Außergewöhnliche Geburtstagschöre
Von Bernd
Stopka / Fotos von Matthias Creutziger
Zwei Sonderkonzerte
veranstaltet die Sächsische
Staatskapelle Dresden zum 200. Geburtstag Richard Wagners. Am 22. Mai
1813 in
Leipzig geboren, verbrachte er seine Kindheit und frühe Jugend in
Dresden und
kehrte nach seinen Studien- und ersten Wanderjahren zurück, um
dort zu erster
größerer Bedeutung zu gelangen. Von 1843 bis 1848 war der
Dichterkomponist
Hofkapellmeister und adelte das Orchester mit dem heute immer noch
geläufigen
Titel Wunderharfe. Auch die Leitung der Dresdner
Liedertafel hatte
er eine Zeitlang inne. So ist es nur folgerichtig, dass Christian
Thielemann
als sein Nachfolger an der Spitze des Weltklasseorchesters
für das erste
Geburtstagskonzert Chorwerke aus der Dresdner Zeit des jungen
Komponisten ausgewählt
hat.
Den Festgesang
"Der Tag erscheint" komponierte
Wagner 1843 zur Einweihung eines Denkmals für König Friedrich
August I (das
heute am Dresdner Schlossplatz steht). 1844 wurden die sterblichen
Überreste
Carl Maria von Webers auf Wagners Initiative nach Dresden
überführt. Zu diesem
Anlass komponierte er eine Trauermusik für Blasorchester nach Motiven aus
Webers Oper Euryanthe und einen Männerchor An Webers Grabe.
So ehrt man musikalisch den Leiter der Dresdner Liedertafel und
erinnert gleichfalls an Weber, ohne dessen Einfluss Wagner nicht Wagner
geworden wäre. Die Herren des Sächsischen Staatsopernchores
Dresden meistern
ihre Aufgaben bravourös mit Stimmkultur, Wohlklang und tadelloser
Intonation. Die
Bläser der Staatskapelle beweisen mit Präzision und
üppig sattem,
aber nicht erschlagendem Klang, in der Trauersymphonie auch
mit zarten, sanft
strahlenden Tönen, dass auch Blasinstrumente
Teil einer (Wunder-) Harfe sein
können.
Chefdirigent Christian Thielemann dirigiert mit sparsamer
aber exakter Zeichengebung, die Klänge geradezu modellierend. Die
viel
gescholtene Akustik der Frauenkirche ist für die Singstimmen
außerordentlich
gut, für das Orchester aber doch sehr hallig, so dass manche
Nuancierung
verschwimmend verloren geht.
Dies gilt auch
und leider im Besonderen für Mendelssohns Reformationssymphonie,
deren Aufnahme in das Programm auf den ersten
Blick befremdlich erscheint. Doch es verweist auf eine
Programmgestaltung, wie
sie für Wagners Hofkapellmeisterjahre nicht unüblich war.
Wagner selbst
dirigierte Symphonien von Mendelssohn, den er trotz aller – bis heute
nachhallenden – Vorwürfe, Schmähungen und Feinseligkeiten als
Komponist durchaus
schätzte. Neben der menschlich
problematischen
Verbindung gibt es mehrfach eine musikalisch-motivische. An diesem
Abend ist es
das „Dresdner Amen“, ein musikalisches Motiv aus der Liturgie, das in
gleicher
Fassung sowohl von Mendelssohn verwendet wurde, als auch viele Jahre
später von
Wagner als Gralsmotiv im Parsifal. An
hohen kirchlichen Feiertagen erklingt es in Dresden auch heute noch zum
Ende des
Gottesdienstes. So auch am Tag nach dem Konzert, im
Pfingstsonntags-Festgottesdienst in der Kreuzkirche.
Wie aus einer anderen Welt lässt Thielemann es im ersten
Satz der Reformationssymphonie
aus den kraftvollen Bläserakkorden sanft
heraufsteigen. Das Allegro vivace nimmt er mit angenehmer Leichtigkeit,
ganz
unprätentiös (gerade auch hier verschleiert der Nachhall
manches schöne
Detail). In geradezu himmlische Sphären führt Thielemann uns
zu Beginn des
Andante, setzt diesem Eindruck aber kontrastreich klare Akzente
entgegen.
Wundervoll gelingt im Übergang zum Schlusssatz das
überirdisch zarte Einführen
des „Ein feste Burg“ –Themas, das der Dirigent in der Durchführung
immer wieder
energisch als christlich-protestantisches Bekenntnis – welches
Mendelssohn so
wichtig war – Klang werden lässt. Typisch für Thielemann wird
das Finale
intensiv ausgekostet, indem die Klänge zu einer pathetischen
Schlussapotheose
aufgetürmt und gehalten werden.
Dass dieses
Konzert ein geschichtliches Ereignis ist, liegt
im abschließenden Werk begründet. Hat doch Wagner sein Liebesmahl
der
Apostel für die Frauenkirche konzipiert und bei der
Uraufführung 1843 die Männerchorgruppen
teils sichtbar, teils unsichtbar
auf verschiedene Ebenen des Kirchengebäudes verteilt. Das erzeugt
eine ganz wundervolle, fast mystische akustische Wirkung - damals wie
heute. Es
hat besondere Bedeutung, wenn dieses nur äußerst selten
aufgeführte Werk am Ort
seiner Uraufführung erklingt - und am Pfingstwochenende die
Ausgießung des
Heiligen Geistes beschreibt. Der ausgesprochen üppig besetzte Chor
ist in
Gruppen von Jüngern unterteilt, die im Dialog mit den 12 Aposteln
stehen. Himmlische Stimmen aus der Höhe verheißen den das
Abendmahl Feiernden
die Macht des Heiligen Geistes, der mit mächtigem Brausen des
Orchesters
herabfährt, Jünger und Apostel gleichermaßen zutiefst
ergreift und ihnen die Kraft zum „Gehet hinaus in alle Welt…“ verleiht.
Aus vielen Formulierungen, Klängen und Bildern lugt hier
schon der spätere Wagner hervor. Chorführung, Harmonik und
manche Wendung erinnern
zuweilen an Lohengrin und Tannhäuser
und manchmal klingt selbst
schon Parsifal an. Andere Passagen
erscheinen im typischen Klanggewand der Männergesangsvereine, die
zusammen mit
der Dresdner Liedertafel das Werk 1200-stimmig aus der Taufe hoben. Mit
der
Textpassage „Gemeinsam sei Euch Hab’ und Gut!“ nimmt Wagner eine Regel
der
ersten christlichen Gemeinde auf – es deutet sich damit aber auch eine
gesellschaftspolitische Haltung Wagners an.
Pablo Assante, der Direktor des Sächsischen Staatsopernchores, hat die
Männerstimmen aus sieben verschiedenen Chören einstudiert, sie exakt aufeinander abgestimmt
und sie zu einem konzentriert, engagiert und hochkultiviert
singenden ausgesprochen
harmonischem Ganzen zusammengeführt. Zwei Drittel des etwa halbstündigen Werkes
werden a capella gesungen, bevor das Orchester einsetzt. Während des ersten
Teils helfen einzelne instrumentale Tonangaben, die Intonation zu halten, was
bei der Größe des Chores eine Herausforderung ist, die mit Bravour gemeistert
wird - ebenso wie die exakten Einsätze, die stimmliche Ausgewogenheit und die
Transparenz des Gesamtklanges, der mit dem ersten Einsatz verzaubert und gerade
auch durch die ungewöhnliche Aufstellung zu einem außergewöhnlichen
Klangerlebnis wird, das mit den verheißenden Stimmen aus der Kuppel einen
mystischen Höhepunkt erreicht. Christian Thielemann gelingt es, das Pathos nicht zu
verweigern, es aber
zu bändigen und ganz wundervolle Wirkungen zu erzielen.
Besonderes Augenmerk
legte er dabei darauf, auch große Stimmmassen leicht klingen zu
lassen. Den
theatralischen Effekt der Sängerverteilung auf den Altarraum, die
Seitenemporen
darüber, die noch höher liegende Orgelempore und die Kuppel
nutzt er nicht effektheischend, sondern effektnutzend mit einer differenziert
ausgestalteten musikalischen
Interpretation dieses eindrucksvollen Werkes.
FAZIT
Ein Geburtstagskonzert jenseits
ausgetretener Pfade mit einer mutigen und versöhnlichen Verbindung
zwischen Wagner und Mendelssohn Bartholdy, angemessen, um Wagner mit
weniger bekannten Werken seiner Dresdner Zeit in Dresden zu ehren. Und
das in
musikalisch höchster Qualität. Das Liebesmahl der
Apostel am Ort der Uraufführung zu erleben, ist ein ganz besonderes
Ereignis, das einen großartigen und tiefen Eindruck hinterlässt, der so nur hier
zu erreichen ist.
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