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The Indian Queen

Semi-Opera in einem Prolog und fünf Akten
Libretto von John Dryden und Robert Howard, neue Fassung von Peter Sellars mit vertonten Texten von
John Dryden, Katherine Philips, George Herbert u. a. und Sprechtexten aus dem Roman The Lost Chronicles of Terra Firma von Rosario Aguilar
Musik von Henry Purcell (Masque im fünften Akt von Daniel Purcell)

in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 30' (eine Pause)

Konzertante Aufführung am Mittwoch, 07.09.2016, 20.00 Uhr
Kölner Philharmonie

 



Kölner Philharmonie
(Homepage)

Unbekannter Purcell in der Bearbeitung von Peter Sellars

Von Thomas Molke / Foto: © Teodor Anton Zavjyalov

Dass Henry Purcells letzte Semi-Opera The Indian Queen ein Schattendasein im Repertoire führt, dürfte weniger der Qualität der Musik als vielmehr der Unvollständigkeit des Werkes geschuldet sein. Purcell starb nämlich, bevor er das Stück vollenden konnte, und hinterließ nur knapp 50 Minuten Musik, die sein Bruder oder Cousin Daniel Purcell dann noch um die Masque im fünften Akt ergänzte. In letzter Zeit gab es immer wieder Versuche, das Fragment zu vervollständigen. So präsentierte beispielsweise Joachim Schloemer mit einer eigenen Dialogfassung die Semi-Opera bei den Schwetzinger SWR Festspielen 2013 (siehe auch unsere Rezension). Während Schloemer in seiner Inszenierung allerdings die eigentliche Geschichte um den Konflikt zwischen Inkas und Azteken in einer längst vergangenen Zeit beibehält, wagt Peter Sellars eine komplette Umdeutung und verlegt die Handlung in die Zeit der Conquista Zentralamerikas durch Spanien. Dazu integriert er Musik aus Purcells weltlichen und sakralen Werken und legt einen Text der nicaraguanischen Schriftstellerin Rosario Aguilar aus dem Roman The Lost Chronicles of Terra Firma zugrunde, in dem die Kolonialisierung aus dem Blickwinkel sechs unterschiedlicher Frauen erzählt wird. Sellars beschränkt sich auf die Figuren der Häuptlingstochter Teculihuatzin, ihrer Tochter Leonor und der Ehefrau des Gouverneurs, Doña Isabel. Nachdem diese Version mit großem Erfolg 2013 im Perm herausgebracht und ein Mitschnitt einer Aufführung in Madrid ein Jahr später auf DVD veröffentlicht worden ist, tourt Teodor Currentzis mit dem von ihm 2004 gegründeten Ensemble MusicAeterna, mit dem er bereits die Aufführungen in Perm und Madrid begleitet hat, in einer nahezu halbszenischen Aufführung durch die deutschen Konzertsäle, und hat am Mittwoch Halt in der Kölner Philharmonie gemacht.

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Teodor Currentzis mit Musikern des MusicAeterna Orchestra

Erzählt wird die Geschichte der Tochter des Maya-Häuptlings Xicotenga, Teculihuatzin, die dem Conquistador Don Pedro de Alvarado als Frau versprochen wird. Was ursprünglich als Kriegstaktik gedacht ist, um die Maya-Krieger über die Pläne der spanischen Eindringlinge auf dem Laufenden zu halten, geht allerdings nicht auf, da sich Teculihuatzin in Don Pedro verliebt hat und sogar zum katholischen Glauben konvertiert ist. Fortan nennt sie sich Doña Luisa und träumt nicht nur davon, ein Kind von Don Pedro zu bekommen, sondern hofft auch darauf, aus dem rastlosen Krieger einen liebenden Ehemann zu machen. Doch als die Spanier in einem grausamen Gemetzel 10.000 Indios töten, muss sie erkennen, dass sie sich falschen Illusionen hingegeben hat, und entwickelt sich zu einer stillen und unterwürfigen Frau. Als Don Pedro dann auch eine andere Frau aus dem spanischen Königshaus heiratet, verliert Luisa völlig den Verstand. Ihre Tochter Leonor, die vom Vater benutzt wird, um bei den Eingeborenen Vertrauen zu gewinnen, erkennt zu spät, welchen Menschen sie in der Mutter verloren hat, und sucht verzweifelt ihre eigene Identität zwischen christlichen Gebeten und den Riten der Maya.

Zur szenischen Umsetzung des Abends treten der Chor und die Solisten nicht nur ohne Textbücher auf und setzen den gesungenen Text darstellerisch um, sondern auch die wechselnden Lichteinstellungen erzeugen in der Kölner Philharmonie mit beeindruckenden Farbeffekten eine großartige Wirkung. Direkt zu Beginn wird man im dunklen Saal von dem MusicAeterna Orchestra mit dumpfen Tönen auf dem Schlagzeug in eine fremde Welt mit einer ganz eigenen Religion entführt. Maritxell Carrero, die wie bereits in Madrid die Rolle der Sprecherin übernimmt, sitzt im Zuschauersaal und wird somit als Erzählerin Teil des Publikums. Zunächst fällt sie gar nicht auf, und die Stimme scheint geheimnisvoll aus dem Off zu kommen. Doch kurz vor der Pause erhebt sie sich. Zunächst nimmt sie die Sicht der Doña Isabel, der Ehefrau des spanischen Generals Don Pedrarias Dávila, ein, die es eigentlich nur gut mit den Indiofrauen meint und sie mit der Taufe und der europäischen Kleidung vor den lüsternen Blicken der spanischen Soldaten schützen will. Johanna Winkel stattet die Partie der Isabel mit leuchtendem Sopran aus. Ihre große Arie im ersten Akt ist von Sellars in die Partitur eingefügt worden, da diese Figur in der Originalgeschichte nicht vorkommt.

Im Anschluss übernimmt Carrero die Perspektive der "Indian Queen" Teculihuatzin, die Paula Murrihy mit warmer Mittellage anlegt und strahlenden Höhen ausstattet. Besonders gut gelingt es Murrihy, auch darstellerisch die Gefühle der Titelfigur zu vermitteln. So präsentiert sie sich zunächst als schwärmerisches Mädchen, das allmählich an der grausamen Realität zerbricht. Wie sie am Ende auf der Bühne kauert, geht unter die Haut. Auch die rituelle Maya-Messe, der sie sich kurz vor Ende ihres Lebens unterzieht, um die unheiligen Seelen zu verjagen, wird beeindruckend umgesetzt. Oft setzen die Solisten auch nur das gesprochene Wort Carreros in Mimik und Gestik auf der Bühne um. So versucht Murrihy beispielsweise lange Zeit, ihren Gatten zu verführen. Jarrett Ott legt den Don Pedro absolut kühl an und punktet mit sauber geführtem Tenor, der bewusst auf emotionale Tiefe verzichtet, da diese Figur nicht wirklich zu lieben vermag. Im Duett mit Thomas Cooley als Don Pedrarias Dávila wird deutlich, dass es den Spaniern nur um die Eroberung und Unterdrückung der Eingeborenen geht.

Eine ganz andere Welt präsentieren die beiden Countertenöre Ray Chenez und Christophe Dumeaux und der Bariton Sir Willard White. Chenez und Dumaux verkörpern die beiden Maya-Krieger Hunahpú und Ixbalanqué, die im Untergrund gegen die Spanier kämpfen, und White gibt den Sacerdote Maya, der übernatürliche Mächte zu Hilfe ruft. Großartig gelingt ihm seine große Arie, in der er die Schlangen der Unterwelt beschwört, was vom MusicAeterna Choir mit einem unheimlichen Zischen kommentiert wird, während Chenez und Dumeaux mit ihren Armbewegungen andeuten, dass die Mächte der Unterwelt wirklich auftreten. White punktet dabei mit markanten Tiefen, während Chenez mit strahlenden Höhen glänzt. Nur Dumeaux, der die Partie des Ixbalanqué bereits in Madrid interpretiert hat, bleibt an diesem Abend stimmlich ein wenig blass. Das MusicAeterna Orchestra begeistert auch in dieser Szene mit außergewöhnlichen Schlagzeuggeräuschen, die einerseits das Rauschen des Meeres, andererseits das Zischen der Schlangen aufgreifen. Teodor Currentzis beweist als musikalischer Leiter nicht nur absolutes Fingerspitzengefühl für besondere Gestaltung der Tempi, sondern unterstützt die Rhythmik der Musik teilweise auch mit leichtem Trampeln der Füße, was vielleicht stellenweise ein wenig irritiert, mit der Musik allerdings stets im Einklang steht. In einer weiteren Szene greift er dann auch selbst zur Trommel und schlägt den Takt.

Hervorzuheben ist auch noch der MusikAeterna Choir, der einerseits in den sakral anmutenden A-cappella-Gesängen begeistert, andererseits auch an der szenischen Gestaltung einen großen Anteil hat. So bewegt er sich kurz vor der Pause zu feiernden Klängen in den Zuschauerraum, weil die Eingeborenen zu diesem Zeitpunkt noch auf eine bessere Welt durch die Spanier hoffen. Doch dieser Traum eines friedlichen Zusammenlebens wird durch die Grausamkeit der folgenden Schlacht schnell zerstört. Nach der Pause baut sich der Chor dann anklagend vor dem Orchester auf, während Currentzis scheinbar unbeteiligt wie ein Beobachter im Zuschauerraum Platz nimmt und erst anschließend wieder ans Dirigentenpult tritt. So erlebt man in der Kölner Philharmonie einen faszinierenden Abend mit einem absolut zu Unrecht vernachlässigten Werk. Dass nach der Pause einige Plätze frei blieben, dürfte weniger der Qualität des Abends als vielmehr der Tatsache geschuldet sein, dass das Konzertende von 23.30 Uhr unter der Woche für den einen oder anderen Besucher eventuell zu spät gewesen ist. Bei der Länge hätte man durchaus schon um 19.00 Uhr beginnen sollen.

FAZIT

Teodor Currentzis bietet mit dem hervorragend aufgelegten MusicAeterna Orchestra, dem stimmgewaltigen MusicAeterna Choir und hochkarätigen Solisten einen musikalischen Hochgenuss, den man nicht so schnell vergessen dürfte. Der Abend ist am Samstag, dem 10. September 2016, noch in Bremen in der Glocke und am Sonntag, dem 11. September 2016, noch im Konzerthaus Dortmund zu erleben.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Teodor Currentzis

MusicAeterna Orchestra

MusicAeterna Choir

 

Solisten

Doña Isabel
Johanna Winkel

Teculihuatzin / Doña Luisa
Paula Murrihy

Hunahpú
Ray Chenez

Don Pedro de Alvarado
Jarrett Ott

Don Pedrarias Dávila
Thomas Cooley

Ixbalanqué
Christophe Dumeaux

Sacerdote Maya
Sir Willard White

Leonor
Maritxell Carrero


 


Weitere Informationen
erhalten Sie von der

Kölner Philharmonie
(Homepage)



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