Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Konzerte
Zur Homepage Zur Konzert-Startseite E-mail Impressum



 Zeitinsel I - Expedition Salonen

17. September 2010

Tristan und Isolde

Handlung in drei Aufzügen
Text und Musik von Richard Wagner

halbszenische Aufführung

Homepage

Konzerthaus Dortmund (Homepage)
Große Bilder, große Musik

Von Stefan Schmöe / Fotos: © Benjamin Ealovega, Tristan video imagery: © Bill Viola Studio

Es war ein ausgesprochen spannendes Unterfangen, vor sechs Jahren Wagners Tristan und Isolde, diesem von Rückblenden und Reflexionen durchzogenen Werk, die jede reale Zeit aushebeln und dem Werk eine ganz eigene, rätselhafte Zeitstruktur verleihen, mit einer Installation des Videokünstlers Bill Viola zu kontrastieren – denn auch der erschafft sich in seinen Arbeiten eigene Zeitstrukturen, arbeitet mit Zeitlupen und Superzeitlupen, die Handlungsabläufe der Realität entrücken und bis ins Unendliche extrahieren. Ursprünglich entstand „The Tristan Project“ in Zusammenarbeit mit dem Dirigenten Esa-Pekka Salonen für drei Konzerte, in denen jeweils ein Aufzug aus Tristan und Isolde anderen Werken gegenüber gestellt wurde (Los Angeles, 2004); ein Jahr später setzte Regisseur Peter Sellars an der Pariser Opéra de Bastille die Einzelakte zur gewohnten Form zusammen, reduzierte parallel dazu das szenische Bühnengeschehen gleichzeitig auf ein Minimum von pantomimischen Gesten. Seitdem ist die Produktion weltweit mehrfach gezeigt worden – und jetzt auch im Dortmunder Konzerthaus angekommen: Als „halbszenische“ Aufführung angekündigt und doch vollständiger als die meisten Bühnenaufführungen.

Vergrößerung in neuem Fenster

In der Rhein-Ruhr-Region ist Bill Viola wohl am ehesten durch seine Five Angels for the Millennium bekannt, die 2003 im Gasometer Oberhausen zu erleben waren – und wer die grandiose Videoinstallation über fünf Leinwände in diesem kathedralenartigen Raum gesehen hat, dem dürften sich die Bilder nachhaltig eingeprägt haben. Vieles aus dem „Tristan Project“ erinnert an diese Ästhetik, so das verlangsamte Eintauchen in glasklares Wasser. Die Elemente Feuer und vor allem Wasser, nehmen eine beherrschende Rolle in dieser Installation ein, die nicht versucht, den Tristan bildnerisch nachzuerzählen oder in den Rückblenden zu ergänzen. Vielmehr setzt Viola dem Musikdrama ein durchaus autonomes, dabei sehr genau mit Musik und Text korrespondierendes Kunstwerk entgegen. Als bloße Dienerin der Oper versteht es sich sicher nicht, und das es bisweilen in seiner Bildmächtigkeit von der Musik ablenkt, muss man ihm schon zugestehen. Dafür entsteht hier etwas Neues, das man wohl am besten mit dem Wagnerschen Begriff „Gesamtkunstwerk“ umschreiben kann.

Jeder der drei Aufzüge hat andere Akzente. Im ersten sieht man (nach fast naturalistischem Beginn mit aufgewühlter See) in zwei getrennten Bildfenstern eine Frau und einen Mann in mittelalterlich anmutenden Kammern, die sich sehr langsam und geradezu ritualhaft entkleiden, ihre Gesichter in mit Wasser gefüllte Schüsseln tauchen,dann von Dienerin und Diener mit Wasser übergossen werden – ein langer Prozess der Reinigung. Der zweite Aufzug wird dominiert von aufloderndem Feuer und Aufnahmen von Körpern unter Wasser mit aufsteigenden Luftblasen. Im dritten werden Tristans Fieberträume mit unscharfen, schwarz-weißen und grobkörnigen – und deshalb nur schemenhaft wahrnehmbaren – Bildern begleitet, als seien es verlöschende Visionen eines Sterbenden. Gleichzeitig macht das reduzierte Spiel vor dem Orchester, aber auch Auf- und Abtritte auf den Balkonen und im Zuschauerraum, die Handlung so klar erkennbar, dass die Gefahr eines überdimensionierten Videoclips gebannt ist, weil dann doch immer noch die andere, die narrative Ebene präsent ist.

Grandios ist aber auch die musikalische Umsetzung. Esa-Pekka Salonen (dem das Konzerthaus Dortmund eine kleine, aber programmatisch exponierte Konzertreihe gewidmet hat, die „Expedition Salonen“) dirigiert mit einer Expressivität, die noch die letzten Winkel dieser unglaublichen Partitur auslotet, mit starken Temposchwankungen, die dennoch immer organisch klingen und durch den hochdramatischen, ja fast überspannten Gestus der Musik hervor heben sind. Das Londoner Philharmonia Orchestra hat nicht die Präzision der besten amerikanischen und nicht die klangliche Homogenität und Rafinesse der besten kontinentaleuropäischen Orchester, aber es besticht durch die enorme Flexibilität, mit der es dem Dirigenten folgt. Und im Verlauf des Abends verschmelzen Dirigent, Orchester und Solisten zu einer Einheit, die nur noch dem unwiderstehlichen Sog der Musik zu folgen scheint. Wenn dann am Ende des ersten Aufzugs noch Chor und Ferntrompeten vom Rang aus ertönen, dann entsteht ein Raumklang, wie man ihn nicht so schnell wieder hören wird.

Vergrößerung in neuem Fenster

Trotz der Klangballungen, die Salonen da auftürmt, strahlt die Riesenstimme von Violeta Urmana mit metallischem Glanz und scheinbar unangestrengt über das Orchester hinweg. Leuchtend und strahlend und mit hochdramatischer Attitüde, aber auch dem Willen zur detaillierten Ausgestaltung meistert die Sängerin die Partitur, dürfte dabei sicher hier und da auch dem immer noch mehr als nur tragfähigem Piano trauen – zwar differenziert sie durchaus, neigt aber zu den „großen“ Lautstärken. Gary Lehman als Tristan muss mit seiner ganz leicht baritonal eingedunkelten und ein wenig aufgerauhten Stimme vorsichtiger haushalten und sich die Partie einteilen, entwickelt in der kraftvollen, weitgehend unangestrengten Höhe aber durchaus Glanz, bewältigt aber auch die lyrischen Passagen mit wenn auch nicht belcantistisch schönem, so doch warmem und „rundem“ Ton.

Vergrößerung in neuem Fenster

Jukka Rasilainen gestaltet den Kurwenal ein wenig poltrig, dabei aber stimmlich souverän. Grandios ist der im Klang geheimnisvoll verschattete, dann aber kraftvoll auftrumpfende Marke von Matthew Best. Hervorragend auch Stephen Gadd als metallisch strahlender Melot, der mit wenigen Tönen die Figur eindrucksvoll umreißt. Ordentlich sind auch die kleineren Partien besetzt, ebenso der vom Dortmunder Konzerthaus gestellte Chor. Dasalles gehört sicher zum Besten, was man derzeit für Tristan und Isolde aufbieten kann. Wünsche offen bleiben da am ehesten bei der Brangäne von Anne Sofie von Otter, die nach eindrucksvollem und ausdrucksstarkem Beginn zunehmend Verschleißerscheinungen zeigt und mit forcierter Stimme mehr und mehr dem großformatigen Klangvorstellungen des Dirigenten Tribut zollen muss.

Das Konzerthaus Dortmund darf sich gratulieren lassen, mit Produktionen wie dieser nicht nur große Namen engagiert zu haben (die gibt es auch im weiteren Verlauf der Saison noch in Hülle und Fülle), sondern auch programmatische Akzente zu setzen. Die „Expedition Salonen“ gipfelt in einer Opernaufführung von singulärem Rang. Das Publikum dankte mit stehenden Ovationen.




Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)
17.09.2010
Richard Wagner
Tristan und Isolde

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Esa-Pekka Salonen

Inszenierung
Peter Sellars

Video
Bill Viola

Lichtdesign
Ben Zamora

Choreinstudierung
Joachim Gerbens


Chor und Chorakademie
am Konzerthaus Dortmund

Philharmonia Orchestra


Solisten

Tristan
Gary Lehman

Isolde
Violeta Urmana

Brangäne
Anne Sophie von Otter

Kurwenal
Jukka Rasilainen

Marke
Matthew Best

Melot
Stephen Gadd

Hirte, junger Seemann
Joshua Ellicott

Steuermann
Darren Jeffery



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Konzerthaus Dortmund
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Zur Konzert-Startseite E-Mail Impressum
© 2010 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: konzerte@omm.de

- Fine -