesters) erstaunt haben, dass er selbst diese Mischung mit dem modernen Flügel sehr schätzt. Hogwood gehört zu den Pionieren der sogenannten „Historischen Aufführungspraxis“ und verschreibt sich mit seinem Ensemble „Academy of ancient music“ der Aufführung klassischer Werke auf Instrumentarium der Entstehungszeit der Stücke. So hat er gemeinsam mit dem Pianisten Robert Levin etliche Mozart-Klavierkonzerte eingespielt und dabei historische Hammerflügel verwendet, die sich klanglich doch deutlich vom modernen Flügel unterscheiden. Die Offenheit, mit der er im Gespräch über die Klangmöglichkeiten eines modernen Flügels spricht und warum er diesen auch bei Mozart schätzt, spricht für den Engländer – und sie passt zugleich sehr gut zur Offenheit des hr-Orchesters, das unter Hugh Wolff regelmäßig mit Dirigenten der historischen Aufführungspraxis zusammenarbeitet. Hogwood bot mit der kleinen Orchesterbesetzung einen prächtigen Boden für Coopers außerordentliches Spiel, der Sensation dieser Mozart-Deutung. Nicht die Pranke, auch nicht der emotionale Furor der im vorherigen Sinfoniekonzert geladenen Hélène Grimaud war ihre Sache, sondern die ebenmäßige, genau durchdachte und exakt phrasierte Wiedergabe der Noten, die sie mit einer enormen Intensität aufladen konnte. Der Mittelsatz des Konzertes, der Coopers Ansatz zweifellos am meisten entsprach, bannte das Frankfurter Publikum so sehr, dass selbst die notorischen Huster nicht wagten, die Ruhe und melancholische Stimmung zu durchbrechen. Über der schieren Schönheit dieser Aufführung konnte man vergessen, dass von der Programmgestaltung her vielleicht eines der Mendelssohn-Klavierkonzerte eher gepasst hätte.

Wer hätte in der Pause erwartet, dass dies noch überboten werden würde durch Hogwoods Interpretation der „Reformations-Sinfonie“ von Felix Mendelssohn Bartholdy? Heute als seine fünfte nummeriert und mit der Opuszahl 107 versehen, ist das 1830 komponierte Werk eigentlich Mendelssohns zweite Sinfonie – und wenn es nach dem Schöpfer selbst gegangen wäre, würden wir das Stück heute gar nicht kennen. Diese „jugendliche Jugendarbeit“ hielt Mendelssohn für so missraten, dass er sie am liebsten verbrannt hätte. Hat er aber nicht, und posthum wurde das Stück veröffentlicht. Gott sei dank!, ist man versucht auszurufen, denn so glutvoll interpretiert wie von Hogwood und den hr-Sinfonikern wäre vielleicht auch der Komponist selbst überzeugt worden, dass er hier keinen Stuss zusammengeschrieben hatte. Hogwood ging die Sinfonie grundsätzlich mit schnellen, im Finale rasanten Tempi an – nur die langsame Einleitung, die das „Dresdner Amen“ zitiert, dass auch Wagner in seinem „Parsifal“ verwendete, ließ er sich so langsam entwickeln, dass der Kontrast zum darauf folgenden „Allegro von fuoco“ gewaltig war. Und dieses Allegro con fuoco brach förmlich los, toste entfesselt in den Raum, ein mächtiger Satz, konfliktreich, kämpferisch, aggressiv. Die hr-Musiker ließen sich von Hogwood zu großer Form antreiben: knackig das Blech, die Streicher höchst homogen, die Holzbläser exzellent – was wäre aus der „Melusine“ geworden, wenn das Orchester dort schon so losgelegt hätte!? Dass die vier Sätze der Sinfonie stark verschränkt sind, betont Hogwood, indem er so gut wie pausenlos durchspielen ließ: Kein nennenswerter Schnitt trennte das typisch Mendelssohn'sche Allegro vivace des zweiten Satzes vom Andante des dritten Satzes. Herrlich ließ Hogwood diese beiden Charakterbilder, die oft gegen die schiere Präsenz der Ecksätze etwas unterbelichtet scheinen, ausspielen: Das heitere, luftige Scherzo neben dem idyllisch-kontemplativen Andante, hier so ernst genommen wie die Ecksätze. Und schließlich, alles Vorherige krönend: Der Schlusssatz. Mit Furor und enormer Spielfreude stürzen sich alle in die Choralfantasie über „Ein' feste Burg ist unser Gott“, ein Gewimmel der Stimmen, die in den Chor einstimmen und immer neue Ideen, Kontrapunkte, Paraphrasen des Chorals bieten: Durchhörbar bis ins letzte Detail, gerade in den vielen kontrapunktischen Stellen. Am Ende, nach dem Machtvollen Tutti-Vortrag des Choralthemas lässt Hogwood den Schlussakkord nicht im fortissimo stehen, sondern lässt ihn diminuendo spielen, die Sinfonie verhallt gleichsam, es braucht die affirmative Bekräftigung des lauten Akkordes am Ende nicht mehr. Jubel, großer Jubel für Musiker, Dirigent und das Werk. Und viele Menschen, die anschließend aus der Alten Oper strömen in die Bankenwelt der Frankfurter Skyline und sich gewiss sein können, einer musikalischen Sternstunde beigewohnt zu haben.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)
Imogen Cooper (Klavier)

hr-Sinfonieorchester

Christopher Hogwood (Dirigent)




Felix Mendelssohn Bartholdy
„Das Märchen von der schönen Melusine“
Konzert-Ouvertüre op.32

Wolfgang Amadeus Mozart
Klavierkonzert A-Dur KV 488

Felix Mendelssohn Bartholdy
5. Sinfonie D-Dur op.107
„Reformationssinfonie“



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Alten Oper Frankfurt
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Zur Konzert-Startseite E-Mail Impressum
© 2005 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: konzerte@omm.de

- Fine -