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Eine durchweg ernste Angelegenheit
Von Stefan Schmöe / Fotos von Sven Lorenz Das war schon konsequent, keine Zugabe zu geben. Nicht, dass Solist Joshua Bell nicht exzellent gespielt hätte, im Gegenteil. Die schnellen Passagen im Finalsatz von Tschaikowskys Violinkonzert etwa spielt er mit bohrender Intensität, jede einzelne kleine Note mit Nachdruck und gestochen scharf. Aber an keiner Stelle stellt er die ihm abverlangte Virtuosität in den Vordergrund, sondern verleiht jedem Ton Gewicht und Bedeutung. Äußerlichen Glanz treibt er diesem Bravourstück aus, sogar ein wenig mehr als erforderlich, den glänzen darf man ja eigentlich schon. Aber wenn er nach schier unendlich lang empfundenen Phrasen den Schluss- und damit oft Spitzenton erreicht, dann ohne jedes Triumphgefühl. Bell setzt auf einen satten, wunderbar dunkel grundierten Ton anstatt auf Strahlkraft. Keine Frage: Für ihn ist dieses Schlachtross der Violinliteratur kein Vehikel für den Solo-Auftritt, sondern Musik von unbedingtem Ernst.
Die Wiener Philharmoniker beginnen das Werk faszinierend aus dem Nichts, eine kleine Geste, mit der das Orchester seine klanglichen Qualitäten zeigt. Der warm timbrierte Klang, perfekte Pizzicati, perfekt ausgehörte Bläsersoli – das ist schon von bestechender Nonchalance. Dirigent Ingo Metzmacher lässt den in riesiger Besetzung angetretenen Klangkörper fast durchweg in sehr leisen bis moderaten Lautstärken spielen, wodurch das Werk wenn auch nicht kammermusikalische Klarheit, so doch eine intime, nachdenkliche Aura erhält, die auch durch das gelegentliche Aufblitzen des triumphalen Hauptthemas nur kurz aufgebrochen wird. Metzmacher dirigiert mehr flächig als linear, bleibt lange in einer Grundlautstärke, interessiert sich mehr für den Moment als für die Entwicklung. Mitunter bekommt die Musik dadurch zu viel Behäbigkeit, und das Finale könnte bei aller Eindringlichkeit des Zusammenspiels zwischen Solist und Orchester eine Spur mehr Witz vertragen.
Metzmachers Sinn für große Klangflächen setzt sich fort in Schostakowitschs 11. Symphonie mit dem Untertitel Das Jahr 1905. Man kann das als erzählende Programm-Musik verstehen, aber bei Metzmacher lebt die Musik weniger von einer Entwicklungsdynamik als von einem registerartigen Zuschalten einzelner Instrumentengruppen. Phänomenal die Klangfarbe des von den Streichern getragenen Beginns der Symphonie im Pianissimo, mit Substanz wie mit einer Fülle an Obertönen. Exzellent die Bläser; nie grell, bei aller Strahlkraft kultiviert. Was den Wienern fehlt, das ist die Kratzbürstigkeit und die „hässlichen“ Töne in den Streichern (die Bläser bringen durchaus die notwendige Schärfe ein und bringen das Paradoxon zustande, dass bei ihnen selbst das Hässliche noch Eleganz hat). Der sanfte Weichzeichner, der immer über den Streichern liegt und Teil der Klangkultur dieses Orchesters ist, führt in manchen Passagen eben auch dazu, dass es an Binnenstruktur fehlt, der Klang in schnellen Fortissimo-Passagen unscharf wird und die Konturen verschwimmen. Mit mancher Attacke überfällt Metzmacher geradezu: Plötzliche Fortissimo-Akoorde, quasi unvorbereitet. Schostakowitschs doppelbödiges Revolutionspathos tritt dabei hinter die strukturelle Sicht auf das Werk zurück. Die erratische Sichtweise setzt sich bis zum letzten Ton fort - dann hört die Symphonie ganz plötzlich auf, und das hat schon einige Parallelen zur Tschaikowsky-Interpretation im ersten Teil des Konzerts. Stehende Ovationen im nicht ganz ausverkauften Saal. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
AusführendeJoshua Bell, ViolineWiener Philharmoniker Leitung: Ingo Metzmacher WerkePeter Tschaikowsky:Konzert für Violine und Orchester D-Dur op.35 Dmitri Schostakowitsch: Symphonie Nr. 11 g-Moll op. 103 "Das Jahr 1905"
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