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Einstein on the Beach

Oper in vier Akten für Ensemble, Chor und Solisten
Texte von Christopher Knowles, Samuel M. Johnson und Lucinda Childs
Musik von Philip Glass

in englischer Sprache

Aufführungsdauer: ca. 3h 40' (keine Pause)

Halbszenische Aufführung am Sonntag, 4. November 2018, 18.00 Uhr
Alfried Krupp Saal in der Philharmonie Essen

 



Philharmonie Essen
(Homepage)

Verlust von Raum und Zeit

Von Thomas Molke / Foto: © George Holz

Vom 24. Oktober 2018 bis zum 5. November 2018 fand in Essen zum achten Mal das Festival NOW! statt, das die Philharmonie Essen gemeinsam mit der Folkwang Universität der Künste, der Stiftung Zollverein, dem Landesmusikrat NRW und dem PACT Zollverein ausrichtet und das sich der Neuen Musik des 20. und 21. Jahrhunderts widmet. Das diesjährige Festival stand unter dem Motto "form per form" und beschäftigte sich in knapp 20 Konzerten und Aufführungen mit Komponisten, die in ihren Werken die strengen Formgrenzen zwischen instrumentaler, vokaler und szenischer Gattung aufgehoben haben und oftmals einen Performance-Charakter besitzen. Neben Ur- und europäischen Erstaufführungen sind hier auch immer wieder Klassiker der Neuen Musik zu erleben. So gab es in diesem Jahr zum Abschluss eine halbszenische Neueinstudierung von Philip Glass' erster Oper Einstein on the Beach. Als Sprecherin konnte die US-amerikanische Sängerin Suzanne Vega aus Kalifornien gewonnen werden, deren Liedtexte Glass auf seinem Album "Songs from Liquid Days" Mitte der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts vertonte, womit eine enge künstlerische Freundschaft zwischen den beiden begann. Gemeinsam mit dem Ictus Ensemble, dem Collegium Vocale Gent und der Künstlerin Germaine Kruip erarbeitete Vega eine neue Konzertversion, die nun in der Philharmonie zu erleben war.

Glass' Oper markiert die Keimzelle zu einem Triptychon, dessen weitere Hauptgestalten Mahatma Ghandi (Satyagraha) und Echnaton wurden. Dass die Wahl dabei auf Albert Einstein fiel, war wohl eher einem Kompromiss geschuldet. Robert Wilson, der gemeinsam mit Glass das Stück entwickelte, hatte ursprünglich Charlie Chaplin oder Adolf Hitler vorgeschlagen, was von Glass aber kategorisch abgelehnt wurde. So einigte man sich auf den berühmten Physiker als Namensgeber, ohne der Oper irgendeinen biographischen Bezug zu ihm zu geben. Ursprünglich sollte das Stück Einstein on the Beach on Wall Street heißen, wobei sich Glass und Wilson angeblich aber nicht mehr erinnern können, warum und wann dieser Titel wieder gekürzt wurde und nun beinahe wie ein Cocktail klingt. Als eine bunte Mischung lässt sich auch die Struktur des Stückes beschreiben, das aus vier Akten besteht, die durch so genannte "kneeplays" eingerahmt und verbunden werden, dabei aber auf jegliche Handlung verzichtet. Stattdessen entsteht ein minimalistisches Klangbad aus gesprochenen Texten des Schauspielers Samuel M Johnson und der Choreographin Lucinda Childs sowie Gedichten von Christopher Knowles, endlos vorgetragenen Zahlenkolonnen oder einzelnen Silben und Musik von zwei Synthesizern, drei Bläsern und einem Violinisten.

Der Violinist mag dabei noch am ehesten einen Bezug zu Einstein erkennen lassen, da dieser ja ein sehr begabter Amateurgeiger gewesen sein soll. Das große Violinsolo im zweiten "kneeplay" kann als Hommage an den großen Physiker betrachtet werden. Ansonsten ist es vielleicht eher die Aufhebung von Raum und Zeit im Stück, die man mit dem Erfinder der Relativitätstheorie in Verbindung bringt. Das Stück wird nämlich ohne Pause durchgespielt, nimmt dabei aber durchaus den Umfang einer Wagner-Oper ein. Dem Publikum ist es hingegen jederzeit erlaubt, den Saal zwischendurch zu verlassen. Glass selbst soll einmal zugegeben haben, dass er bei keiner der von ihm besuchten 50 Aufführungen permanent im Saal geblieben sei. In der Philharmonie ist aber zu beobachten, dass ein Großteil des Publikums ohne Unterbrechungen der Vorstellung folgt, die allerdings auch nicht die ursprünglichen knapp fünf Stunden, sondern lediglich gut 220 Minuten umfasst.

Die acht Sängerinnen und sechs Sänger des Collegium Vocale Gent leisten an diesem Abend Unglaubliches. Mit welcher Präzision sie die Zahlenkolonnen herunterrattern und dabei ständige Taktwechsel einhalten, ist unglaublich. Da verwundert es auch nicht, dass Georges-Elie Octors und Tom De Cock gemeinsam die musikalische Leitung übernehmen, da niemand allein über einen solch langen Zeitraum ohne Unterbrechung eine derartige Konzentration aufbringen kann. Außer den Zahlen haben die Choristen nur einzelne Silben zu singen, die interessante Klangbilder abgeben. So hört man im ersten Akt im Rhythmus der Silben durchaus einen vorbeifahrenden Zug. Dieser Zug kehrt dann im zweiten Akt als Nachtzug zurück. Im vierten Akt wird man durch diesen Klangkosmos sogar in den Weltraum entführt, und der Zuhörer wähnt sich in einem Raumschiff. Im dritten "kneeplay" gibt es auch einen beeindruckenden A-cappella-Gesang. Beim "Tanz 2" im dritten Akt wird der Gesang zwar ein wenig penetrant, geht dann aber in ein erneutes spannendes Violinsolo über, das von den sechs Sängern des Chors begleitet wird.

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Suzanne Vega

Suzanne Vega übernimmt die kompletten Sprechtexte, die normalerweise auf mehrere Personen aufgeteilt sind. Wenn sie ihren ersten Text rezitiert, während der Chor die Zahlenkolonnen singt, hat man das Gefühl, das Vega ein wenig zu leise ist, da man den gesprochenen Text gegen den Chor kaum verstehen kann. Aber das scheint Absicht zu sein, da der Text eine sich ständig wiederholende Sequenz ist, die genauso wenig auf Verständnis angelegt ist wie der anschließend zitierte Liedtext "Mr. Bojangles". Wenn Vega dann allerdings beim "Verhör" im ersten Akt "All Men Are Equal" vorträgt und provokativ die Frage formuliert, was denn mit der anderen Hälfte der Bevölkerung - "Women" - ist, ist die Diktion mehr als deutlich. Komik versprüht sie bei der Supermarkt-Geschichte im dritten Akt, wenn sie die Artikel in den schillerndsten Farben beschreibt. Bewegend intoniert sie auch die romantische Liebesgeschichte am Ende des Abends, wenn ein Mann seiner langjährigen Partnerin erklären will, wie groß seine Liebe zu ihr ist.

Auch die sechs Musiker des Ictus Ensemble begeistern auf ganzer Linie. Die beiden Herren an den Synthesizern sind nahezu durchgängig im Einsatz und bewegen sich mit haarscharfer Präzision durch die ständigen Wiederholungen mit kleinsten Variationen. Schon wenn das Publikum zu Beginn den Saal betritt, vernimmt man kosmisch anmutende Klänge von einem Synthesizer, während die Saxophonspielerin wahllos irgendwelche Zahlen in den Raum spricht. Das Lichtdesign von Chris Vanneste wirkt etwas willkürlich. So sieht man mehrere Scheinwerferkegel ständig durch den Raum kreisen. Zu Beginn hat man das Gefühl, dass es sich dabei um einen Strudel handelt, in den der Zuschauer hineingezogen werden soll. Auch wenn der Abend mit den ständigen Wiederholungen und der fehlenden Handlung einige Längen hat, lässt sich die Faszination, die von Glass' Musik ausgeht, nicht leugnen, so dass das Publikum alle Beteiligten am Ende mit großem Applaus belohnt.

FAZIT

Glass' Oper ist ein Kraftakt, sowohl für die Ausführenden als auch für die Zuhörer. Aber wenn man sich darauf einlässt, kann man für

gut dreieinhalb Stunden den Bezug zu Raum und Zeit durchaus verlieren.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Georges-Elie Octors

Musikalische Leitung Assistenz
Tom De Cock

Choreinstudierung
Maria von Nieukerken

Personen- und Lichtregie
Germaine Kruip

Lichtdesign
Chris Vanneste

Kostüme
Anne-Catherine Kunz

Dramaturgie
Maarten Beirens

 

Collegium Vocale Gent

Ictus Ensemble

Solistin

Sprecherin
Suzanne Vega

 


Weitere Informationen
erhalten Sie von der

Philharmonie Essen
(Homepage)



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