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Konzert der Berliner Philharmoniker
Dirigent: Nikolaus Harnoncourt


Philharmonie Berlin 27. Oktober 2011 (Wiederholung: 28. und 29.Oktober 2011)


Berliner Philharmoniker
(Homepage)
Wenn das ff knallt und das pp zum Flüstergeräusch verebbt

Von Ursula Decker-Bönniger

Nikolaus Harnoncourt, 1929 in Berlin geboren und bis 1969 Cellist bei den Wiener Symphonikern, experimentiert seit den 1950er Jahren mit historischer Aufführungspraxis, den Klangbesonderheiten alter Instrumente, mit barocker, an Affekt und Rhetorik orientierter Klangrede. Seine am 27., 28. und 29. Oktober 2011 gemeinsam mit Gesangssolisten, dem Rundfunkchor Berlin und den Berliner Philharmonikern präsentierte Interpretation der 1807 erstmals erklingenden C-Dur Messe und der titanischen, im Dezember 1808 erstmals aufgeführten 5. Sinfonie Ludwig van Beehovens kamen „Uraufführungen“ gleich.

Harnoncourt inszenierte Beethovens C-Dur Messe geradezu. Kompositorisch dem klassischen, motivisch-thematischen Dialogprinzip verpflichtet, lebt seine Interpretation zugleich von barocker Wortausdeutung und einer den Vokal- und Orchesterklang bis ins letzte Detail transparent inszenierenden Affektrhetorik. Ergebnis ist eine romantisch-sinfonische Dichtung über den von Bekenntnisfreude und emphatischen Stimmungswechseln getragenen, liturgischen Text des Ordinarium Missae. Ergebnis war zugleich ein an Homogenität, Präzision und Transparenz kaum zu überbietendes musikalisches Miteinander des flexiblen, mit schlanken, jungen Stimmen besetzten Radiochors Berlin, der Berliner Symphoniker und der Gesangsolisten, deren lyrisches Timbre sich wunderbar mit dem Chorklang verband. Wie homogen und mit welch konzentriertem Spannungsbogen auch die sehr leisen, in sehr langsamem Tempo erklingenden Unisonostellen z. B. zu Beginn des Sanctus dargeboten wurden. Wie im Benedictus die Zeit geradezu stillzustehen scheint ... wie der Ton im Miserere zu einem Flüstergeräusch verebbt ...

Und die 5.Sinfonie, deren rhythmisch-melodisch markantes Ausgangsmotiv symbolisch das Schicksal an die Pforten klopfen lässt? So transparent, den lebendigen Fluss und die dynamischen Triebkräfte hervorhebend, hatte man die zu den bekanntesten klassisch sinfonischen Werken gehörende Sinfonie noch nicht gehört. Harnoncourts in der Tradition und Aufführungspraxis barocker Musik stehende Analyse und Interpretation räumt nicht nur mit einer an Klangverschmelzung und Ausgewogenheit orientierten klassischen Musikästhetik auf. In kaum zu überbietender Perfektion und Differenziertheit machten die Berliner Philharmoniker zugleich hörbar, nachvollziehbar, wie sehr diese Komposition, ihr „Aufruhr, Umsturz und Umwertung aller musikalischen Werte“ uns heute aufrüttelt und Beethovens Zeitgenossen erschüttert haben muss.

Harnoncourts rhetorisch und affektdifferenzierte Klangarchitektur überrascht. Eruptive, knallig schmetternde Akkord- stehen unmittelbar neben solistisch anmutenden, kammermusikalisch reduzierten Orchesterpassagen, statische Klangflächen in extremem, homogen ausgeführtem Pianissimo neben dynamisch treibender Dramatik. Hinzu kommen verschiedenste, den thematischen Fluss, Rhythmik und dramatischen Aufbau unterstützende Artikulationen der Instrumentengruppen. Jedes Achtel ist kurz. Jeder längere Einzelton federt dynamisch. Lange, ausgehaltene Töne gibt es so gut wie gar nicht. Die Tempogestaltung ist funktional. Jeder Takt ist eine Entwicklung. Ein so entstehender Spannungsaufbau legt Brüche offen, unterstreicht – ausgehend von dem Grundcharakter der jeweiligen Sätze - auch die rhythmische Vielfalt und kontrastive Dramatik zwischen den Orchestergruppen.

An manchen Stellen z.B. den vielen leisen, aus der Stille entstehenden Entwicklungen, dem abrupten Abbrechen derselben mittels einer statischen, dissonanten Klangschärfung der Holzbläser im 1.Satz (kurz bevor die an diesem Abend wunderbar intonierenden Hörner zum 2. Thema überleiten) schien die 5. Sinfonie Beethovens wirklich neu erfunden zu sein. Besonders faszinierte auch im tänzerisch federnden 2. Satz die Übergangsgestaltung mit virtuosen, dynamisch differenzierten Streicher-Spielweisen und einsetzenden Holzbläsersoli, eine wunderbar humorvoll wirkende Passage im 3. Satz, wo zu abgehackten, sehr leisen, zum Geräusch verklingenden, pizzenden Streichern das Thema im Fagott aufgegriffen wird oder die ebenso humorvolle Schlussgestaltung der Sinfonie, die auch dem Hörer des 21. Jahrhunderts die Wiederholung der Schlussakkorde nicht erspart, sondern im Gegenteil durch mehrfache, lange, vorgeschriebene Pausen sogar noch verstärkt.

Beethovens unleserliche autographe Partituren, die nur sein Kopist Schlemmer entziffern konnte, sind bekannt. Ebenso seine Arbeitsweise mit Skizzenbüchern, sein jahrelanges Ausbrüten , ständiges Korrigieren, Verwerfen, Verbessern des gerade aktuellen Materials. Allein vom Einleitungsthema im 2. Satz sollen 14, innerhalb von 8 Jahren entstandene Versionen existieren. Umso wichtiger wäre es gewesen, im Programmheft Auskunft darüber zu finden, auf welche der Fassungen Harnoncourt in seiner Interpretation zurückgegriffen hatte. Andere, im Programmheft mit keiner Zeile erörterte Fragen betreffen den Orchesterklang. Kamen bei den schmetternden Akkorden im Fortissimo im 3. Satz auch mit moderner Technik ausgestattete Nachbauten historischer Posaunen und Trompeten zum Einsatz? Versuchte man die Direktheit des historischen Klanges durch die Fellbespannung der Pauken oder (nur) den Einsatz harter Schlägel zu verstärken? Es sind Fragen, die sich dem interessierten Hörer bei einer solchen Neuinterpretation geradezu aufdrängen, die jedoch das wunderbare musikalische Erlebnis in keiner Weise beeinträchtigen. Und die Berliner schienen sich ihrer faszinierenden Leistung bewusst zu sein! 3 Minuten nach 22 Uhr verließen die Musiker die Bühne, während der Maestro wegen des nicht enden wollenden Beifalls sich noch einmal herausbitten ließ.




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Programm:


Ludwig van Beethoven:

Messe C-Dur op. 86
für Soli, Chor und Orchester

Symphonie Nr. 5 c-Moll op. 67

Ausführende:


Julia Kleiter,
Sopran

Elisabeth von Magnus,
Mezzosopran

Werner Güra,
Tenor

Florian Boesch,
Bass

Rundfunkchor Berlin
(Einstudierung: Simon Halsey)
Berliner Philharmoniker

Nikolaus Harnoncourt,
Leitung



Weitere Informationen
erhalten Sie von den
Berliner Philharmonikern
(Homepage)



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