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MAHLERS SECHSTE



15.06.2007 in der Tonhalle Düsseldorf


20.06.2007 in der Philharmonie Essen
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"MAHLER-WELTEN"

Von Peter Bilsing


Zwischen den unterschiedlichen Interpretationen eines Werkes können Welten liegen, manchmal auch Abgründe; schroffe Schlünde von stellenweise tragischer Tiefe und tief emotionale Seelen-Klüfte. Ob die raubeinig-naturalistische Werkdeutung oder der gesamt-harmonisch gerundeter Feinschliff; darüber, was wahre Auslegung bedeutet, mag jeder Musikfreund individuell diskutieren. Hier nun gab es zwei prächtige Beispiele unterschiedlicher, geradezu antipodischer Auslegung: zwischen der musikalischen Darbietung der Düsseldorfer unter John Fiore bzw. jener der Bochumer Musiker unter Steven Sloane lagen ganze Mahler-Welten. Böse Zungen könnten behaupten, daß der Abstand zwischen Fortuna Düsseldorf (Regionalliga) und dem VFL Bochum (Bundesliga) auch musikalisch hörbar wurde. Solche Worte würde ich mir natürlich niemals zu eigen machen!

Doch was ist das für eine Musik, die solche Interpretationsspielräume bietet. Was ist das für ein "musikalischer Wahnsinn", der schon 1906 die meisten Uraufführungshörer und viele spätere (bis heute) nicht nur erschüttert, sondern ob ihrer scheinbaren Sperrigkeit und Rätselhaftigkeit auch verstört und ratlos zurücklässt. So verstört, daß sogar ein Genius wie Richard Strauß das Werk für überinstrumentiert hielt; Arthur Schnitzler sprach vom "Grauenvollen, Entmenschlichten und Entseelten", Arnold Schönberg von "schmerzzerwühlter Zerrissenheit".

Ist es die Antizipation tragischer Ereignisse unseres Jahrhunderts? Manches klingt gar schaurig und unheimlich - der Tod lauert allüberall. Aber auch die ständige Mischung zwischen Dur und Moll stürzt den Hörer in ein Wechselbad der Gefühle. Sind es wirklich die Kindheits(alb)träume und Schicksalsschläge des Komponisten? Laut Mahler spiegelt diese Musik das Schicksal eines Helden, der im Schlusssatz (nicht nur mit den drei barbarischen Hammerschlägen auf eine speziell fabrizierte Holzkiste) "gefällt" wird. Der Maestro selbst soll einmal verlautet haben "Es sind die Grausamkeiten, die mir angetan worden sind, die Schmerzen, die ich zu dulden hatte." Egal was, wie und wodurch auch immer diese Musik initialisiert wurde, diese knapp 1,5-stündige Sinfonie gehört zum Eindrucksvollsten, das je komponiert wurde; zum Herzaufwühlensten und emotional Bewegenstens aller Zeiten - ein Contempore Furioso; Musik, die niemanden kalt läßt.



John Fiore legte sein Konzept in der Düsseldorfer Tonhalle mit den sich selbst so titulierenden "Düsis" anfangs gemächlich an. Nur langsam und stellenweise im Orchester noch unausgeglichen (der gemeine Fußballfan würde von einer Warmlaufphase sprechen) kommt der erste Satz daher. Vom "allegro energico, ma non troppo" sind die Düsseldorfer gelegentlich etwas weit entfernt. Statt schnell, heiter oder lustig klingen die ersten Minuten eher träge bzw. unentschlossen. Und trotz des feinsinnigen, doch stets bestimmt energischen Dirigats von Fiore wirkten nicht wenige Musiker zumindest einsatzmäßig auf mich wie der sprichwörtliche Beamte vor dem dringend nötigen Dienst-Kaffee. Ein optisch, wie akustisches Bild, welches sich zum Ende des ersten Satzes ändert und im Finalsatz zu wirklichen Höhenflügen und in die nötige Expressivität expediert. Und so bezaubern eigentlich mehr die kürzeren Mittelsätze, die Fiore in bilderbuchartigen Naturbildern aufblühen läßt. Hier kommt ein Mahler mit der Schönheit und Süffisanz der Wiener Philharmoniker rüber. Mir persönlich ist diese Mahler-Interpretation zu schön, zu glatt, zu friedlich. Auch kommt die Akustik der Tonhalle (glättend, dämpfen und stellenweise topfig klingend) sowie die aufgrund der Podestbeschränktheit allzu eng platziert sitzende Musikerformation diesem überwiegenden Mahlerschönklang entgegen. Die Tonhalle ist halt für große Orchesterbesetzungen wenig geeignet.

Dennoch eine durchaus respektable Leistung, und man muß ein Jahr vor des GMDs bedauerlichen Fortgangs aus Düsseldorf doch sagen, daß er aus einem vielfach recht mittelmäßig aufspielenden Stadttheaterklangkörper mittlerweile ein durchaus respektables A-Klasse-Orchester geformt hat; eine gute Basis für den hoffentlich (!) würdigen Nachfolger.



Ganz anders die Essener Philharmonie: ihre offene Gestaltung, die opulenten Platzverhältnisse sowohl fürs Publikum, als auch für XXL-Orchesterbesetzungen und ihre fast perfekte Akustik und Nachhallzeit, sowie die auch optisch wunderbare Konzerthallengestaltung bieten optimale Voraussetzungen für einen perfekten Mahlergenuss. "Quod erat demonstrandum" - auch dieses Mal! Wenn dazu noch ein praktisch ideales und ungeheuer motiviertes Orchester, wie das der Bochumer Symphoniker unter dem begnadeten Mahler-Spezialisten Steven Sloane angesagt ist, dann müssten sich für den Musikfreund eigentlich alle Himmel öffnen. In der Tat war es wieder eine sensationelle Interpretation.

Schon die ersten Takte lassen das "allegro energico" geradezu unter die Haut gehen, der Puls des Zuhörers wird beschleunigt, die innere Spannung der Musik überträgt sich spontan auf das Auditorium und läßt uns für die folgenden 85 Minuten nicht mehr zur Ruhe kommen. In der leider nicht ganz ausverkauften Philharmonie Essen reagieren nicht nur die Musiker unisono auf jede mimischen Geste, jedem Taktschlag und jedem noch so kleinen Wink dieses Ausnahmedirigenten Steven Sloane; nein, es scheint, als ob er auch die Zuschauer beinah hypnotisch in seinen musikalischen Bann schlagen kann. Niemand hustet, kein Papierchen wird entfaltet, weit und breit kein Handtäschchengerappel …es herrscht eine geradezu atemlose Spannung. Und auch nach dem gnadenlos letzten "Keulenschlag" des Orchesters bricht man nicht sofort in Beifall aus; es folgen die mehr als angebrachten 10 Sekunden Stille, an denen man merkt, daß ein Publikum diese Musik verstanden hat. Es hatte verstanden! Die fachkundige Zuhörerschaft bedankte sich schließlich mit einem unendlichen Beifallssturm und - finallement - endlich einmal zurecht angebrachten "Standing ovations". Danke Maestro. Danke Gustav Mahler!


FAZIT

Mein persönliches Fazit: Dieser Abend war nicht nur der absolute Höhepunkt und die Krönung einer vorzüglichen und vielfältigen Konzertsaison in Essen, sondern auch der Beweis, daß Gustav Mahlers Musik so brennend aktuell und emotional bewegend wie vor 100 Jahren, immer noch ist bzw. sein kann. Der Konzertvergleich endete 3 : 1 für Bochum. Nicht zuletzt auch wegen der ungemein passenden und bravourös interpretierten Charles Ives Prelude "Central Park in the Dark". So wird man gerne in die Konzert/Theaterferien verabschiedet.




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Tonhalle Düsseldorf
15.06.2007

Düsseldorfer Symphoniker

John Fiore
Dirigent

Mahler, Symphonie Nr. 6 a-moll



Philharmonie Essen
20.06.2007

Mahler-Zyklus der Bochumer Symphoniker

Bochumer Symphoniker

Steven Sloane
Dirigent

Charles Ives
"Central Park in the Dark"

Gustav Mahler
Sinfonie Nr. 6 a-Moll "Die Tragische"




Weitere Informationen
erhalten Sie auf den Seiten der

Tonhalle Düsseldorf
www.tonhalle-duesseldorf.de

Philharmonie Essen
www.philharmonie-essen.de



Da capo al Fine

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