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„Von Hämmern und Stimmen“ -
dieses Leitmotiv setzte der künstlerische Leiter Winrich Hopp über das
diesjährige Musikfest Berlin, das alljährlich zu Beginn der
Konzertsaison in der Hauptstadt einen ersten bedeutenden
programmatischen Akzent setzt. In diesem Jahr bot das Musikfest (unter
dem früheren Namen „Berliner Festwochen“ schon bestens eingeführt) an
19 Festivaltagen 25 Konzerte in der Philharmonie, im Konzerthaus, im
Radialsystem und in der Gethsemanekirche, deren Programme, wie es die
Leitidee wollte, die Spannweite zwischen dem Perkussiven und dem
Atmenden in der Musik ausloten wollte. Gleichzeitig legte das
Programm-Angebot aus insgesamt 75 Werken von 35 Komponisten deutliche
Schwerpunkte, einerseits auf die beiden Jahresjubilare Franz Liszt und
Gustav Mahler und andererseits auf zwei Fixpunkte der musikalischen
Moderne, Luigi Nono und Wolfgang Rihm. Natürlich ließen sich dabei
neben allen Unterschieden in diesem Komponistenquartett die Elemente
„Schlag“ und „Stimme“ auch als Verbindendes zeigen, was in den beiden
Eröffnungskonzerten eindrücklich zu erleben war. Hier waren Franz Liszt
und Wolfgang Rihm gegenüber gestellt, wobei vor allem die beiden Werke
Rihms den Bogen zwischen vokaler Innerlichkeit und extrovertierter
Orchestervirtuosität weit ausspannten.
Berliner
Gethsemanekirche als KonzertortIn der besonderen sakralen Atmosphäre der Gethsemanekirche mit ihrer
ausgeprägten Nachhall-Akustik führte das Huelgas-Ensemble gemeinsam mit
dem Minguet Quartett Wolfgang Rihms et
lux auf, eine rund einstündige Musik für jeweils ein
vierstimmiges Vokal- und Streicher-Ensemble, die zwar auf den Gedanken
des lateinischen Requiems beruht, aber diesen Text in keiner Weise
liturgisch auffasst, sondern lediglich Fragmente daraus, teilweise nur
als Vokalisen in Töne setzt. So entsteht eine höchst meditative Musik,
die einen weiten Assoziationsraum öffnet zwischen Bangen (dies irae)
und Hoffen (lux aeterna), Verzweiflung (tremens factus sum) und
Erlösung (libera me), dabei aber nicht auf religiöse Gefühle festlegt,
sondern in emotional allgemein erfahrbare Klangwelten
führt, die zwischen der frühen Mehrstimmigkeit über
Gesualdos herbe Dissonanzen, über romantische Harmonien bis hin zu den
Tonclustern der Moderne hin und her floaten. Ohne große rhythmische
Kontraste fließt die Musik in meist ruhiger Bewegung. Durchbrochen wird
der vorherrschend vokale Klangcharakter von instrumentalen
Akzentuierungen der Streicher, scharrenden Tremoli, schneidenden
Pizzicati oder auch weichen Legatolinien. Das Huelgas-Ensemble, mit der
Alten wie der Neuen Musik gleichermaßen hochprofessionell vertraut,
interpretierte den klanglichen Mikrokosmos dieser Musik mit
höchstem Gespür und in technischer Perfektion. Exzellent ergänzte das
Minguet Quartett die vokalen durch fein ziselierte instrumentale
Klangfarben. So stellte sich an diesem Abend ein besonderes Erlebnis
musikalischer Introspektion ein.
Vollkommen extrovertiert
zeigte sich am nächsten Abend in der Philharmonie Rihms Musik für
großes Orchester Verwandlung 3
, das gespielt vom Philadelphia Orchestra den offiziellen Auftakt des
Musikfestes einleitete. Zeigt sich Rihm in et lux als Meister musikalisch
höchst sensitiver Kleinteiligkeit, so wird in diesem zehnminütigen
Orchesterstück klanglich vor allem gewuchert. Nach einem
Fortissimoschlag zu Beginn entwickelt sich ein komplexes symphonisches
Geschehen, das den großen Orchesterapparat souverän bedient und in
großorchestraler Manier der späten Spätromantiker wie Strauß oder
Korngold monumentale Klangwellen entfacht. Das Philadelphia Orchestra
ließ sich mit diesem Einstieg in sein Gastkonzert mit virtuosem Furor
und brillanter Klanggebung wahrlich nicht lumpen. Es folgte dann Liszts
2. Klavierkonzert ,
in dem Jean-Yves Thibaudet die perkussive Saite anschlagen konnte und
damit auch nicht sparte. Der exzellenten Akustik der Philharmonie sei
Dank, dass er das Orchester nicht an die Wand spielte - und dem überaus
wachsamen Routinier Charles Dutoit am Pult. Dadurch wurde Liszts
Klavierschlager dann doch noch zu einem auch bisweilen Ohren
schmeichelnden Stück von Feinfühligkeit.
Dass die Sinfoniker aus Pennsylvania mit Recht zu den Big Five der
amerikanischen Orchester zählen, bewiesen sie spätestens in der
abschließenden Symphonie fantastique
von Hector Berlioz. Hier wurde eine Klangbalance hörbar, die selten
erreicht wird und die Soli waren von solch instrumentalem Feinschliff,
dass es eine Freude war. Hier war ein Orchester gekommen, dessen
Perfektion wirklich nicht mehr zu überbieten ist. Und doch blieb ein
kleiner Rest an Wünschen offen: im Ausdruck, in der musikalischen
Gestaltung dessen, was zwischen den Noten steht und über reine Technik
hinausreicht in die Sphäre des Gefühls – in diese Dimension der Musik
stieß bei aller Brillanz dieses Orchester nicht allzu weit vor. Der Gang zum Richtplatz des musikalischen Helden
beim Romantiker Berlioz ließ einen beim Hören dann doch etwas kalt.
FAZIT
Schon die
Eröffnungskonzerte spannten also einen Bogen aus, führten dahin, wo
Musik uns im Innersten berührt und dahin, wo sie große Gemälde
ausbreitet. Leider war eine Synthese aber im Falle von Berlioz’ Episode
aus dem Leben eines Künstlers nicht ganz gelungen.
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2. September 2011
Huelgas Ensemble
Minguet Quartett
Paul Van Nevel, Dirigent
Wolfgang Rihm
Et Lux
Für Vokalensemble und Streichquartett (2009)
3. September 2011
Jean-Yves Thibaudet, Klavier
The Philadelphia Orchestra
Charles Dutoit, Dirigent
Wolfgang Rihm
Verwandlung 3
Musik für Orchester (2007-08)
Franz Liszt
Konzert für Klavier und Orchester
Nr. 2 A-Dur
Hector Berlioz
Symphonie fantastique op. 14
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