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Cecilia Bartoli
"St. Petersburg"
 

I Barocchisti
Dirigent: Diego Fasolis

Aufführungsdauer: ca. 2h 15' (eine Pause)

Montag, 17. November 2014, 20.00 Uhr
Alfried Krupp Saal in der Philharmonie Essen

 



Philharmonie Essen
(Homepage)

Barocke Klänge aus dem "Venedig des Nordens"

Von Thomas Molke / Foto von Uli Weber

Die Geburtsstunde der russischen Oper markiert nach weitläufiger Meinung das Jahr 1836 mit Michail Glinkas Nationaloper Ein Leben für den Zaren. Dass aber bereits im 18. Jahrhundert zahlreiche italienische Komponisten nach St. Petersburg kamen, um dort die Barockoper zu etablieren, ist größtenteils unbekannt. Cecilia Bartoli, die es sich schon seit vielen Jahren auch zur Aufgabe gemacht hat, versunkene Schätze der Barockmusik dem Vergessen zu entreißen, hat sich nun gemeinsam mit dem Barockspezialisten Diego Fasolis und dem Ensemble I Barocchisti einigen Werken gewidmet, die seit langer Zeit in den Archiven der Kaiserlichen Hofoper in St. Petersburg schlummern und denen in Russland keine Beachtung geschenkt wurde, da sie als "Importware" und damit "irrelevant für die Entwicklung einer eigenen russischen Musikkultur" galten. Dass es sich aber dennoch lohnt, mit diesen Opern auseinanderzusetzen, beweist Bartoli nun auf ihrer Europatournee. Interessieren dürfte Bartoli daran auch, dass die Zeit, aus der die einzelnen Werke stammen, in Russland von drei bedeutenden Zarinnen geprägt wurde, deren Herrschaft jeweils von westlichen Vorbildern beeinflusst war.

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Cecilia Bartoli im passenden Outfit zu ihrem neuen Programm St. Petersburg

Zarin Anna, die Nichte Peters des Großen, gründete beispielsweise das erste Hoforchester und die erste russische Musikakademie in St. Petersburg. 1736 engagierte sie Francesco Domenico Araia als ersten russischen Hofkomponisten, der mit einer festen, aus Italien geholten Operntruppe seine 1734 in Mailand uraufgeführte Oper La forza dell'amore e dell'odio in St. Petersburg als erste italienische Oper zur Aufführung brachte. Aus diesem Werk präsentiert Bartoli die Sterbe-Arie der Göttin Minerva "Vado a morir", in der sie Abschied von ihrem Göttervater Jupiter nimmt. Bartoli begeistert in dieser Nummer mit dunkel getöntem Mezzo, der die Verzweiflung der Göttin regelrecht spürbar macht. Dabei wird sie von dem Ensemble I Barocchisti unter der Leitung von Diego Fasolis wunderbar durch die traurige Melodie getragen. Araia blieb auch unter Annas Nachfolgerin, der unehelichen Tochter Peters des Großen, Elisabeth, am Hof und komponierte einige weitere Opern, 1755 sogar mit Tsefal i Prokris ein Werk in russischer Sprache. Aus diesen für Russland entstandenen Werken stellt Bartoli die Arie des Demetrio "Pastor che a notte ombrosa" aus der Oper Seleuco vor, die 1744 ihre Uraufführung in Moskau erlebte. Demetrio vergleicht in der Arie seine Verzweiflung mit einem Hirten, der sich nachts im Wald verirrt hat und sich vor dem Rauschen des Baches und dem Säuseln des Windes fürchtet. Großartig imitieren hierbei I Barocchisti mit ihren Instrumenten die Geräusche der Natur, so dass man das Gefühl hat, wirklich in einem Wald zu sein. Pier Luigi Fabretti zaubert an der Oboe einen Klang, der den Zuhörer innehalten lässt. In dieses ergreifende Klangbild lässt sich Bartoli mit spielerischer Leichtigkeit regelrecht hineinfallen.

Als zweite "russische Oper" nach Araias Tsefal i Prokris gilt Altsesta von Hermann Raupach, der bereits 1755 nach St. Petersburg kam und 1758 Araia als Hofkomponisten ablöste. Aus dieser Oper gibt es nicht nur zu Beginn des Abends einen Marsch ("Marcia") zu hören, zu dem Cecilia Bartoli in einer schneeweißen Robe mit einem langen weißen Umhang majestätisch die Bühne betritt, so dass - man möchte fast sagen leider - das hervorragende musikalische Spiel von I Barocchisti durch den frenetischen Applaus des Publikums unterbrochen wird. Sie präsentiert auch im ersten Teil des Abends die große Arie der Altsesta (Alkeste), in der sie von ihrem Gatten Abschied nimmt. Diese Arie wird von Bartoli in russischer Sprache vorgetragen, was ein völlig neues Klangerlebnis ist. Natürlich könnte nur ein Russe beurteilen, wie gut Bartolis Diktion dabei ist. Für einen Nicht-Muttersprachler klingt Bartolis Intonation jedenfalls natürlich, und es ist schon erstaunlich, wie sich die russische Sprache dem Duktus der Barockmusik anzupassen vermag. Der zweite Auszug, den Bartoli aus Raupachs Opernschaffen vorstellt, stammt aus dem zwei Jahre später uraufgeführten Werk Siroe, re di Persia, basierend auf einem Libretto von Metastasio, das auch für Händels bekanntere Version fungierte und  auch in St. Petersburg in Italienisch aufgeführt wurde. Bartoli präsentiert hieraus die Arie der Laodice "O placido il mare" und zieht dabei alle Register ihrer Vokalkunst. Mit halsbrecherischen Koloraturen lässt sie das Aufbrausen des Meeres vor dem geistigen Auge des Zuhörers entstehen und bringt das begeisterte Publikum ebenfalls zum Toben.

1762 wurde Raupach von Vincenzo Manfredini abgelöst, der bereits ein paar Jahre zuvor nach St. Petersburg gekommen war und mit seiner Oper L'Olimpiade einen so großen Erfolg feiern könnte, dass Peter III., der Ehemann von Katharina der Großen, ihn zum neuen Hofkomponisten ernannte. Katharina die Große entließ ihn jedoch kurz nach Peters Tod, da sie eher darum bemüht war, große westliche Komponisten nach Russland zu locken als ein eigenes russisches Repertoire an Barockmusik aufzubauen. Aus Manfredinis Oper Carlo Magno präsentiert Bartoli die Arie de Carlo "Non turbar que' vaghi rai", in der sie in einen wunderbaren Dialog mit der Flöte (einfühlsam gespielt von Jean-Marc Goujon) tritt. Nicola Antonio Porpora kam zwar als Komponist nicht nach St. Petersburg, war aber zumindest von Zarin Anna angefragt worden, bevor Araia gewissermaßen als Ersatz zum Hofkomponisten ernannt wurde. Wahrscheinlich ist es damit zu begründen, dass an diesem Abend die Ouvertüre aus seiner Oper Germanico in Germania und die Arie der Adelaide "Nobil onda" aus seiner 1723 in Rom uraufgeführten Oper Adelaide erklingen. Jedenfalls bietet diese Arie Bartoli erneut die Möglichkeit, mit beweglichen Koloraturen zu punkten. Johann Adolf Hasses Oper La clemenza di Tito wurde in der Dresdner Fassung anlässlich der Krönungsfeierlichkeiten von Zarin Elisabeth aufgeführt und um einen Prolog von Domenico Dall'Oglio und Luigi Madonis erweitert, mit dem der neuen Herrscherin gehuldigt wurde. Bartoli stellt aus der Oper zwei Arien des Sesto vor, mit denen er sich vom Leben verabschieden will, und begeistert durch ihre eindringliche Interpretation.

Die Arie "Desterò dall' empia Dite" aus der Oper Amadigi di Gaula, mit der die Zauberin Melissa die Mächte der Unterwelt herbeiruft, um Amadigi und seine Geliebte Oriana zu vernichten, hat zwar nichts mehr mit St. Petersburg zu tun, bietet Bartoli allerdings zum Abschluss des Abends noch einmal die Möglichkeit mit bravourösen Koloraturen zu punkten. Doch so einfach lässt das begeisterte Publikum in der Essener Philharmonie diese großartige Sängerin nicht ziehen, und so gibt es noch insgesamt drei Zugaben für den vor Begeisterung tobenden Saal. Den Anfang macht die berühmte Arie "Sol da te mio dolce amore" aus Vivaldis Orlando furioso, in der Ruggiero zur Begleitung der Flöte seine Gefühle für die Zauberin Alcina besingt. Es folgt die Arie des Tassilone "A facile vittoria" aus Agostino Steffanis gleichnamiger Oper, in der Bartoli neben ihren gesanglichen Qualitäten auch ihre komödiantischen Fähigkeiten unter Beweis stellt, wenn sie mit der Trompete in einen Wettstreit tritt und sich scheinbar der überlegenen Virtuosität des Instruments geschlagen gibt, wobei ihr Ansatz einer Koloratur in einem vorgetäuschten Weinen zu ersticken scheint. Für die letzte Zugabe hat sich Bartoli dann noch einen richtigen Knüller ausgedacht. Mit weißer Pelzmütze und weißem Mantel tritt sie selbst wie eine Zarin auf und fasziniert auf Russisch mit einer weiteren Arie aus Raupachs Altsesta, die ebenfalls auf ihrer neuen CD St. Petersburg enthalten ist.


FAZIT

Cecilia Bartoli begeistert bei diesem Konzert nicht nur durch hervorragenden Gesang, sondern bringt auch durch ihre großartige Bühnenpräsenz den Saal regelrecht zum Toben.



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Ausführende

Cecilia Bartoli, Mezzosopran

I Barocchisti

Diego Fasolis, Dirigent


Werke

Hermann Raupach
"Marcia" aus der Oper Altsesta

Nicola Antonio Porpora
"Nobil onda"
Arie der Adelaide aus der Oper Adelaide

Francesco Domenico Araia
"Vado a morir"
Arie der Minerva aus der Oper
La forza dell'amore e dell'odio

Francesco Maria Veracini
"Allegro" aus der Ouvertüre Nr. 6 in g-Moll

Hermann Raupach
"
Иду на смерть" (Idu na smert)
Arie der Altsesta aus der Oper Altsesta

Nicola Antonio Porpora
Ouvertüre aus der Oper Germanico in Germania -
Allegro

Francesco Domenico Araia
"Pastor che a notte ombrosa"
Arie des Demetrio aus der Oper Seleuco
Pier Luigi Fabretti (Oboe)

Hermann Raupach
"O placido il mare"
Arie der Laodice aus der Oper Siroe, re di Persia

Francesco Domenico Araia
Ouvertüre aus der Oper Bellerofonte

Vincenzo Manfredini
"Non turbar que' vaghi rai"
Arie des Carlo aus der Oper Carlo Magno
Jean-Marc Goujon (Flöte)

Johann Adolf Hasse
"Se mai senti spirarti sul volto"
Arie des Sesto aus der Oper La clemenza di Tito

"Vò disperato a morte"
Arie des Sesto aus der Oper La clemenza di Tito

Ouvertüre aus der Oper La clemenza di Tito

Georg Friedrich Händel
"Desterò dall' empia Dite"
Arie der Melissa aus der Oper Amadigi di Gaula


Weitere Informationen
erhalten Sie von der

Philharmonie Essen
(Homepage)



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