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Emotionale Interpretation eines Verdi-Klassikers Von Thomas Molke / Fotos: © Pascal Amos Rest Meisterwerke neu zu interpretieren ist mittlerweile zu einer Art Markenzeichen von Teodor Currentzis geworden, der in seiner Wahlheimat Russland künstlerischer Leiter der Staatsoper und des Balletts Perm sowie des 2004 von ihm gegründeten Orchesters und Chors MusicAeterna ist. Auch im Konzerthaus Dortmund konnte man sich in den vergangenen Spielzeiten davon häufiger überzeugen. So dürften seine furiose Interpretation der drei Da-Ponte Opern von Mozart 2015 und Mozarts Titus in der vergangenen Spielzeit noch in guter Erinnerung sein (siehe auch unsere Rezension). In dieser Spielzeit widmet man ihm sogar ein ganzes Abonnement mit insgesamt drei Veranstaltungen. Den Anfang macht dabei eine konzertante Aufführung von Verdis wohl erfolgreichster Oper der Musikgeschichte, die mit Rigoletto und Il trovatore auch als "Trilogia popolare" bezeichnet wird, und 2010 vom Deutschen Fernsehen zur "beliebtesten Oper aller Zeiten" gekürt wurde: La traviata, die einzige Oper Verdis, die in der Gegenwart ihrer Uraufführung spielt und vielleicht aufgrund der Nähe zum eigenen Leben des Publikums bei der Uraufführung am 6. März 1853 im Teatro La Fenice zunächst ein Reinfall wurde. Erst mit der zweiten Produktion im Teatro San Benedetto im Mai 1854 konnte das Werk den triumphalen Erfolg verbuchen, der bis heute anhält und die Partie der Kurtisane Violetta Valéry zur Paraderolle für zahlreiche große Sängertragödinnen von Rosa Ponselle über Maria Callas bis hin zu Anna Netrebko gemacht hat. 2015 brachte Robert Wilson eine Inszenierung dieser Oper am Staatstheater in Linz heraus, die ein Jahr später unter der musikalischen Leitung von Currentzis nach Perm ging und dort 2017 in drei Kategorien (Regie: Robert Wilson, musikalische Leitung: Teodor Currentzis und Hauptdarstellerin: Nadezhda Pavlova) mit der "Golden Mask", einem renommierten russischen Theaterpreis, ausgezeichnet wurde. Nun tourt Currentzis mit dem Ensemble MusicAeterna und einem Teil der Besetzung aus Perm konzertant durch Deutschland. Nadezhda Pavlova (Violetta) und Teodor Currentzis im ersten Akt Schon beim musikalischen Vorspiel zu Beginn der Oper macht Currentzis deutlich, wie tief emotional er mit dem MusicAeterna Orchester in die Geschichte eintaucht. Gewissermaßen aus dem Nichts entstehen die ersten Töne der geteilten hohen Violine, die das traurige Ende der Titelfigur bereits vorwegnehmen. Umso heftiger vollzieht sich dann der Wechsel zum rauschenden Fest und glitzernden Treiben auf dem Fest im ersten Akt im Pariser Salon der von den Männern umschwärmten Kurtisane Violetta Valéry. Anders als bei der konzertanten Aufführung von Puccinis La bohème in der letzten Spielzeit, die Currentzis ebenfalls mit seinem Ensemble MusicAeterna präsentierte (siehe auch unsere Rezension), wird bei La traviata auf szenisches Spiel größtenteils verzichtet. Die Solisten stehen an der Rampe, singen die Partien allerdings nicht vom Blatt ab. Besondere Gruppierungen sind dabei nicht zu erkennen. So befinden sich im ersten Akt Violetta, Flora und der Marquis links vom Dirigenten und Alfredo mit dem Viconte, dem Baron und dem Doktor auf der rechten Seite. Violetta und Alfredo halten voneinander Abstand. Die Titelpartie ist mit Nadezhda Pavlova besetzt, die für ihre Darstellung in Perm mit der "Golden Mask" ausgezeichnet worden ist und in der letzten Spielzeit als Musetta in Puccinis La bohème im Dortmunder Konzerthaus unter Currentzis zu erleben war. Den Anfang der Partie setzt sie mit dunkel eingefärbtem Sopran an, schwingt sich aber im weiteren Verlauf des Abends in strahlende Höhen empor. Mit großer Dramatik gestaltet sie ihre erste große Arie "È strano", in der sie sich über ihre Gefühle für Alfredo bewusst wird. Ob Currentzis dabei eine wirkliche Hilfe ist oder eher ablenkt, ist diskutabel, da er mit jeder Faser seines Körpers die emotionalen Gefühlswallungen seiner Protagonistin selbst zu durchleben scheint und den Text nicht nur mit dem Mund mitformt, sondern teilweise auch mitsingt, so dass man nicht immer genau weiß, ob er Dirigent oder Souffleur ist. In der folgenden Cabaletta "Sempre libera degg'io" begeistert Pavlova mit furioser Höhe und wählt bei den Koloraturen einen Ansatz, der genau auf ihre stimmlichen Qualitäten abgestimmt ist, auch wenn man die Läufe von anderen Sopranistinnen schon perlender gehört hat. Airam Hernández setzt als Alfredo in seiner großen Arie im ersten Akt, "Un di, felice, eterea", wenn Alfredo und Violetta sich auf der Feier ihre Liebe gestehen, vor allem auf ausladende Posen. In der Mittellage verfügt er über einen sehr kräftigen Tenor, der in den Höhen bisweilen ein wenig Strahlkraft einbüßt. Beim berühmten Trinklied "Libiamo" bringt Currentzis den Saal mit dem kräftig auftrumpfenden Chor regelrecht zum Beben. Umso stärker ist dann anschließend der Kontrast zu den leisen Tönen Violettas, die allein im Salon zurückbleibt. Orchestermusiker, die im Foyer platziert sind, untermalen die Szene eindrucksvoll, da die Musik so von außen in den Saal dringt und man sie wie Violetta aus einer gewissen Entfernung wahrnimmt. Giorgio Germont (Dimitris Tiliakos) fordert Violetta (Nadezhda Pavlova) auf, seinen Sohn Alfredo zu verlassen (in der Mitte: Teodor Currentzis). Der erste Teil des zweiten Aktes wird dann kammerspielartig angelegt. Hernández überzeugt mit sauberen Höhen in seiner Arie "De' miei bollenti spiriti", in der er sein Glück mit Violetta besingt. Einen großartigen Auftritt hat anschließend Dimitris Tiliakos als Alfredos Vater Giorgio Germont. Mit profundem Bariton und enormer Durchschlagskraft unterstreicht er den patriarchalischen Charakter der Figur und macht Violetta unmissverständlich klar, dass sie nicht für seinen Sohn bestimmt ist. Zwar erkennt er die aufrichtigen Gefühle der jungen Frau, überzeugt sie aber dennoch, auf Alfredo zu verzichten. Pavlova begeistert hierbei mit großartiger Leidensfähigkeit, die die Vorsätze des alten Germont durchaus ins Wanken bringen. Im bewegenden Duett finden Tiliakos' Bariton und Pavlovas Sopran dabei zueinander. Mit großer Mühe versucht er anschließend, seinen Sohn davon zu überzeugen, dass eine Trennung von Violetta die einzige Lösung für ihn ist. Seine große Arie "Di provenza il mare, il suol" bildet dabei einen weiteren musikalischen Höhepunkt. Doch Alfredo zeigt sich uneinsichtig und folgt Violetta nach Paris. Nun tritt der Chor auf und punktet erneut durch kräftigen, homogenen Klang. In den kleineren Partien überzeugen Natalia Liaskova als Violettas Freundin Flora mit sattem Mezzosopran, Aleksei Svetov als Marquis mit kräftigem Bariton und Viktor Shapovalo als Baron Douphol mit dunklem Bass, der anschließend von Alfredo zum Duell gefordert wird. Violettas (Nadezhda Pavlova) Todesszene (rechts von ihr: Alfredo (Airam Hernández), links von ihr: Teodor Currentzis) Warum es nach dem fulminanten Ende des zweiten Aktes erneut eine Pause gibt, erschließt sich nicht wirklich. Eigentlich hätte man direkt weiterspielen können. Im dritten Akt begeistert Pavlova nicht nur stimmlich als todkranke Violetta, sondern setzt die letzten Momente der jungen Frau auch szenisch bewegend um. Ein einfacher Stuhl auf der Bühne reicht, um ihre Schwäche darzustellen und die Aussage des Doktors (Vladimir Taisaev) zu unterstreichen, dass sie nur noch wenige Stunden zu leben hat. Pavlovas leichter russischer Akzent bei den gesprochenen italienischen Passagen stört nicht weiter. Großartig intensiv gestaltet sie die große Abschiedsarie "Addio, del passato". Wie zerbrechlich sie dabei das "tutto finì" ansetzt, rührt zu Tränen. Das Publikum im Saal wirkt so konzentriert, dass man eine Stecknadel fallen hören könnte. Auch mit Hernández ist ihr darstellerisch in der folgenden Szene ein kleiner Moment der Innigkeit gegönnt. Schade ist, dass sie in der anschließenden Sterbeszene nicht wieder isoliert wird. Hier hätte Hernández vielleicht die Seite wechseln sollen und zu Annina (Elena Iurchenko), seinem Vater und dem Doktor treten sollen, um Violettas Tod noch ergreifender zu gestalten. Der Chor ist im Foyer positioniert und bewirkt so, dass das bunte Treiben des Karnevals wie von fern in die abgelegene Kammer der sterbenden Violetta dringt. Das Publikum bedankt sich für diese emotionale Darbietung mit großem Jubel für alle Beteiligten. FAZIT Teodor Currentzis lotet mit dem Ensemble MusicAeterna die emotionalen Tiefen der Geschichte musikalisch hervorragend aus, und auch die Solistenbesetzung lässt kaum Wünsche offen.
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Produktionsteam
Musikalische
Leitung MusicAeterna Orchester der Oper Perm MusicAeterna Chor der Oper Perm
Violetta Valéry Alfredo Germont Giorgio Germont Flora Bervoix Annina Gaston, Viconte de Letorières Baron Douphol Marquis von Obigny Doktor Grenvil Giuseppe, Diener Violettas Hausdiener Floras Ein Bote
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