Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Konzerte
Zur Homepage Zur Konzert-Startseite E-mail Impressum



Kulturelle Dialoge
Auskomponierte Stimmen
Toshio Hosokawa im Gespräch
mit Reinhart Meyer-Kalkus


8. Juni 2007
Akademie der Künste Berlin
Pariser Platz, Plenarsaal


Homepage
Ein musikalischer Schmelztiegel

Von Annika Senger

Ein Konzert und Diskussionsabend der besonderen Art: Nicht allzu oft erlebt man es, dass einer der im Programm vertretenen Komponisten persönlich anwesend ist und zu seinen Werken Stellung nimmt. Der 1955 in Hiroshima geborene Toshio Hosokawa ist seit sechs Jahren Mitglied der Berliner Akademie der Künste und als Composer in Residence und Absolvent der Hochschule der Künste (jetzt Universität) eng mit der Hauptstadt verbunden.

Vergrößerung in neuem Fenster Toshio Hosokawa
Foto: Hannes Rascher

Im Dialog mit dem Literaturwissenschaftler Reinhart Meyer-Kalkus betont Hosokawa, dass ihn die "Unreinheit" und "Unzuverlässigkeit" der menschlichen Stimme reize, für sie zu komponieren. "Wenn man singt, wird die Unreinheit der Sprache transzendiert", sagt er. Die musikalische Zusammenstellung des Programms gibt Aufschluss über Hosokawas Anliegen: japanische mit europäischen Gesangstraditionen zu verschmelzen.

Diese Aufgabe übernimmt die Sopranistin Annette Elster. Als "unrein" kann man ihre Stimme jedoch nicht bezeichnen: Sie intoniert die Töne genau und fühlt sich sogar in den Tiefen des Alts zu Hause. Ihr mangelnder Ausdruck bei den Schubert-Liedern "Der Tod und das Mädchen" und "Ständchen" erweckt dagegen den Eindruck, dass sie diese romantischen Stücke noch nicht verinnerlicht hat. Es fehlt das Aufgebrachte, wenn das Mädchen fleht: "Vorüber! Ach, vorüber! Geh, wilder Knochenmann!" Das Liebeslied "Ständchen trägt sie mit zu großem Anteil der Bruststimme vor, ohne die Sehnsucht eines/einer Liebenden nach außen zu transportieren. Sie erreicht das Publikum nicht, sieht weder von ihrem Notenpult auf noch spricht sie die Zuhörer mit ihrem Gesang emotional an. Ihre Interpretation wirkt vergeistigt, wodurch die vier atonalen Lieder von Anton Webern durchaus gewinnen. Die 12-Ton-Musik, die für die modernen Komponisten des frühen 20. Jahrhunderts ein intellektuelles Experiment darstellte, scheint für Elster also das passende Terrain zu sein.

Der finnische Konzertgitarrist Timo Korhonen begleitet die Sopranistin bei den Schubert-Liedern und bei Hosokawas Kompositionen. Ungewöhnlich ist es allerdings, "Der Tod und das Mädchen" und "Ständchen" nicht, wie es ansonsten die Regel ist, mit Klavierbegleitung zu hören. Korhonens sanftes klassisches Spiel korreliert mit dem leise flehenden Charakter von "Ständchen", nicht aber mit Elsters wuchtig aufgesetzter Interpretation.

Hosokawas Liebesgesänge, basierend auf japanischen Gedichten aus dem 8. bis 10. Jahrhundert, knüpfen kompositorisch deutlich hörbar an die Schönberg-Liga an. Hosokawa betont, dass der sich nicht für das lineare Singen im europäischen Kunstlied à la Schubert interessiere, sondern für den Einzelton, wie er lebe und sterbe. Seine Lieder sind demnach wie Kreise aus einzelnen Tönen: Sie schwellen mit dem Atem an, erreichen einen Höhepunkt, schwellen wieder ab und schließen sich. Die Sängerin ist sehr konzentriert und in sich ruhend, lediglich ihre fernöstlich anmutende Lautmalerei dringt nach außen. Hin und wieder klingt sie dabei weinerlich.

Eine weitere Grundlage für Hosokawas Renka I sind die altjapanischen Koto-Gesänge, die schon in seiner Kindheit einen prägenden Einfluss auf den 52-jährigen Komponisten ausgeübt haben. "Ich finde, modernes Japanisch ist sehr hässlich", reagiert er auf Meyer-Kalkus' Frage, warum er seine Lieder nie auf Neu-Japanisch schreibe. Vier Säulen seien zudem für seine Gesangsstücke maßgeblich: Klang, Kalligraphie, Atem und Meditation. "Meine Musik ist Schriftkunst. Linien werden auf die Leinwand des Schweigens gemalt", äußert er sich metaphorisch zum Thema Kalligraphie. In diesem Punkt kann man Hosokawa zustimmen: Elster malt mit Stimme und Atmung als Stütze. Die dabei entstehenden musikalischen Schriftzeichen dürften allerdings für einen Großteil der europäischen Zuhörer so unzugänglich sein wie die drei japanischen Schriftarten.


FAZIT

Musiktheorie trifft auf Praxis, Morgenland auf Abendland.
Gesangstechnik und Gefühl verschmelzen jedoch nicht.




Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)
Annette Elster
Sopran

Timo Korhonen
Gitarre

Christoph Staude
Klavier




Franz Schubert
"Der Tod und das Mädchen" (1817)
"Ständchen" (1828)

Anton Webern
Vier Lieder für Gesang und Klavier
op. 12 (1915-1917)
"Der Tag ist vergangen"
"Die geheimnisvolle Flöte"
"Schien mir 's, als sah ich die Sonne"
"Gleich und Gleich"

Toshio Hosokawa
Renka I für Sopran und Gitarre (1986)
"Aki no Ta no…"
"Kimi ga Yuku"
"Yura no To o…"



Weitere Informationen

Akademie der Künste
www.adk.de/



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Zur Konzert-Startseite E-Mail Impressum
© 2007 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: konzerte@omm.de

- Fine -