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Zwischen Tango und Bolero
Von Stefan Schmöe Das Sinfonieorchester Wuppertal hat die leidige Angewohnheit, den Sinfoniekonzerten übergeordnete Titel zu geben wie Frühlingskonzert, Russische Seele oder Saitensprünge für die kommende Saison angesagt sind u.a. Klangdrama und Liebeslinien. Auf solche Plattitüden, mit denen das Publikum geködert werden soll, muss man erst einmal kommen. Das letzte Konzert vor der Sommerpause war mit Pasión Leidenschaft wenigstens noch einigermaßen sinnvoll bezeichnet, stand doch das Konzert für Bandoneon und Orchester des argentinischen Tango-Virtuosen Astor Piazolla im Zentrum des Programms - und irgendwie spanisch ging es auch in den anderen Werken zu. Die Freude an solchen vermeintlich viel-, tatsächlich nichtssagenden Titeln teilt auch das an diesem Sonntagmorgen uraufgeführte Werk Silent & violence des 1970 geborenen Komponisten Tim Raschke. Violence, also Gewalt (-tätigkeit) mag man dem viertelstündigen Werk kaum zuschreiben. Die Komposition lebt von einem farbreichen Wechsel von leisen und lauten Tonfolgen, die aber die Grenzen des guten Geschmacks nicht überschreiten. Kurze Motive am Rand der Tonalität finden darin ebenso Platz wie Phrasen, die nach sentimentaler Filmmusik klingen. Hin und wieder klingt der Bolero-Rhythmus an (was den Bogen zum letzten Werk des Konzerts schlägt) für einen angenehmen Frühsommer-Sonntagvormittag ein angemessenes Maß an Modernität. Vielleicht hätte die Interpretation von Toshiyuki Kamioka kompromissloser die Kontraste herausschälen müssen, um dem Werk über den Moment hinaus Bedeutung zu verleihen. Piazollas Bandoneon-Konzert von 1979 fügt sich da entsprechend ein; von der musikalischen Avantgarde denkbar weit entfernt stellt es einen Versuch dar, dem Bandoneon wie dem Tango an sich symphonisches Gewicht zu verleihen. Daraus ist ein interessantes Werk geworden, das man nicht an der Tradition des europäischen Solokonzerts, sondern an der Tradition des argentinischen Tangos messen sollte und das eine Brücke zwischen Gebrauchsmusik und dem Konzertsaal schlägt. Es dauerte eine Weile, bis sich das zu Anfang zu dominante Orchester auf die zarten Klänge des Bandoneons eingestellt hatte. Lothar Hensel spielte den Solopart sehr introvertiert und verzichtete bis in die Zugabe hinein auf vordergründige Virtuosität. So entstand eine eindringliche, melancholische Interpretation. Im zweiten, Maurice Ravel gewidmeten Teil hob das (von einigen Patzern im Blech abgesehen) sehr gut disponierte Orchester die raffinierten Klangfarben hervor. Getragen von den Holzbläsern entwickelt sich in der Rhapsodie Espagnole fein der impressionistische Charakter und die Nähe zu Debussy. Der abschließende Bolero ist bei Kamioka ein Stück nicht nur zum Hören, sondern auch zum Zuschauen nicht nur des Dirigats mit vollem Körpereinsatz, sondern auch des sichtbaren Engagements des Orchesters wegen. Auch hier bestach die Musikalität der Wuppertaler Holzbläser. Allerdings nahm Kamioka den ostinaten Rhythmus eine Spur zu schnell was sich nie wieder korrigieren lässt und dann erreichte die (zu Beginn in berückendem Pianissimo spielende) kleine Trommel zu früh die Endlautstärke. Dadurch erhielt dieser Bolero einen martialischen Zug, als habe heimlich Gustav Mahler mitkomponiert. Auch ist die Akustik der Wuppertaler Stadthalle im Fortissimo recht mulmig, was der großen Steigerung die Spitze nimmt. Insgesamt ein gelungenes, aber kein ganz großes Konzert. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Lothar Hensel, Bandoneon Sinfonieorchester Wuppertal Toshiyuki Kamioka, Leitung Tim Raschke Uraufführung Astor Piazolla Konzert für Bandoneon und Orchester Maurice Ravel Rhapsodie espagnole Bolero
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