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15. September 2006

Philharmonie Essen
Alfried Krupp Saal


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Philharmonie Essen (Homepage)
Im Rausch der Klangfarben

Von Christoph Kammertöns

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Die Bühne der Essener Philharmonie schien geschrumpft zu sein. Die Solisten auf Tuchfühlung mit den Streichern, mitten hinein gepflanzt der Dirigent – dieser nicht eben großzügige optische Eindruck fiel jedoch bereits mit dem Vorspiel zu Schönbergs Opus magnum „Gurrelieder“ nicht mehr ins Gewicht. Vom ersten Moment an bannte das weite Ausschwingen einer in Pracht und Farbenreichtum schwelgenden Musik die Aufmerksamkeit.

Zweifellos, Schönberg kannte ‚seinen' Mahler. Die feinnervige Instrumentation füllt das Ohr aus wie ein meisterhaftes Menü, in dem eine große Vielfalt an Zutaten bis hin zu entlegenen Kräutern dem Gaumen die Freude einer unendlich differenzierten Einheit schenkt. In den Gurreliedern schließt die Menüfolge allerdings nicht mit zart schmelzendem Gefrorenem, sondern mit dem Hirschbraten. Was die mächtigen Chöre der Sonne als Gruß entgegenrufen bringt das zwischengelegene Weltall zum Tönen, wie sonst die Schlüsse von Mahlers Zweiter und Achter Symphonie es vermögen.

Lugt um die eine Ecke der Wiener Mentor des aufstrebenden Schönbergs, so reckt um die andere Richard Wagner das Haupt. Dessen chromagetränkter Erlösungsduktus in Liebe und Weltenbrand taugt auch Schönberg, wenn es darum geht, tödlich enttäuschte Liebe zu vertonen. König Waldemar verliert seine heißgeliebte Tove, trotzt Gott und muss fortan als ruheloser Geist umherziehen – bis ihn der Sommerwind erlöst. Der dänische Dichter Jens Peter Jacobsen (1847–1885) hat mit dies- und jenseitigem Schauer nicht gespart, und Schönberg ließ sich lustvoll auf die gelegte Fährte zwischen Liebesfreud und Liebesleid, Auflehnung und Erlösung ein. Was stört es da, musikalische Vorbilder zu erkennen, die den Eindruck des Eklektischen unterschwellig wachhalten. Vollends unbeeinträchtigt wird sich schließlich jener Zuhörer fühlen, der mit Adorno annimmt, Schönberg habe Wagner gar „im Sinne wechselfältiger, echt dialektischer Korrektur“ mit Brahms abgeglichen (der also auch noch).

In zwei Phasen von 1900 bis 1911 zunächst als Klavierlieder komponiert, dann um die Orchesterstücke bereichert und für eine wahre Riesenbesetzung instrumentiert, erlebte das Werk anlässlich der Uraufführung 1913 im Wiener Musikverein einen herausragenden Erfolg. Dies zu einer Zeit, als der Skandal bereits seit mehr als einem Jahrzehnt Schönbergs treuer Begleiter war. Die Gurrelieder muteten gemessen an der aktuellen Hinwendung des Komponisten zur Atonalität nun als – wohl frisch instrumentierte – Vergangenheit an, und als solche liebte sie das Publikum.

Begeistert zeigte sich knappe 100 Jahre später auch das Essener Publikum. Hatten sich manche während des live von SWR 2 übertragenen Konzerts noch in den bewährten Disziplinen Brüllhusten, Bonbonsaufdröseln, SMS-Empfangen (Nokia-Ton) und Gegenständefallenlassen geübt, fand man sich schließlich in stehenden Ovationen vereint.

Zu Recht! Wer miterleben durfte oder wenigstens auf Tonträger nachvollzogen hat, wie Michael Gielen anlässlich der Wiedereröffnung der Frankfurter Oper dazumal Mahlers Achter beikam, der wusste bereits im Voraus, wie sehr auch ein ekstatisch blühender Schönberg bei ihm in sicheren Händen liegen würde. Bereits Gielens klare Gestik verriet, dass er nicht gedachte, einen wabernden Erlösungsatem durch die Philharmonie zu senden, sondern einfach ein Werk, das sonst wenig äußere Hilfe braucht, vom Pult aus zu koordinieren. Die Tempi strebten, wie schon bei Mahler, angemessen nach vorn. Kein klangverliebtes Verweilen. Und gerade dadurch stellte sich ein noch höherer, immer schon etwas im Erinnern begriffener Genuss ein.

Vergrößerung in neuem Fenster Michael Gielen

Es ist ein Geschenk, dass Gielen – durch die glänzende Frankfurter Opernära der 1970er und 80er Jahre bereits ein ‚lebendes Denkmal' – an der Schwelle zu seinem achten Lebensjahrzehnt noch so agil ist. Das SWR Sinfonieorchester glänzte kollektiv als Meister wunderschöner Klangfarben, nur einige etwas ‚flat' hervorgequälte Extremtöne der Klarinetten mochten den Eindruck punktuell nicht bestätigen.

Bei aller Begeisterung scheint fraglich, ob die Dynamikgrenzen so häufig nach oben verschoben werden mussten. Einerseits antwortet die unvorteilhafte Akustik der Essener Philharmonie auf diese Herausforderung mit einem harten, undifferenzierten Pauschalklang, andererseits beraubt ein brausendes bühnenplatziertes Orchester noch den stimmmächtigsten Sänger seiner Durchschlagskraft. Wohl dem, der sich davon nicht zum Outrieren verleiten lässt!

Wohl also dem Bayreuth erprobten Wagner-Tenor Robert Dean Smith. Er ließ sich, sehr richtig, nicht nötigen und war so passagenweise nicht zu hören. Dafür befand sich sein Waldemar auch zum Ende des Abends noch stimmlich untadelig auf der Höhe. Der Amerikaner überzeugte mit eher lyrischem als heldischem Glanz und war mit Affekt bei der Sache, ohne ins Affektierte abzugleiten. Melanie Diener, die andernorts ebenso als Fiordiligi wie als Elsa reüssieren konnte, verlieh ihrer Tove textinspiriert sternejubelnde und meerleuchtende Inbrunst. Der vielleicht etwas forciert erdige, im Grunde aber nicht sehr weite Mezzo von Yvonne Naef ließ die Waldtaube immer noch eindrücklich Toves Tod verkünden. Gerhard Siegel gab einen kecken Klaus-Narr und brillierte mit fein dosiertem Mime-Timbre. Als Bauer ließ Ralf Lukas mit Humor den „Deckel des Sarges klappern“ und vermeldete mit schlankem Bariton – mitnichten à la Wotan, den er in Münster und Wiesbaden gab – „Elfenschuss und Trolls Gefahr“. Das erregte Melodram gestaltete der ebenso auf der Opernbühne wie für seine Liedgestaltung geschätzte Andreas Schmidt als schaurig-schönen Reigen sich jagender ausdrucksgeladener Wörter.

Die Chöre des Bayerischen Rundfunks und des MDR boten in den Rollen von „Waldemars Mannen“ zunächst einen Höhepunkt disziplinierter Männergesangskunst. Bei hinzugetretenen Frauenstimmen verhalfen sie mit abschließender Sonnenanrufung dem Werk zu jenem Aplomb, der bereits bei der Uraufführung den überwältigenden Erfolg sicherte.




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Arnold Schönberg:
Gurre-Lieder


Tove - Melanie Diener
Waldtaube -Yvonne Naef
Waldemar - Robert Dean Smith
Klaus Narr - Gerhard Siegel
Bauer - Ralf Lukas
Sprecher - Andreas Schmidt


Chor des Bayrischen Rundfunks
MDR Rundfunkchor Leipzig

SWR-Sinfonieorchester
Baden-Baden & Freiburg

Musikalische Leitung
Michael Gielen



Weitere Informationen

Philharmonie Essen
www.philharmonie-essen.de



Da capo al Fine

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