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Tradition in Reinkultur
Von Gerhard Menzel
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Fotos: © Klaus Rudolph
Nachdem Kurt Masur als "In Residence"-Dirigent der vergangenen Spielzeit im Februar dieses Jahres mit dem Orchestre National de France in drei gefeierten Konzerten in der Philharmonie Essen zu erleben war (siehe OMM-Bericht), kam er nun mit dem Königlichen Concertgebouworkest aus Amsterdam erneut nach Essen und präsentierte ein Programm mit zwei Repertoirewerken der Spätromantik. Nach einer Kritikerumfrage wurde das Königliche Concertgebouworkest Amsterdam auf Grund seines "Charakters" (es wurde vor allem Wert auf einen "besonderen" gegenüber einem international gleichförmigen Orchesterklang gelegt) vom britischen Klassik-Magazin "Gramophone" gerade erst als weltbestes Ensemble ausgezeichnet - noch vor den Berliner Philharmonikern, den Wiener Philharmonikern und dem London Symphony Orchestra. Den ersten Teil des Abends füllte das 1. Klavierkonzert von Johannes Brahms. Zunächst als dreisätzige Sonate für zwei Klaviere geplant, begann der 21-jährige Brahms - trotz Ehrfurcht und Selbstzweifel gegenüber Beethovens alles "überschattenden" Sinfonien - den ersten Satz zu instrumentieren. Letztendlich entschied er sich aber für einen Mittelweg, ein Konzert für Klavier und Orchester. Das wie eine Sinfonie mit obligatem Klavier angelegte Werk wurde bei den ersten Aufführungen allerdings weder vom Publikum, noch von der Kritik positiv aufgenommen. Im Jahrhundert der Virtuosen stieß es auf Unverständnis und Ablehnung, was dazu führte, dass Brahms seine sinfonischen Ambitionen für fast zwei Jahrzehnte ad acta legte. Inzwischen gehört das 1. Klavierkonzert von Johannes Brahms zum Standardrepertoire der Pianisten, wenn auch der erste Satz - trotz seiner der Tradition der Wiener Klassik verpflichteten Form - bisweilen immer noch als sperrig und konstruiert rezipiert wird.
In Essen war es der 63-jährige brasilianische Pianist Nelson Freire, der dieses ungewöhnlich neuartige Werk des jungen Brahms mit all seiner großen Erfahrung und sensiblen Gestaltungsart regelrecht zelebrierte. Freire, der trotz seiner nur sporadischen Präsenz im Konzertbetrieb immer wieder aufhorchen lässt und mit renommierten Preisen ausgezeichnet wird, ist wahrlich kein "Tastenlöwe", sondern spürt den "inneren Werten" der Kompositionen nach und lässt sie gänzlich unprätentiös und kultiviert erklingen. In sofern ist dieses Konzert geradezu ein ideales Stück für Nelson Freire, in dem der virtuose Ornamentik vermeidende Solopart des Klaviers in den sorgfältig und aufwändig komponierten Orchestersatz integriert ist.
Im zweiten Teil des Konzerts erklang dann das wohl berühmteste Werk von Antonín Dvorák, die 9. Sinfonie "Aus der Neuen Welt". Völlig berechtigt konstatierte schon Johannes Brahms "Der Kerl hat mehr Ideen als wir alle." Was Erfindungsreichtum und melodische "Ohrwurmtauglichkeit" angeht ist Dvorák wirklich überragend und die Fähigkeit, seine tschechischen Wurzeln mit Anklängen an Spirituals und Indianertänze zu verschmelzen, machten ihn zunächst in Amerika, dann in der ganzen Welt zu einem der gefragtesten und berühmtesten Komponisten seiner Zeit. Unter der umsichtigen und von gemäßigter Leidenschaft geprägten Leitung von Kurt Masur ließ das der Spätromantik ganz besonders verpflichtete Koninklijk Concertgebouworkest - das dieses Jahr bereits seinen 120. Geburtstag feiern konnte - Dvoráks Meisterwerk in allem Glanz und all seinen changierenden, bisweilen kräftigen Farben erblühen. Während die Streicher und das Holz so richtig aus dem Vollen schöpfen konnten, hielt Masur das Blech durch eindeutige Gesten immer wieder zu Mäßigung an, was einigen exponierten Stellen doch etwas zu sehr die Strahlkraft nahm. Dessen ungeachtet war es eine insgesamt stimmige und der Komposition vollauf gerecht werdende Interpretation von ausgewiesenen Spezialisten der Spätromantik. Trotz stehender Ovationen verließen Kurt Masur und das Concertgebouworkest recht schnell und ohne Zugabe den Alfried Krupp Saal - hoffentlich um in nicht allzu langer Zeit wieder in die Philharmonie Essen zurückzukehren. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Nelson Freire Klavier Koninklijk Concertgebouworkest Amsterdam Kurt Masur Dirigent Johannes Brahms Konzert Nr. 1 d-Moll für Klavier und Orchester, op. 15 Antonín Dvorák Sinfonie Nr. 9 e-Moll, op. 95 "Aus der Neuen Welt" Gefördert von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung.
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