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Streifzug durch den Orpheus-Mythos
Von Thomas Molke / Fotos von Petra Coddington Nachdem Philippe Jaroussky vor zwei Jahren im Konzerthaus Dortmund im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Konzertante Oper" mit der unbekannten Barockperle Niobe, regina di Tebe von Agostino Steffani Halt gemacht und das Publikum begeistert hat (siehe auch unsere Rezension), ist er nun nach Dortmund zurückgekehrt und widmet einer mythologischen Figur einen Abend, die wie kaum eine andere mit dem in den letzten Jahren boomenden Countergesang verknüpft werden kann: Orpheus. Der thrakische Sänger und Sohn der Muse Kalliope und des Gottes Apollo soll mit seiner Stimme und seiner Musik nicht nur die Menschen verzaubert, sondern auch wilde Tiere gezähmt und Steine zu Tränen gerührt haben. So verwundert es nicht, dass seine tragische Geschichte über den Verlust seiner Gattin Eurydike, die er aus der Unterwelt zurückholen will und auf dem Weg zurück verliert, weil er sich nach ihr umdreht, zum einen Thema des ersten überlieferten musikalischen Bühnenwerks, Jacopo Peris Euridice, war und zum anderen zahlreiche Komponisten vor allem im 17. und 18. Jahrhundert veranlasste, dem begnadeten Sänger ein musikalisches Denkmal zu setzen. Jaroussky hat nun mit Claudio Monteverdi, Luigi Rossi, Antonio Sartorio und Christoph Willibald Gluck vier Vertonungen ausgewählt, die geschickt miteinander verwoben werden. Als Eurydike steht ihm dabei die amerikanische Sopranistin Amanda Forsythe zur Seite. Noch ist das Glück der beiden Liebenden ungetrübt: Orfeo (Philippe Jaroussky) und Euridice (Amanda Forsythe) (im Hintergrund: I Barocchisti mit Diego Fasolis). Im Teil vor der Pause werden die Werke von Monteverdi, Rossi und Sartorio zu einer Art neuen Orpheus-Oper zusammengesetzt und erzählen die Geschichte der großen Liebe zwischen Orpheus und Eurydike bis zum doppelten Verlust der Geliebten, einmal durch den Schlangenbiss und dann auf dem Weg zurück aus der Unterwelt. Den Anfang macht die 1672 in Venedig uraufgeführte musikalische Dramatisierung von Antonio Sartorio. In dieser Fassung ist Aristaeus, dessen Nachstellungen im Mythos dazu führen, dass Eurydike auf der Flucht vor ihm auf eine Schlange tritt und stirbt, Orpheus' Bruder. Orpheus hält hier seine Gattin sogar für untreu, da er die Annäherungsversuche seines Bruders beobachtet. Doch dieser Teil der Geschichte wird an dem Abend ausgespart. Nach der Ouvertüre aus Sartorios Vertonung, bei der das Barockensemble I Barocchisti unter der Leitung von Diego Fasolis noch ein klein wenig unkonzentriert klingt, präsentieren Jaroussky und Forsythe das Liebesduett "Cara e amabile catena", in dem sie die "lieblichen Ketten" besingen, die sie nach der Hochzeit verbinden werden. Dabei verschmelzen Forsythes glockenklarer Sopran und Jarousskys strahlender Counter in den Koloraturen zu einer innigen Einheit und verdeutlichen, wie liebevoll die beiden Figuren miteinander verwoben sind. Im Anschluss folgt dann Orfeos Arie "Rosa del ciel" aus Claudio Monteverdis 1607 uraufgeführten Oper, die den eigentlichen Beginn der Gattung markiert. Monteverdi hat die Titelpartie eigentlich für einen Tenor oder hohen Bariton komponiert, so dass Jarousskys Interpretation ein Novum darstellt, allerdings keineswegs fremdartig klingt. Im Gegenteil hat man das Gefühl, dass Jarousskys samtweicher Counter mit den leuchtenden Höhen die tief empfundene Liebe des Orpheus zu seiner Gattin noch viel eindringlicher zum Ausdruck bringt. Auch in der 1647 in Paris uraufgeführten Oper von Luigi Rossi werden dem Liebespaar noch einige Momente des Glücks geschenkt, bevor Eurydike kurz nach der Hochzeit stirbt. Forsythe besingt zunächst in der Arie "Mio ben" Eurydikes große Liebe zu ihrem zukünftigen Gemahl, nachdem die Göttin Venus versucht hat, ihr einen anderen Mann schmackhaft zu machen. Im folgenden Duett "Que dolcezza" legen Forsythes klarer Sopran und Jarousskys warmer Counter erneut Zeugnis von der Tiefe der Gefühle der beiden Liebenden ab. Die tote Euridice (Amanda Forsythe, oben auf der Chorempore) erscheint dem schlafenden Orfeo (Philippe Jaroussky, im Sessel) im Traum (in der Mitte: Diego Fasolis und I Barocchisti). Doch das Glück ist nicht von Dauer. Nach der temperamentvollen Arie "Vi ricorda, o boschi ombrosi" aus Monteverdis Oper, in der Orpheus noch einmal ausgelassen sein Glück genießt und einem weiteren Liebesduett von Rossi, tritt Eurydike auf die Schlange. Der Tonfall wechselt im herzzerreißenden "Ahimè, numi, son morta" aus Sartorios Oper, in der Eurydike sterbend ihr Unglück beklagt. Forsythe präsentiert diese Szene mit gebrochener Stimme und verlässt die Bühne, während Jaroussky nach der folgenden verzweifelten Arie auf einen roten Sessel sinkt, der auf der Bühne neben dem Orchester steht. Forsythe tritt nun auf der Chorempore auf, von wo aus sie in der Szene "Orfeo tu dormi?" wie aus einer anderen Welt ihren Gatten ruft und ihn auffordert, sie aus der dunklen Unterwelt zurückzuholen. Zu Monteverdis Sinfonia macht sich Orpheus dann auch auf den Weg und versucht im berühmten "Possente spirto" den Fährmann Charon zu überreden, ihn über den Fluss Lethe zu bringen. Auch diese Arie klingt in Jarousskys Stimmlage völlig neu, und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Fährmann sich von einem solch hohen lieblichen Gesang viel besser einlullen lässt. Für den Schluss der Geschichte wird vor der Pause erneut die Fassung von Sartorio ausgewählt. Orpheus trifft in der Unterwelt auf seine Geliebte Eurydike und bekommt sie unter der Auflage zurück, dass er sich auf dem Weg zurück zur Erde nicht nach ihr umdrehen darf. Jaroussky dreht den Notenständer ein wenig von Forsythe weg, um anzudeuten, dass er diesem Gebot Folge leisten will. Doch das gelingt ihm natürlich nicht. Bei Sartorio ist es Eurydike, die Orpheus immer wieder bittet, Geduld zu haben und der Weisung zu folgen. Aber Orpheus' Vertrauen ist zu schwach. So unterliegt er im inneren Kampf und blickt sich um. Sofort verschwindet Eurydike. Orpheus bleibt nichts anderes übrig, als sich seinem ewigen Schmerz zu ergeben. Während er bei Monteverdi und Rossi zum Sternbild erhoben und in der Mythologie von rasenden Bacchantinnen getötet und damit erneut in der Unterwelt mit Eurydike vereint wird, zieht er sich bei Sartorio nur in die Einsamkeit zurück und beschließt, der Liebe und den Frauen auf ewig zu entsagen. Jaroussky verlässt bei den letzten Klängen mit gesenktem Kopf die Bühne. Lebhafte Auseinandersetzung zwischen Orfeo (Philippe Jaroussky) und Euridice (Amanda Forsythe) bei Christoph Willibald Gluck Nach der Pause gibt es dann in Auszügen die wohl bekannteste Vertonung der Orpheus-Geschichte von Christoph Willibald Gluck, bei dem Eurydike ja schon direkt zu Beginn der Oper tot ist. Den Anfang macht hier Orpheus' Abstieg in die Unterwelt im zweiten Akt. Ein witziger Einfall ist es, die Musiker des Ensembles I Barocchisti den Part des Furienchors übernehmen zu lassen und Orpheus' Flehen mit einem beherzten "No" zu beantworten. Jaroussky hält mit weichen Bögen beim "Deh! placatevi con me" dagegen und so gelingt es ihm, in die Gefilden der Seligen vorzudringen, die er mit "Che puro ciel" eindringlich besingt. Fasolis arbeitet mit den I Barocchisti in der folgenden Sinfonia den paradiesischen Zustand dieses Ortes sehr anschaulich heraus. Jaroussky holt während der Sinfonia Forsythe auf die Bühne, um gemeinsam mit ihr den Weg zurück zur Erde anzutreten. Wieder wendet Jaroussky Forsythe mit seinem Notenständer den Rücken zu, um anzudeuten, dass er gewillt ist, dem göttlichen Befehl Folge zu leisten. Doch dieses Mal ist es Eurydike, die den Weg so nicht antreten will. Mit scharfem Sopran macht Forsythe als Eurydike ihrem Gatten den Vorwurf, dass er sie nicht mehr liebe. Forsythe und Jaroussky liefern sich dabei einen bewegenden Schlagabtausch. Natürlich dreht sich Orpheus am Schluss wieder um, und Forsythe sinkt in ihrem roten Kleid seufzend in einen roten Sessel. Jaroussky beendet den Abend mit der berühmten Arie "Che farò senza Euridice", in der er seinem Leid mit bewegender Klage freien Lauf lässt, bevor er sich in den roten Sessel auf der anderen Seite der Bühne zurückzieht. Als Zugabe gibt es dann zwar nicht Orpheus, allerdings Monteverdi. In Poppeas und Nerones berühmtem Schlussduett "Pur ti miro" aus L'incoronazione di Poppea machen Forsythe und Jaroussky noch einmal deutlich, wie sehr ihre beiden Stimmen harmonieren. Mehr Zugaben gibt es an diesem Abend nicht. Da nützt auch aller frenetischer Jubel nichts. FAZIT Philippe Jaroussky macht seinem Namen als Ausnahmetalent auch in diesem Programm alle Ehre. Der erste Teil des Abends ist mit einigen Ergänzungen auf CD bei ERATO unter dem Titel La storia di Orfeo erschienen. Während auf der CD ebenfalls das Ensemble I Barocchisti unter der Leitung von Diego Fasolis zu hören ist, übernimmt den Part Eurydikes allerdings Emöke Baráth. Neben den unbekannten Vertonungen von Rossi und Sartorio ist vor allem Monteverdis Orpheus-Besetzung mit einem Countertenor hörenswert.
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Ausführende Amanda Forsythe, Sopran Philippe Jaroussky, Countertenor I Barocchisti Diego Fasolis, Dirigent
Antonio Sartorio "Cara e amabile catena" Claudio Monteverdi "Io non dirò" Luigi Rossi "Que dolcezza" Sinfonia aus Orfeo Claudio Monteverdi Luigi Rossi Air sur chaconne Euridice Antonio Sartorio "È morta Euridice" "Orfeo tu dormi?" Claudio Monteverdi "Possente spirto" Sinfonia aus L'Orfeo Antonio Sartorio Christoph Willibald Gluck "Che puro ciel, che chiaro sol" Sinfonia aus Orfeo ed Euridice "Vieni, appaga il tuo consorte" "Qual vita è questa?" "Ecco un nuovo tormento" "Tu sospiri" "Che farò senza Euridice"
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