Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Konzerte
Zur Homepage Zur Konzert-Startseite E-mail Impressum




La bohème

Oper in vier Bildern
Libretto von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica nach dem Roman Scènes de la vie de bohème von Henri Murger
Musik von Giacomo Puccini

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 35' (eine Pause)

Konzertante Aufführung am Sonntag, 5. November 2017, 18.00 Uhr
Großer Saal im Konzerthaus Dortmund

 


(Homepage)

Emotionale Interpretation eines Meisterwerks

Von Thomas Molke / Fotos: © Pascal Amos Rest

Dass Meisterwerke des Opernrepertoires bei ihrer Uraufführung keinen großen Erfolg verbuchen konnten, ist keine Seltenheit. Man denke nur an Georges Bizets Carmen. Bei Puccinis Oper La bohème verhielt es sich allerdings ein bisschen anders. Hier war es nur ein Kritiker der Zeitschrift La stampa, der nach der Uraufführung 1896 urteilte, dass die Geschichte über einfache Leute wohl keinen großen Eindruck beim Publikum hinterlassen werde. Schließlich wolle man in Italien eher große Operndramen sehen und hören wie beispielsweise die italienische Fassung von Wagners Götterdämmerung. Die Zuschauer hingegen zeigten sich von Anfang an begeistert, und die Oper trat einen beispiellosen Siegeszug an, so dass das Werk auch heute noch zu den populärsten Opern aller Zeiten zählt. Nachdem Teodor Currentzis auch in Dortmund vor allem durch seine furiose Interpretation der drei Da-Ponte Opern von Mozart und zuletzt mit einer spektakulären Produktion von Mozarts Titus (siehe auch unsere Rezensionen aus Salzburg und Dortmund) Aufsehen erregt hat, widmet er sich nun mit dem 2004 von ihm in Nowosibirsk gegründeten russischen Orchester MusicAeterna Puccinis vierter Oper.

Bild zum Vergrößern

Teodor Currentzis

Die Geschichte basiert auf einem Fortsetzungsroman, in dem Henry Murger von März 1845 bis April 1849 in der Zeitschrift Le Corsaire Satan unter dem Titel Scènes de la bohème in einer lockeren Folge von Erzählungen ein farbiges Bild des Pariser Künstlermilieus entwarf, dem er selbst angehörte. Im November 1849 kam eine Bühnenversion unter dem Titel La vie de bohème im Pariser Théâtre des Variétés heraus, die ebenfalls begeistert aufgenommen wurde, so dass die 1851 überarbeitete Buchausgabe unter dem Titel Scènes de la vie de bohème zu einem der populärsten Künstlerromane des 19. Jahrhunderts avancierte. Puccini, der selbst seine Mailänder Studienzeit in ärmlichen Verhältnissen verbracht hatte, war nicht der einzige, der eine Vertonung dieser Erzählung in Angriff nahm. Auch Ruggero Leoncavallo zeigte sich von dem Stoff fasziniert und ließ sich zu einer Oper inspirieren. Während sich Leoncavallo jedoch eng an die literarische Vorlage hielt, betonten Puccinis Librettisten eher die Atmosphäre als den Handlungsablauf. Leoncavallos Vertonung kam ein Jahr nach Puccini in Venedig zur Uraufführung und konnte den Erfolg von Puccinis Oper niemals erreichen.

Bild zum Vergrößern

2. Bild: Im Quartier Latin: vorne von links: Rodolfo (Davide Giusti), Mimì (Zarina Abaeva), Teodor Currentzis, Colline (Nahuel di Pierro) und Schaunard (Edwin Crossley-Mercer), dahinter Orchester und Chor MusicAeterna und WDR Kinderchor Dortmund

Anders als bei den Auseinandersetzungen mit den Mozart-Opern hat man bei der Bohème nicht den Eindruck, dass Currentzis hier nach einem musikalisch neuen und ungewohnten Zugang zum Werk sucht. Stattdessen lässt er sich mit jeder Faser seines Körpers in die emotionalen Tiefen des Stückes hineinfallen. Zu Beginn des Abends verzichtet er auf einen großen Auftritt und wartet das Ende des Beifalls gar nicht ab, sondern stürzt sich sofort in die Musik, die ohne Ouvertüre direkt in die Mansarde von Rodolfo und Marcello führt. Mit expressiven Gesten durchlebt er die Gefühlswallungen seiner Protagonisten, formt den Text nicht nur mit dem Mund, sondern singt ihn teilweise auch mit, so dass man nicht immer genau weiß, ob er Dirigent, Protagonist oder Souffleur ist. Dabei arbeitet er mit einem feinen Gefühl für Zwischentöne die Nuancen der Musik differenziert heraus, verzaubert mit zarten, leisen Tönen und lässt es im Gegenzug im zweiten Bild auf dem Markt im Quartier Latin so richtig knallen. Im dritten Bild hört man in den berühmten leeren Quinten gewissermaßen die Schneeflocken von oben herabfallen und spürt den Nebel, durch den sich die Arbeiter am Morgen begrüßen. Für diese Szene werden die Türen zum Zuschauerraum geöffnet, und die Stimmen klingen von draußen wie aus einer anderen Welt. Wenn Mimì im vierten Bild leise ihr Leben aushaucht, rühren Currentzis' Interpretation und das Spiel des Orchesters zu Tränen.

Bild zum Vergrößern

Mimì (Zarina Abaeva) und Rodolfo (Davide Giusti)

Als konzertante Aufführung verzichtet die Produktion auf ein Bühnenbild und Requisiten. Trotzdem spielen und durchleiden die Solisten ihre Rollen glaubhaft ohne Partitur in der Hand und treten zudem in Kostümen auf, die die Ansiedlung der Geschichte im einfachen Künstlermilieu unterstreichen. Davide Giusti legt die Partie des Rodolfo mit weichem Tenor an, der nur in den Spitzentönen stellenweise angestrengt forciert. Ansonsten lässt er sich mit einer disziplinierten und sauberen Stimmführung vom Orchester tragen. Die berühmte Arie "Che gelida manina" gestaltet er mit tenoralem Charme, der nachvollziehbar macht, wieso Mimìs Herz von diesem Dichter im Flug erobert wird. Zarina Abaeva gestaltet die Partie der Mimì mit wunderschönen lyrischen Bögen und großer Strahlkraft in den Höhen. Ihre berühmte Arie "Mi chiamano Mimì" präsentiert Abaeva mit mädchenhafter Leichtigkeit. In dem folgenden Duett "O soave fanciulla" finden Giustis Tenor und Abaevas Sopran zu einer bewegenden Innigkeit. Die zarten besungenen Gefühle stehen im großen Kontrast zu dem dramatischen Duett "Addio... Che! Vai?" im dritten Bild, in dem sie nach der zwischenzeitlichen Trennung beschließen, bis zum Frühling doch noch zusammen zu bleiben. Den schleichenden Tod Mimìs im vierten Bild gestaltet Abaeva mit zartem Gesang und intensivem Spiel. Am Ende stellt sie sich mit dem Rücken zum Publikum ins Orchester.

Bild zum Vergrößern

Schlussapplaus: von links: Marcello (Konstantin Suchkov), Musetta (Nadezhda Pavlova), Rodolfo (Davide Giusti), Mimì (Zarina Abaeva), Teodor Currentzis, Colline (Nahuel di Pierro), Schaunard (Edwin Crossley-Mercer), Alcindoro (Garry Agadzhanyan) und Parpignol (Sergey Vlasov)

Aufhorchen lässt Konstantin Suchkov als Marcello. Mit profundem Bariton arbeitet er die unterschiedlichen Seiten des Malers glaubhaft heraus und überzeugt als aggressiv eifersüchtiger Liebhaber einerseits, der sich von der lebenslustigen Musetta ständig provozieren lässt, und als einfühlsamer Freund andererseits, der sich das karge Leben in der Mansardenwohnung mit Rodolfo und den anderen durch manchen komischen Schabernack vertreibt, an dem Leid Mimìs jedoch genauso verzweifelt wie sein Freund Rodolfo. Auch Nadezhda Pavlova gelingt es, als Musetta die verschiedenen Seiten der Figur überzeugend herauszuarbeiten. Mit strahlendem Sopran präsentiert sie ihre berühmte Arie "Quando me'n vo" und macht bei aller Oberflächlichkeit deutlich, dass sie im tiefsten Innern eine liebenswerte und empfindsame Frau ist. Den Versöhnungskuss im zweiten Bild spielen Suchkov und Pavlova so intensiv, dass Suchkovs Mund anschließend mit Lippenstift verschmiert ist und man sich nicht sicher ist, ob die beiden den Spaß, den Musetta und Marcello im Anschluss haben, nur spielen oder auf der Bühne gerade wirklich empfinden. Im dritten Bild bieten sie dann mit ihrem lauten Streit beim Quartett mit Giusti und Abaeva einen hervorragenden Kontrast zu der innigen Liebe zwischen Rodolfo und Mimì.

Edwin Crossley-Mercer begeistert als Schaunard mit markantem Bassbariton und komödiantischem Spiel. Nahuel di Pierro bleibt als Philosoph Colline in dem Künstlergespann zunächst etwas blass, punktet dann aber im letzten Bild mit sonorem Bass in seiner Mantel-Arie "Vecchia zimarra, senti". Garry Agadzhanyan setzt zunächst als Benoit im Feinripp-Unterhemd und später als Alcindoro, der von Musetta schamlos ausgenutzt wird, vor allem komische Akzente. Der Chor MusicAeterna begeistert im zweiten Bild durch homogenen Klang. Gleiches gilt für den WDR Kinderchor Dortmund, so dass es am Ende für alle Beteiligten großen und verdienten Jubel gibt.

FAZIT

Teodor Currentzis' intensive Interpretation des Werkes führt dazu, dass man die fehlende Szene nicht vermisst und wie bei einer guten szenischen Umsetzung der Oper intensiv mit den Protagonisten mitfühlt. Die Produktion ist szenisch noch am 10. und 12. November 2017 in Baden-Baden zu erleben.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Teodor Currentzis

Chor und Orchester MusicAeterna

WDR Kinderchor Dortmund



Solisten

Rodolfo
Davide Giusti

Mimì
Zarina Abaeva

Schaunard
Edwin Crossley-Mercer

Marcello
Konstantin Suchkov

Colline
Nahuel di Pierro

Musetta
Nadezhda Pavlova

Benoit / Alcindoro
Garry Agadzhanyan

Parpignol
Sergey Vlasov

Sergeant
Viktor Shapovalov



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Konzerthaus Dortmund
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Zur Konzert-Startseite E-Mail Impressum
© 2017 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: konzerte@omm.de

- Fine -