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9. Sinfoniekonzert

8.,9.,13. Mai 2007

Großes Haus der Städtischen Bühnen Münster
Homepage Sinfonieorchester Münster
(Homepage)
"Anleitung zur Gesamtcollage"

Von Ursula Decker-Bönniger

"Wenn eines meiner Stücke in einem Programm neben Mozart und Beethoven steht und diese Konfrontation aushält, dann ist dies ein Zeichen von Qualität und ein Indiz dafür, dass diese Musik überleben könnte", hat Mauricio Kagel einmal im Gespräch mit Wolfgang Gratzer zum Thema Auseinandersetzung mit musikalischer Vergangenheit gesagt.

Aus dieser mutigen Konfrontation hat das Sinfonieorchester der Stadt Münster unter der Leitung des Generalmusikdirektors Rainer Mühlbach in Münster und Essen einen Kunstgenuss besonderer Art gemacht.

Die drei Konzert-Suiten der Orchester-Suite "Tantz-Schul" (1985/87; rev.2001) von Mauricio Kagel (geb.1931) bildeten den Rahmen für Ludwig von Beethovens Klavierkonzert Nr.4 G-Dur, op.58 (1805/06). Komponiert etwa um dieselbe Zeit wie das Violinkonzert, spielte Beethoven dieses Konzert selbst bei der Uraufführung im Jahre 1807 im Hause des Fürsten Lobkowitz.

Anders als die Kompositionsregeln des klassischen Konzerts vermuten lassen, stellt Beethoven der Orchesterexposition ein Klaviersolo mit dem Hauptthema voran. Es lag eine besondere Spannung in der Luft, als der Solist Alfredo Perl leise und zurückhaltend mit dem akkordischen Thema einsetzte. Er gilt seit dem Aufführen und Einspielen sämtlicher Beethoven Sonaten (1996 und 97) als herausragender Beethoven-Interpret, von dem Joachim Kaiser sagte, er interpretiere Beethoven mit "großer, unabgenutzter Frische, mit äußerster Zärtlichkeit und unaffektierter Brillanz."

Diese Spielfreude und Empathie, vom Orchester gleichermaßen eingebracht, kamen besonders im zweiten und dritten Satz des Klavierkonzerts zur Geltung. Orchester und Solist genossen geradezu die gegensätzlichen Ausdruckshaltungen. Wenn das Klavier in melodisch-lyrischen Passagen rauschte, antwortete das Orchester wie elektrisiert mit rhythmischem Feuer. Vor allem im dritten Satz (Rondo. Vivace) konnten Rainer Mühlbach und Alfredo Perl ihren Gestaltungs- und Interpretationsreichtum voll ausschöpfen. Orchester und Solo ergänzten sich zu einem kraftvollen Energiestrom, den man geradezu beseelt mit nach Hause nahm.

Mauricio Kagels Haltung ist von Hochachtung und Respekt gegenüber musikalischen Werken geprägt, die aufgrund ihrer qualitativen Substanz alle Zeiten überdauert haben und überdauern werden: "Allein die Tatsache, dass ich komponieren darf, beruht auf der Vorarbeit unzähliger Komponisten vor mir. Der Staffellauf besteht hauptsächlich darin, dass jede Generation von der vorherigen etwas übernimmt. Man ist immer Erbe von unmittelbar Vergangenem, aber auch von Reliquien, die aus früherer Zeit stammen".

Kagels Interesse und Auseinandersetzung mit vergangener Musik ist keine "historisierende, sentimentale Ästhetik", sondern will "furchtlose Auseinandersetzung der Gegenwart mit Vergangenem" sein. Quelle der Komposition "Tantz-Schul" (1985/87; revidiert 2001) ist das choreographische Lehrwerk des venezianischen Tanzmeisters Gregorio Lambranzi von 1716. Das Buch umfasst 70 verschiedene Ballettszenen und -situationen, die mit kurzen Kommentaren, Abbildungen und einer Melodie vorgestellt werden.

Ergebnis bei Kagel ist eine Collage von Stilmitteln moderner Musik, ein Nebeneinander völlig unterschiedlicher, zum Teil widersprüchlicher Hörerlebnisse. Da werden leichte tänzerische Passagen mit filmmusikalisch anmutenden dramatischen Szenen gemischt, da werden die einstimmigen Melodien des Originals zerlegt und polytonal neu kombiniert; kammermusikalische, solistische Durchsichtigkeit steht neben sinfonischem Klangbrei. Trotz tänzerisch federnder Akzentuierung, trotz klangsprachlich differenzierter Ausarbeitung und Gestaltung des Orchesters fallen ernsthaftes Erleben, Nachvollziehen der musikalischen Einfälle schwer, weil die Kagelsche Komposition einem ständigen, zufällig wirkenden Wandel unterliegt.

Vielleicht sollten die 18 Nummern nicht als Orchester-Suite wie in Münster sondern als "Ballet d'action" aufgeführt werden. Bei einer solchen Darbietung käme die emanzipatorische, ironische Absicht des Werkes stärker zur Geltung, das gleichberechtige Nebeneinander heterogener Musiknummern sozusagen als Spiegel der barocken "Tantz-Schul", wo Hofmusik und Volksmusik gleichberechtigt nebeneinander stehen. Kagel dazu: "In seiner (d.h. Lambranzis) Tanzschule treten neben den klassischen Figuren der Commedia dell'arte wie Pantanlone, Pulcinella, Scaramuzza, Scapin und Dottore auch Unterhaltungskünstler des damaligen Varietés auf: Narren, Zauberer, Teufelsbanner, Taschenspieler, Zigeunerinnen, Schwarzkünstler, Jongleure, Männer mit zwei Gesichtern. Neben dem torkelnden Bauern der Satyr, zum adretten Höfling der Türke; Schiffer, Bacchus, Jäger, Soldaten, Bildhauer, Mohren, Gärtner, Rackettspieler, Sklaven, maskierte Geister, Purzelbaumschläger, Schuster, Hexen, Böttcher und und und.... Alles, was uns umgibt, kann zu Tanz gewandelt und zu einem szenischen Ablauf umfunktioniert werden."

Ein visuelles Erlebnis in diesem Sinne war die überwältigende Anzahl von Instrumenten und Musikern auf der Bühne: neben Streichern, Holz- und Blechbläsern, ein Flügel, Cembalo, Celesta, Gitarre, Harfe, Panflöte, die Sopranistin Claudia Rohrbach und den Tenor Hauke Möller als Gesangssolisten. Die oberste Etage der Bühne war den Schlaginstrumenten vorbehalten. Drei Schlagzeuger hatten verschiedene Ensembles aus 36 unterschiedlichen Klangerzeugern vor sich aufgebaut: z.B. ein mit Papier präpariertes Xylophon, Glockenspiel, Tempelblocks, Tambourin, Bambusrassel, Chimes, Holblocktrommel, Röhrenglocken, Becken, die singende Säge, den heulenden Waldteufel, die Peitsche, um nur einige zu nennen. Allein diese 3 Musiker agieren zu sehen, war beeindruckend, ein lustiges, tönendes Musiker-Ballett.

Kagels Utopie: "Es wäre daher folgerichtig, von einer ‚Anleitung zur Gesamtcollage' zu sprechen, wo die Grenzen zwischen den Sparten so durchlässig sind, dass weitere Entdeckungen aus der unmittelbaren Umgebung - Geschichte, Fiktion, Literatur - einmontiert werden könnten." Ein interessanter Ansatz, zu theoretisch und zu teuer in Zeiten, wo alles dem Sparzwang unterliegt.

(Zitate aus: Programmheft des 9.Sinfoniekonzerts; Mauricio Kagel, Über "Quodlibet" und anderes mehr, in: Wolfgang Gratzer (Hrsg.), Nähe und Distanz, Nachgedachte Musik der Gegenwart, Hofheim 1996


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Claudia Rohrbach
Sopran

Hauke Möller
Tenor

Alfredo Perl
Klavier

Sinfonieorchester Münster

Rainer Mühlbach
Dirigent



Mauricio Kagel (geb.1931)
Tantz-Schul. Orchester-Suite
aus dem "Ballet d'action"
(1985/87; rev. 2001)

Konzertsuite I
Nr.1: Entrée
Nr.2: Folie d'Espagne
Nr.3: Trionfo di Bacco
Nr.4: Il Dolzor
Nr.5: Nouvelle Fantastiche
Nr.6: Sarabande
Nr.7: Cogì (Così)
Nr.8: Turco con tamburino

Konzertsuite II
Nr.9: Scaramuzza…e Donna
Nr.10: Rigaudon/Rigadon
Nr.11:Galliarde I
Nr.12: Galliarde II
Nr.13: Disegno Furia, Satyro, Ciacona
Nr.14: Fenocchio
Nr.15: Scotin/Scapin
Nr.16: Rackett- und Hexentanz
Nr.17: Statue e Modelli


Ludwig van Beethoven (1770-1827)
Konzert für Klavier und Orchester
Nr.4 G-Dur, op.58 (1805/06)
I. Allegro moderato
II. Andante con moto
III. Rondo. Vivace


Maricio Kagel (geb.1931)
Tantz-Schul. Orchester-Suite
aus dem "Ballet d'action"
(1985/87; rev. 2001)

Konzertsuite III
Nr.18: Finale



Weitere Informationen

Sinfonieorchester Münster
www.sinfonieorchester-muenster.de






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