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Sterne jubeln ...
Von Peter Bilsing Dieses Werk ist der Schlüssel zu meiner ganzen Entwicklung (A. Schönberg) Die Komposition der Gurrelieder erstreckte sich über eine für Arnold Schönberg ungewöhnlich lange Zeitperiode; und gestaltete sich als ein Projekt von anfänglichen Klavierliedern bis hin schließlich zu einer kolossalen Art von Oratorium. Zwischen 1900 und 1911 arbeitete Schönberg immer wieder von längeren Pausen unterbrochen an dem Werk, wobei der Kern des Stücks zwischen März 1900 und März 1901 laut Schönberg eigentlich schon vollendet war. Zwischen 1901 und 1903 arbeitete er an der Instrumentation, 1903 unterbrach er die Arbeit für sieben Jahre. In dieser Zeit entfernte er sich stark vom Stil der Gurrelieder und als er 1910 - 1911 die Instrumentation vollendete, war ihm die Aussage des Werkes schon nicht mehr persönliches Anliegen; er stellte das Werk als Dokumentation eines Kompositionsstiles und einer Geisteshaltung fertig, die zwischenzeitlich nicht mehr die seine war. Die Uraufführung fand 1913 unter der Leitung von Franz Schreker im Großen Musikvereinssaal in Wien statt und wurde zum größten Triumph seines Lebens. Michael Gielen
Die Gurrelieder sind eine absolute Rarität und gelten auf dem Konzertsektor als ein Stück, welches auf der Opernbühne wahrscheinlich einzig der Wagnerschen Götterdämmerung (oder dem Tristan) vergleichbar wäre. Allein die schier gigantische Besetzung geht schon weit über ein großes Wagner-Orchester hinaus: 4 Chöre (drei vierstimmige Männerchöre und ein achtstimmiger Gemischter Chor) stehen dem Gewaltpotential von 8 großen Flöten, 5 Oboen, 7 Klarinetten, 10 (!) Hörnern (davon 4 Wagner-Tuben), 7 Trompeten, weiteren 7 Posaunen, diversen Schlaginstrumenten und fast einem halben Hundert geteilten Streichern gegenüber - eine der größten Orchesterbesetzungen also, für die je ein Werk geschrieben wurde. Optimale Vorrausetzungen bot natürlich einer der schönsten und akustisch feinsten Konzertsäle Europas. Ein so direktes Klangbild und so unmittelbares Musikerlebnis garantieren eigentlich, nach meiner Erfahrung, nur noch das Concertgebouw (Amsterdam) und das Gewandhaus (Leipzig); dass man auch als 2-Meter-Mensch dies 2 Stunden und 15 Minuten (ohne Pause) ohne körperliche Schäden von Herzen genießen kann, spricht für die Architekten und Planer der Neuen Essener Philharmonie. Die anatomisch körpergerechte Gestaltung und angenehme Härte der Sitze dieses Prachtbaus garantiert freudvolle und vom Mobiliar ungetrübte Abende. Für die Vokalparts der Gurrelieder (basierend auf den Gedichten von Jens Peter Jacobsen 1868, der die Ereignisse über den 1375 auf Schloss Gurre verstorbenen König Waldemar IV in Verse gefasst hatte) braucht es zwei Tenöre, einen Sopran, einen Mezzosopran, Bass und Sprecher; angesichts der Klangmassen erscheint es nur sinnfällig, dass hier einzig erfahrene Wagner-Sänger (wenn überhaupt) stimmlich gegenhalten können. Mit Melanie Diener (Tove), Yvonne Naef (Waldtaube), Robert Dean Smith (Waldemar), Gerhard Siegel (Klaus Narr), Ralf Lukas (Bauer) und Andreas Schmidt als Sprecher wurde dieser Anspruch blendend erfüllt. Ich habe selten eine Live-Aufführung gehört, bei der das Sangesteam so prachtvoll und stimmig passte, soweit als möglich auch noch textverständlich sang und makellos intonierte. Auch hier muss einfach noch einmal, wie im zeitgemäßen Wagner-Revier ja längst realisiert, ergänzt werden, dass die Zeit der gewichtigen Monsterstimmen und Brüllorgiasten definitiv vorbei ist; was auch diesen Gurreliedern ausgesprochen gut bekam, denn hier geht es ja fundamental immer noch um die Idee des Liedsingens und vieler Fans Gehör ist halt durch allzu perfekte Studioaufnahmen bereits gehörig verdorben. Dirigent Michael Gielen gehört zu den letzten Giganten für solche Art Musikstücke mir würden nebenher nur noch Pierre Boulez und Claudio Abbado spontan einfallen. Da es darüber hinaus gelungen ist für diesen Abend auch noch drei ausgesucht öffentlich-rechtliche Klangkörper der Sonderleistungsklasse zu gewinnen (Chöre des BR und MDR sowie das SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden) schien sich ein Ereignis besonderer Art anzubahnen. Um es gleich vorwegzunehmen: Die Realität entsprach nicht nur, sondern übertrumpfte auch fernste Erwartungen. Es sollte ein unvergleichlicher, einmaliger Musikabend werden. Ensemble
Schon der Beginn des Werkes mit dem wunderbaren Es-Dur des Sonnenunterganges wurde selten dermaßen einfühlsam und doch suggestiv intoniert. Ähnlich dem Vorspiel zu Wagners Rheingold entsteht eine Stimmung, eine musikalische Harmonik der Naturschilderung quasi aus dem Nichts und bildet für den Hörer ein Naturgemälde von seltener Schönheit. Dabei zaubert Gielen höchst differenzierte Klangbilder aus dem riesigen Orchesterapparat, von gelegentlich sogar kammermusikalischer Sensibilität. Neben der reinen Tonmalerei à la Debussy und Wagner glättet Gielen aber auch nicht übertrieben oder verfällt in den ausgesuchten Wohlklang mancher Plattenaufnahmen. Viele Schroffheiten, Modernismen und Härten, die uns früher verborgen blieben und auf den späteren Schönberg verweisen, sind neu zu entdecken. Welch wunderbare Interpretation; ob in den Lyrismen oder den gewaltigen Klangmassen der Geisterjagd von Waldemars Mannen bzw. im scheinbaren Unisono des hymnischen Schlusses - alles wird von Gielen vorbildlich aufgefächert. Wie tadellos das Orchester dem Dirigenten folgt, wird exemplarisch am Beginn des dritten Teils hörbar, wenn nach einem friedlichen und wirklich traumhaft gespielten Klangteppich der Hörner der große Blechapparat geradezu wie ein Fallbeil ins Forte Fortissimo, ins Furioso der wilden Jagd überspringt. und an den Grenzen des akustisch Mach- und Hörbaren deutlich rüttelt. Mehr geht nicht, und ich muss sagen besser geht es auch nicht.
Fazit: Einer jener Abende, der nicht nur Maßstäbe wieder neu setzt, sondern auch und sicherlich allen die dabei waren lange in Erinnerung bleiben wird. Der Kritiker kann die Sterne des musikalischen Himmels gar nicht mehr zählen, die er am liebsten vergeben würde. Für die atemberaubende Interpretation gab es zurecht diesmal Standing Ovations - eine, wie es schien, wirklich von Herzen kommende Ehrung durch das Publikum, welches der große, alte Maestro Michael Gielen sich mehr als verdient hatte. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Arnold Schönberg: Gurre-Lieder Tove - Melanie Diener Waldtaube -Yvonne Naef Waldemar - Robert Dean Smith Klaus Narr - Gerhard Siegel Bauer - Ralf Lukas Sprecher - Andreas Schmidt Chor des Bayrischen Rundfunks MDR Rundfunkchor Leipzig SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden & Freiburg Musikalische Leitung Michael Gielen
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