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Mittwoch, 11. Januar und Donnerstag, 12. Januar 2017, Elbphilharmonie Hamburg, Großer Saal
(rezensierte Aufführung: 12. Januar 2017)


Eröffnung der Elbphilharmonie

"Zum Raum wird hier die Zeit"
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Elbphilharmonie Hamburg
(Homepage)
Zauber des Anfangs

Von Christoph Wurzel

Am Anfang spielt allein die Oboe. Sie bläst das Lied des Pan, jenes griechischen Halbgotts, der seine Geliebte Syrinx mit Tönen bezaubern will. So beginnt beziehungsreich dieses Konzert, mit dem in Hamburg die Elbphilharmonie eröffnet wird. Schon diese ersten Klänge von Benjamin Brittens kleiner Melodie, die Kalev Kuljus von einer der höheren Ebenen des Zuhörerrunds erklingen lässt, ziehen das Publikum spürbar in Bann. Und das weitere Programm, dessen Dramaturgie Thomas Hengelbrock geschickt aus Musikstücken der Renaissance bis zur Gegenwart zusammengestellt hat, wird es nicht wieder loslassen.

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Und wie sie leuchtet: Die Elbphilharmonie mit Lichtinszenierung zum Eröffnungskonzert (Foto © Ralph Larmann)

An zwei folgenden Abenden wurde dieses Konzert einem staunenden Publikum geboten, das nach so langen Geburtswehen der Eröffnung dieses Konzertsaals entgegen fieberte. Das Haus als solches war schon vor seiner Befreiung von Gerüsten und Kränen zum neuen Wahrzeichen der Hansestadt geworden. Errichtet auf dem Backsteinsockel eines früheren Warenspeichers mitten im Hafen, erinnert es mit seiner hell leuchtenden Fassade und dem geschwungenen Dach gleichermaßen an die bewegten Wellen des viel befahrenen Flusses wie die zahlreich vorüberziehenden Schiffssegel. Immer wieder mit dem Bau des Opernhauses von Sydney verglichen, wird auch dieses Gebäude ob seiner einmaligen Architektur zum unverwechselbaren Signum der Stadt werden. In seiner Begrüßung verwies der Erste Bürgermeister Olaf Scholz zudem darauf, dass damit auch eine Synthese des hanseatischen Kaufmannsgeistes mit der wahrhaft reichen Hamburger (bürgerlichen) Musiktradition gelungen sei. Und ein bisschen Stolz über das Erreichte schwang in seiner Rede mit - und dies im höchsten Grade berechtigt.

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Eröffnungskonzert im Großen Saal mit Thomas Hengelbrock und dem NDR Elbphilharmonie Orchester (Foto © Michael Zapf)

Gespannt durfte man angesichts zahlreicher Vorberichte über Architektur und Akustik des Saales sein. Der erste Eindruck: ein langes Ankommen und damit eine zunehmende Konzentration auf das Gebäude und was einen darin erwartet. Eine langgezogene, geschwungene Rolltreppe zieht einen zuerst durch einen weißen Kanal sanft hinauf auf die Plaza aus dem dominierenden charakteristischen Klinker des ursprünglichen Speichergebäudes. Von dort führen geschwungene Stufen aus edlem Holz auf die verschiedenen Ebenen der Foyers, von denen aus man in die Ränge des weinbergartig angelegten Saales gelangt. Zuerst verwirrend steil, nimmt man bald wahr, dass es offenbar keine „schlechten“ Plätze gibt, denn die Sicht ist überall unverstellt und zudem ist kein Platz sehr weit vom Podium entfernt, keine 30 Meter sollen es sein.

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Ensemble Praetorius (Foto © Michael Zapf)

Wie aber der Saal klingt, kommt erst mit der Musik. Schon bei Brittens Oboenminiatur ließ sich eine ungewöhnliche Klarheit des Klangs erkennen. Nahtlos fügt Hengelbrock nun die einzelnen Stücke aneinander. So kommen wunderbare Kontrastwirkungen zustande. Auf die zarten Oboenklänge folgt von Henri Dutilleux Mystère de l’instant, eine dreiteilige Komposition, die durch schillernde Klangkoloristik bezaubert. Jetzt erweist sich der Saal nicht nur als akustisch klar, sondern auch enorm transparent und im Klang konstant. In allen Lautstärken und dynamischen Facetten bleibt der Klang durchhörbar, nichts verschwimmt oder ballt sich sich zusammen. In ihrer je eigenen Charakteristik kommen alle Instrumente zu ihrem Recht, die sphärisch schillernden Streicherflageoletts wie auch die klangfarbenreichen Schlaginstrumente bis hin zum exotischen Cimbalom.

Berückend schön ist dann der Übergang vom schließlich sanft verklingenden Streicherton Dutilleuxs zu den Klängen der Renaissance, die Philippe Jaroussky, von Margret Köll an der Harfe begleitet, vom obersten Rang in den Saal schickt. Mit seiner unverwechselbaren Kunst der sanftesten Stimmmodulation singt er in der Arie Dalle più alte sfere, die gleich zwei Komponisten des ausgehenden 16. Jahrhunderts zugeschrieben wird, von der Harmonie höchster Sphären. In einen Farbenrausch des ganzen Orchesters geht danach der Klang über in Bernd Alois Zimmermanns Komposition Photoptosis - Musik, die wie für diesen Saal geschrieben wirkt, aber bereits 1968 entstand, ein katastrophisch anmutender „Lichteinfall“ (so der Titel), der die Orchestergruppen in starken Kontrasten gegeneinander fügt, mit heftigen Einwürfen der Orgel und immer wieder extrem anschwellendem Schlagwerk. Phantastisch, wie transparent und geradezu stereophon der Klang auch in den stärksten Eruptionen blieb. Mit ihren Zitaten aus Wagners Parsifal wie auch dem Finalsatz der 9. Sinfonie Beethovens verwies diese Komposition zudem auf den Inhalt der zweiten Konzerthälfte.

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Thomas Hengelbrock (Foto © Michael Zapf)

Zunächst aber singt und spielt das Ensemble Praetorius ( fünf Vokalisten, Streicher, Posaune) das Madrigal Pulchra es (1606) seines Namensgebers, des Hamburger Komponisten Jacob Praetorius, diesmal postiert auf einer mittleren Ebene der Ränge. Plötzlich nimmt der Klang den Charakter einer gotischen Kathedrale an und der Text, ursprünglich an eine Geliebte gerichtet, wird auch zu einer Liebeserklärung an diesen Saal. So wurden denn auch bei der Lichtshow, die am ersten Abend das Gebäude außen beleuchtete, zu diesem Stück die weißen Balustraden der inneren Ränge an die Fassade projiziert. Auf die dynamischen Feinheiten des Renaissance-Madrigals folgt wieder in hartem Kontrast Rolf Liebermanns Orchesterstück Furioso. Auch damit huldigt Hengelbrock einer Lichtgestalt der Hamburger Musikgeschichte, dem langjährigen Intendanten der dortigen Staatsoper, der sich vor allem durch die Förderung zeitgenössischer Musik größte Verdienste erworben hat. Seinem Titel alle Ehre machend ergießt sich ein dynamisch aufgeladener Temperamentsausbruch in den Saal, voll gewaltiger Paukenschläge, aber auch weich gezeichneter Streicherkantilenen. Auch hier wieder bleibt der Klang vollkommen transparent, das Leise wie das Laute stehen klar im Raum. Das abrupte Ende dieses Stücks mündet wieder in die leisen Arpeggien der Harfe und den silbrigen Gesang Philippe Jarousskys bei Giulio Caccinis Arie Amarilli mia bella. Mit dem letzten Satz der großen Turangalîla-Sinfonie von Olivier Messiaen setzt das Orchester eine vor Energie sprühende Hymne an die Lebensfreude als Schlusspunkt des ersten Programmteils und beschreibt damit zugleich das Motto, das sein Intendant Christoph Lieben-Seutter in seiner Ansprache über das Haus stellte: durch Musik Freude zu bringen.

Der zweite Programmteil beginnt mit einem subtil ausgefeilten Parsifal-Vorspiel, das Hengelbrock zu einer geradezu dramatischen Erzählung aus den Motiven der Oper gestaltet. In feiner Steigerung entwickelt sich der mystische Beginn der Anfangsklänge zu wahrhaft wunderbarer Wirkung. Choralartig feierlich das Amen-Motiv, streng geschritten das Gralsmotiv, geheimnisvoll schwebend das Erlösungsmotiv. „Zum Raum wird hier die Zeit“ - der von Hengelbrock gewählte Leitgedanke seiner Reise durch die Bereiche musikalischen Ausdrucks wie durch die klanglichen Möglichkeiten des Saales wird hier zum faszinierenden Ereignis. Auch mit der folgenden Uraufführung setzt die Programmwahl ein deutliches Zeichen. Wolfgang Rihm erweist in seiner Komposition Reminizenz. Tryptichon und Spruch in memoriam Hans Henny Jahnn einem Hamburger Künstler Reverenz, dem dort 1959 verstorbenen Dichter und Orgelbauer. Der von Rihm vertonte Jahnn-Text wie auch die beiden Gedichte von Peter Huchel und der Spruch von Walter Muschg (beides Freunde Jahnns) kreisen um das Thema Tod und dessen Überwindung in der Erinnerung. Rihms Musik schwebt oszillierend in den Ausdrucksfacetten der Texte. Pavol Breslik singt sie mit expressiver Intensität. Das waren gleichermaßen Momente höchster Konzentration wie tiefster Berührung. Doch die dunklen Gedanken an den unentrinnbaren Tod werden schlussendlich überstrahlt von Schillers Ode an die Freude in Gestalt von Beethovens Finalsatz seiner 9. Sinfonie, der hier in diesem Zusammenhang aber jeder hohlen Pathetik und Jubelchor-Routine entbehrt und zu einem ergreifenden Ausdruck der humanistischen Ideale wird, deren sich nach Aussagen seines Intendanten dieses Haus verschrieben hat: Dem klassischen Ziel der Vervollkommnung menschlicher Existenz mit den Mitteln der Kunst. Wozu die Musik in ihrer Eigenschaft als Freudebringerin eine ganz eigene Rolle einnimmt.

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Drr große Sall (Foto © Michael Zapf)

Der frenetische Jubel des Publikums wie aber auch die ungewöhnlich offene, kommunikative Atmosphäre, die in der Pause und um das Programm herum in den Foyers entstand, zeigten, dass sich an diesem Abend in diesem Haus etwas Außergewöhnliches ereignete. So wurde dieses Konzert - seinem Anlass gemäß - zu einem wahrhaft unvergesslichen Erlebnis. Nach diesem Saal werden sich bald alle Orchester sehnen und darum reißen, hier spielen zu können. Nur ein kleiner Nachteil darf nicht verschwiegen werden: Die Gesangssolisten können an etwa der Hälfte der Plätze, die hinter dem Podium liegen, nur schwach vernommen werden, da sie gewöhnlich von der Rampe aus nach vorne singen. Hier wäre unbedingt nach einer befriedigenden Lösung zu suchen.




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Ausführende

NDR Elbphilharmonie Orchester

NDR Chor
Einstudierung: Philipp Ahmann

Chor des Bayerischen Rundfunks
Einstudierung: Howard Arman

Ensemble Praetorius

Kalev Kuljus, Oboe
Philippe Jaroussky, Countertenor
Margit Köll, Harfe
Thomas Bloch, Ondes Martenot
Xie Ya-ou, Klavier
Iveta Apkalna, Orgel

Hanna-Elisabeth Müller, Sopran
Wiebke Lehmkuhl, Alt
Pavol Breslik, Tenor
Sir Bryn Terfel, Bassbariton

Dirigent: Thomas Hengelbrock


Werke

Benjamin Britten:
Pan aus: Sechs Metamorphosen
nach Ovid für Oboe Solo op. 49 (1951)

Henri Dutilleux:
aus Mystère de L’Instant:
Appels – Echos – Prismes (1989)

Emilio de' Cavalieri / Antonio Archilei:
Dalle piu alte sfere
für Countertenor und Harfe
aus: La Pellegrina (1589)

Bernd Alois Zimmermann:
Photoptosis für großes Orchester (1968)

Michael Praetorius:
Mottette Quam pulchra es (1606)


Rolf Liebermann:
Furioso für Orchester (1947)

Giulio Caccini:
Amarilli, mia bella
für Countertenor und Harfe
aus: Le nuove musiche (1601)

Olivier Messiaen:
Turangalîla-Sinfonie (1948)
10. Satz: Finale

-- Pause --

Richard Wagner:
Vorspiel zu Parsifal

Wolfgang Rihm:
Reminiszenz
Triptychon und Spruch
in Memoriam Hans Henny Jahnn
Uraufführung / Auftragswerk des NDR

Ludwig van Beethoven:
Sinfonie Nr. 9 d-Moll op. 125
4. Satz: Presto.
Schlusschor über Schillers Ode
»An die Freude«



Weitere Informationen:

Elbphilharmonie



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