Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Konzerte
Zur Homepage Zur Konzert-Startseite E-mail Impressum



Camille van Lunen
Star over Amsterdam

A Christmas Oratorio
for soli, chorus and 12 instruments
Libretto and music by Camille van Lunen
based on the book "Tom's Tale" by Jan Michael

Amsterdam, English Reformed Church
(De Engelse Kerk)
Uraufführung am 16.12.2007
Homepage
English Reformed Church
(Homepage)
Spannend nacherzählt

Von Bernhard Drobig

Während Konzertveranstalter dem Bedürfnis nach musikalischer Begegnung mit der Christgeburt zunehmend mit wechselnden Zusammenstellungen Bach'scher Kantaten, bisweilen auch mit weniger bekannten Oratorien begegnen, ging man in der Engelse Kerk in Amsterdam, der ältesten englischsprachigen, von schottischen Geistlichen betreuten Gemeinde außerhalb des Mutterlandes, einen anderen Weg. Man vergab anlässlich des 400jährigen Bestehens einen Auftrag zur Vertonung von "Tom's Tale", einer Novelle der britischen Autorin Jan Michael, die das bethlehemitische Geschehen in die virtuelle Gegenwart der niederländischen Residenzstadt verlegt. Camille van Lunen, in Amsterdam geborene Sopranistin sowie rührige Komponistin von Vokal- und Instrumentalwerken - darunter die Kinderoper "Der Felsenjunge" -, verdichtete die prosaische Vorlage in zwölf knappe Dialoge, die schon ohne Musik in ihren Bann ziehen. Findet man doch kaum ein Wort, geschweige denn einen Satz, auf den man verzichten möchte, ja, spiegeln diese Gespräche nicht nur pralle Lebenswirklichkeit, sondern sind sie zudem treffliche Psychogramme der am Geschehen beteiligten Kinder und Erwachsenen.

Hintergrund der neu gesehenen Weihnachtsgeschichte ist die Fiktion, die Niederlande kooperierten zur Bekämpfung des Terrorismus mit einer ihr Territorium friedlich besetzenden Supermacht und fügten sich deren zweckdienlichen Maßnahmen. Eine davon ist die Anordnung, dass sich alle über achtzehn Jahre alten Bürger am 24. Dezember am Ort ihrer Geburt, die Zugereisten im Zentralhospital von Amsterdam vorstellen müssen, um dort weitere Anweisung zu erhalten, was - wie sich später herausstellt - die Implantation eines Mikrochips bedeutet. Dementsprechend wimmelt es von Zimmersuchenden.

Die Handlung beginnt in einem Hotel, geführt von der alleinstehenden Samantha, die ihren elfjährigen Sohn um Hilfe bittet, während draußen Chargen der Supermacht patroullieren (1). Erster Auftrag: Aushängung des Dekrets, nächster, Herrichten aufgegebener Bettplätze unter dem Dach (2). In der Chefetage der Tageszeitung bemäkeln zwei Journalisten Stil und Inhalt des Erlasses, planen einen kritischen Beitrag (3), in einer Klempnerwohnung debattieren Vater und Mutter über den Einsatz ihrer zwölfjährigen Tochter beim lukrativen Sichern überbeanspruchter Versorgungsleitungen (4). Samantha vergibt restliche Betten, ein letztes an Mr. Joe, einen geheilten, jetzt rechtsbesessenen Suchtkranken (5). Kaum ist die Tür verriegelt, fleht ein hochschwangerer Teenager um Einlass. Während Joe Angst vor einer Verletzung der Sperrstunde hat, bringt Tom die hilfsbedürftige Miriam in eine Tiefgaragenkammer (6). Ein allgemeiner Kurzschluss lässt die Journalisten einen unbekannten Stern entdecken (7). Bei der Behebung eines Rohrbruchs im Hotel entdecken die Klempner Miriams Baby Joshua und gratulieren wie die bald hinzukommenden Journalisten, doch Joe vermisst den Vater (8). Unbeirrt lobt Miriam den Herrn (9). Joe aber bekennt Tom, dass er seine Tochter, weil unverheiratet schwanger, vertrieben und verloren hat. Jetzt lesen beide in der Morgenzeitung vom circulus vitiosus der Terrorismusbekämpfung und der nächtlichen Geburt eines Kindes als eines Zeichens der Hoffnung auf Menschlichkeit (10). Folge des Artikels freilich ist ein neuer Erlass, der alle soeben niedergekommenen Mütter mit ihren Babys ins Zentralhospital beordert. Miriam verzweifelt. (11). Beim Frühstück erfährt Tom, dass Joe - notabene: er - Miriam und Joshua heimlich aus der Stadt gebracht hat (12). Im Epilog reflektiert Samantha mit einem Bibelvers (Joh. 1,14) über Licht, Friede und Liebe, die kamen, um Dunkelheit, Streit und Hass zu besiegen, woraufhin alle, auch das Auditorium, das alte "In dulci jubilo" anstimmen, das der Chorsopran mit dem cantus firmus "Glory now to God we render" (vierte Strophe des Nicolai-Chorales "Wachet auf") überhöht.

Camille van Lunen überführte dieses Libretto in ein rund einstündiges Klanggeschehen für Soli, Chor und Kammerorchester. Dabei handelt es sich, abgesehen vom tonalen Chorepilog, um tonartfreien Sprechgesang und ihn einfallsreich ergänzende Instrumentalfarben, erinnert manches an Benjamin Britten. Die Deklamation der Texte wirkt bei aller Anlehnung an heute übliche Rezitationsstilistik wie aus dem natürlichen Sprachduktus heraus entwickelt und führt trotz manch krasser Intervallsprünge nicht in Extremlagen. Melodisches ist auf Miriams Halleluja beschränkt, das inhaltsgerecht uralten modalen Tempelgesang einzufangen scheint. Textkonform liegen Dekrete auf einem Ton, wird Reflektives gesprochen. Kurzen Ensembleszenen ist polyphones Gewebe zugedacht.

Essentieller Bestandteil der Textvermittlung sind die vorgelagerten bzw. weiterführenden Instrumentalpassagen, die teils kurze, bisweilen dem Sprechgesang ähnelnde, auch durch Triller retardierte Linien bilden, oftmals mehr oder weniger girlandenartige Floskeln sind. Insgesamt betrachtet wirken sie, als hörte man neben den ausformulierten Aussagen auch den sie mitbestimmenden Kontext, zumal einiges gleichsam motivische Funktion hat. Beispielsweise beginnen die erste und letzte Dialogszene mit einem Violoncell- und Hornmotiv, das man mit Samanthas Fürsorglichkeit und Tom's erwachendem Selbstbewusstsein konnotieren möchte. Realistisch markieren Trommelklänge Patrouillen- und Ediktrigidität, schnippisch anmutende Oboen die zynisch-kritischen Journalistengespräche, die sich übrigens in auffällig einstufigen Wechselnoten darstellen, während tiefe Klarinetten Miriams Bangen sowie Joe's Erinnerung umschreiben und anmutige Intervallrepetitionen der Celesta auf Sphärisches verweisen. Darüber hinaus spiegeln immer wieder, obwohl nicht durchgängig, sich in engen Tonräumen aufbauende Streicher-Cluster mit gleichsam schwebenden Klängen die der Situation inhärente Spannung oder implizierte Mystik. Mitbedingt durch reichhaltigen, nur im Notenbild wahrnehmbaren Rhythmuswechsel und durch weitgehenden Verzicht auf instrumentale Tutti, reißt jedenfalls die schnell erreichte Hochgespanntheit nie ab, gerät man durch die straffe Bündelung der Ausdrucksmittel in einen Sog, der nach Miriams Rettung wie organisch in die abschließende E-Dur-Hymnik drängt.

Vergrößerung in neuem Fenster Gemma Jansen (Miriam)
Probenphoto: John Cowie

Für die exklusiv von Sponsoren getragene Uraufführung hatte die übrigens mit rund 70 Konzerten pro Jahr aktive, der Engelse Kerk verbundene Academy of the Begijnhof leistungsstarke Künstler ihres Fachs aufgeboten, Mitglieder etwa des Concertgebouworchesters, einen jungen professionellen Kammerchor und sechs theatererfahrene Vokalsolisten, die sich bei aller spürbaren Hingabe jeder gekünstelten Theatralik enthielten: In ihrer Einfühlsamkeit ergreifend lieh Gemma Jansen ihren jugendlich klaren Mezzosopran der um ihre Erstgeburt so angelegentlich besorgten Miriam, lebensnah zeichnete Ingrid Kappelle mit eher dramatisch geartetem Diskant die Hotelchefin Samantha, liebenswürdig eindrucksvoll gestaltete eine Schülerin der Komponistin den ihr gleichaltrigen Tom. Tenor Richard Zook und Bariton Mitchell Sandler boten mit relativ hellem Timbre griffige Charakterstudien der schreibenden Zunft, Charles van Tassel mit dunklerem und fülligerem Bariton ein zwingendes Profil des aus missglücktem Lebensentwurf zu vorbildlicher Menschlichkeit zurückfindenden Mr. Joe.

Sarah Barrett, Sopranistin und Gründerin der hier mit sechzehn ausgewogenen Stimmen auftretenden, auch kleinere Nebenrollen zutreffend abdeckenden Haarlem Voices, sicherte dem Werk optimale Prägnanz und Transparenz. Gern würde man ihm auch in größeren Kirchen und Konzertsälen bzw. bei günstigeren halbszenischen Entfaltungsmöglichkeiten wiederbegegnen. Die Besucher der Uraufführung jedenfalls zeigten sich hellauf begeistert.

Fazit:

Jan Michael und Camille van Lunen erschließen mit ihrer umsichtig mutigen Verlagerung der Christgeburt in eine kritisch hinterfragte Gegenwart dem biblischen Mysterium neue Sinntiefe und mystische Spannkraft.




Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)
Ingrid Kappelle (S)
Samantha

Gemma Jansen (MS)
Miriam

Richard Zook (T)
Newspaper editor

Mitchell Sandler (Br)
Newspaper editor

Charles van Tassel (Br)
Mr Joe

Anna Rabe (Kindersopran)
Tom

Haarlem Voices

Begijnhof Chamber Group
(Academy of the Begijnhof)

Sarah Barrett
Leitung



Camille van Lunen
Star over Amsterdam
A Christmas Oratorio
for soli, chorus and 12 instruments
Libretto and music by Camille van Lunen
based on the book "Tom's Tale" by Jan Michael



Weitere Informationen

Amsterdam
English Reformed Church
(De Engelse Kerk)
www.ercadam.nl






Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Zur Konzert-Startseite E-Mail Impressum
© 2008 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: konzerte@omm.de

- Fine -