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Düstere Poesie im Mantel experimenteller Klänge
Von Annika Senger / Foto: Hauke Gilbert Wer sich an Hape Kerkelings Parodie auf die moderne klassische Musik "Hurz" erinnert, der wird mit Sicherheit die eine oder andere Parallele zu den Galgenliedern der zeitgenössischen russischen Komponistin Sofia Gubaidulina (geb. 1931) finden. Diese Assoziation weckt bereits Galgenlied Nr. 1 "Die Mitternachtsmaus", eins von 15 vertonten Gedichten aus der Feder Christian Morgensterns. Mezzosopranistin Vanessa Barkowski artikuliert zwar jedes Wort mit gestochener Deutlichkeit, doch Melodiebögen sind meist nicht erkennbar. Immer mit verschmitztem Gesichtsausdruck, als amüsiere sich die Sängerin selbst über das von ihr präsentierte Liedgut, trägt sie Gedichte auf unterschiedlichen Tonhöhen vor. Häufig muss sie dabei Sprünge von sehr tiefen zu hohen Tönen meistern, was ihr technisch ausgezeichnet gelingt. Auf der interpretatorischen Ebene möchte Barkowski unterhalten, wie es scheint. Etwas anderes bleibt ihr wohl auch kaum übrig, da der experimentelle Charakter der Musik schon genügend verstörte Blicke aus dem Publikum an sich zieht. Bei Galgenlied Nr 5 ("Das Spiel") vermittelt sie Einblicke in die technischen Übungen einer klassischen Sängerin: Sie beginnt mit Staccati auf dem Vokal A, wechselt plötzlich über zu Ü und lässt zwischenzeitlich ein langes, perfekt gerolltes Zungen-R erklingen. Das einzige, was "Das Spiel" vom Übungsalltag eines Sängers abhebt, sind die fließenden Läufe des Xylophons, die Barkowskis Vokalisen untermalen. Auch ihre musikalischen Begleiter Martin Heinze und Jan Schlichte spielen mit ihren Instrumenten auf sehr experimentelle Weise: In "Das Spiel II" wird der Kontrabass beispielsweise zum Schlagzeug umfunktioniert, indem Jan Schlichte den Korpus als Trommel verwendet.
Vanessa Barkowski Die Komponistin bekennt, dass Rhythmus in ihren Augen die wichtigste Grundlage der Musik sei. Ihr Liederzyklus bezeugt diese Vorliebe: "Das Spiel II" überschreitet nicht nur instrumentale Grenzen, sondern reißt ebenfalls mit seiner Rhythmik mit. Zum Arrangement von "Der Tanz" (Nr. 9) gehören Handtrommeln, die frenetisch das Bild afrikanischer Stammestänze hervorrufen. Stellenweise hat die Sängerin in diesem Lied Koloraturen zu bezwingen, allerdings nicht im traditionellen Sinne: Die Melodie bleibt wie in allen 15 Galgenliedern nur Fragment - oder aber, sie ist gar nicht erst vorhanden: "Fischers Nachtgesang" (Nr. 13) hüllt den Saal in minutenlanges Schweigen, während die drei Akteure auf der Bühne allesamt nur vortäuschen zu musizieren. Gubaidulinas kompositorische Absicht gibt somit Rätsel auf, regt aber zumindest die musikalische Vorstellungskraft des Zuschauers an: Schließlich kann auch in der Stille und in den Gedanken solcher Momente Musik liegen. Nach der Pause trägt Barkowski zusammen mit der Pianistin Heike Gneiting sechs Lieder von Dmitri Schostakowitsch in russischer Sprache vor. Sie basieren auf den gesellschaftskritischen Gedichten der Schriftstellerin Marina Zwetajewa und bewegen sich gesanglich in eher tieferen Registern, wo auch das Klavier energisch, intensiv agiert. Die Mezzosopranistin fühlt sich offenbar auch in der Lage des Alts sehr heimisch und bringt mit pathetischer Bitterkeit eine klagende russische Seele zum Ausdruck. Alfred Schnittkes Serenade für Klarinette, Violine, Kontrabass, Schlagzeug und Klavier rundet den "Querschnitt" Vokales verwirrend dissonant ab. Anstatt zu einer Einheit zu verschmelzen, liefern sich die Instrumente mit ihrer jeweiligen Individualität einen wilden Kampf. Ein krönender Abschluss eines Abends voller musikalischer Experimente. Fazit: Teilweise unterhaltsam, aber nicht die Seele ergreifend. Vielmehr ein düster poetisches Experiment mit Verstörungspotential. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Vanessa Barkowski: Mezzosopran
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