Im Piano liegt die Kraft Von Christoph
Wurzel
Cecilia Bartoli ist zu Vivaldi zurückgekehrt. Vor
ca. 12 Jahren hatte sie mit einem Vivaldi-Album die beeindruckende Serie ihrer
Solo-Recitals begonnen, in denen sie ihr
Publikum durch die weiten Gefilde des Belcanto zwischen Barock und Romantik
geführt hat. Nun hat sie sich also wieder dem Venezianer zugewandt und bot bei einer
Tournee, die in Baden-Baden endete, eine bis auf zwei Ausnahmen neue,
hinreißende Auswahl seiner Arien. Mit dem enorm engagierten Ensemble Matheus
präsentierte sie nicht weniger als ein Dutzend Trouvaillen aus der Feder des
kessen Priesters, dessen Opernschaffen in den letzten Jahren immer mehr bekannt
und geschätzt wird. Und es ist wirklich erstaunlich, wie vielfältig Vivaldis
Arien sein können und mit welchem Raffinement sie komponiert sind. Die Bartoli
besitzt nun auch die nötige Souveränität in sängerischer Technik ebenso wie im
Ausdruck, dass sie diese kleinen Edelsteine
intensiv zum Funkeln bringen kann und das Orchester unter
Jean-Christophe Spinosi kostet noch jede kleinste Nuance von Vivaldis
sinnenfroher Klangsensibilität aus und kann besonders im feinnervigen
Pianospiel regelrecht atemberaubend sein.
Die Bartoli schlug einen spannungsreichen Bogen von
heißblütigen Wahnsinnsarien über kontemplative Naturidyllen bis hin zu
anrührend verzweifelten Lamentos. In der Totenklage des Farnace über seinen
Sohn hört man, ja fühlt man gleichsam mit, wie das Blut in den Adern friert (Gelido in ogni vena scorrer mi sento il
sangue), wenn die Streicher ähnlich wie in Vivaldis Winter ihre staccati fahl über die Saiten schieben und die Bartoli
die Stimme derart zurücknimmt, dass fast nur noch ein Hauch von dieser Trauer
zu hören ist, die aber umso mehr unter die Haut geht, je leiser sie besungen
wird. Die Bartoli kreiert Vivaldis musikalische Affekte, sie stellt sie nicht
nur aus.
Mit
ihrer Wandlungsfähigkeit, ihrer Kunst innerhalb einer Arie blitzschnell in
gegensätzliche Dimensionen des Ausdrucks zu wechseln, faszinierte sie gleich zu
Beginn in der Eifersuchtsarie Gelosia, tu
già rendi l’alma mia dell’inferno assai peggior aus Ottone
in Villa, wenn sie in der zweiten Strophe mit neuer weicher Stimmfärbung
einen ganz anderen musikalischen Charakter gestaltet, die flehende Bitte, dass
der Schmerz über die Eifersucht aber nicht töten möge. Mag bei Cecilia Bartoli
in der Vergangenheit mitunter eine Portion Manierismus in der Stimme
mitgeschwungen haben, so ist ihr Gesang inzwischen ganz bei echten Gefühlen
angekommen. Die Bartoli zeigte sich in diesem Konzert als wahre
Gefühlsweckerin.
Mit
ihrer stupenden Technik entfachte sie in der Arie des Idaspe Das Meer scheint euch zu verschlingen aus Bajazet
einen Koloratur-Tornado
sondergleichen, bei dem gleichwohl jeder Ton gestochen scharf zu hören war. Und
in der Arie Se mai senti spirarti aus Catone
in Utica, in der der leise Hauch des Windes auf dem Antlitz des Geliebten
besungen wird, strahlte ihr weiches Timbre höchste Ruhe und inneren Frieden
aus.
Jean-Christophe
Spinosi dirigierte sein Ensemble Matheus höchst sportiv und die sichtbare
Begeisterung an der Musik steckte zuerst die Instrumentalisten an und schwappte
schnell auf das Publikum über. Mehrmals griff er auch selbst zur Violine, um
den obligaten Begleitpart bei einer Arie zu übernehmen. Und gegen Schluss des
Konzerts führte der Gleichklang von Sängerin, Dirigent und Instrumentalisten,
dieses Musizieren aus demselben Geist
heraus, mit der geigen-begleiteten Arie des Perseo Sovente il sole risplende in cielo aus Andromeda liberata wohl zum
Höhepunkt des Konzertabends, als diese Arie zu einer Art Doppelkonzert für
Stimme und Violine wurde und das Publikum schon vor dem eigentlichen Schluss zu
Begeisterungsstürmen hinriss. Als Zugaben folgten noch zwei Händelarien, bei
deren letzter das Ensemble Matheus auch mit der strahlenden Trompete noch
einmal allen barocken Orchesterglanz aufleuchten ließ.
FAZIT
Soviel Jubel ist auch in Baden-Baden selten. Und er
war mehr als berechtigt.
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