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London Symphony Orchestra
Sir Simon Rattle



21. Februar 2019, Saalbau Essen, Alfried Krupp Saal
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Philharmonie Essen
(Homepage)
Ein starkes Plädoyer für zwei vernachlässigte Meisterwerke

Von Stefan Schmöe, Foto: Saad Hamza

Simon Rattle erfreut sich beim Publikum außerordentlicher Beliebtheit. Jedenfalls war die Essener Philharmonie bei diesem Konzert mit dem London Symphony Orchestra, kurz LSO, dem Rattle seit seinem Abschied von den Berliner Philharmonikern als "Musikdirektor" vorsteht, bis auf den letzten Platz gefüllt - obwohl Rattle zwei Werke gewählt hatte, die vorsichtig formuliert, nicht gerade zu den Schlachtrössern des Repertoires gehören: Béla Bartóks wunderliche Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta und Bruckners lange Zeit im Konzertleben ignorierte sechste Symphonie. Am Ende dieses Abends fragt man sich, warum beide Kompositionen nicht viel häufiger zu hören sind.

Foto

Bartóks viersätzige, 1936 entstandene Musik …, vielfach als ein Schlüsselwerk des 20. Jahrhunderts bezeichnet, spielt mit klassischen Formen (das Werk beginnt mit einer langsamen Fuge in ständig wechselndem Taktmaß) ebenso wie mit Klangfarben - beim Klavier darf man sich nie so sicher sein, ob es gerade zu den Saiteninstrumenten oder, in den schnellen Sätzen, der perkussiven Spielweise wegen zum Schlagzeug gerechnet wird. Rattle interessiert sich mehr für den zweiten Aspekt, die mitunter impressionistisch anmutenden Klangeffekte. Er lässt die Fugeneinsätze im fast unhörbaren Superpianissimo beginnen - eine Musik, die aus dem Nichts heraus wie ein Wunder entsteht und sich in einer gigantischen Steigerung, hier mit geradezu greifbarer Spannung entwickelt, aufbaut. Die raffinierten Klangeffekte im dritten Satz dirigiert er wie mit einem großen Staunen über das, was hier geschieht. Die schnellen Sätze besitzen federnde Energie und manchmal geradezu jazzige Leichtigkeit - da hört Sir Simon auch schon mal auf zu dirigieren und wippt einfach mit. Ein bisschen schade ist, dass Rattle zwischen den Sätzen ziemlich große Pausen macht (in denen regelmäßig ein Hustenorkan freigesetzt wird) - ein engerer Zusammenhang wäre doch wünschenswert. Der Jubel am Ende spricht auch dafür, dass Bartók ein in Deutschland immer noch unterschätzter Komponist ist.

Zwischen der Richard Wagner gewidmeten dritten, der ohnehin überaus populären vierten (der Romantischen), der komplex konstruierten (und deshalb bei Dirigenten beliebten?) fünften, der über alle Zweifel erhabenen siebenten, der monumentalen achten und schließlich unvollendet gebliebenen grandiosen neunten Symphonie Bruckners führt die Sechste ein Schattendasein - vielleicht, weil das Thema des langsamen Satzes im ersten Moment wie eine Vorstudie zum Adagio der Siebenten wirkt, vielleicht weil sie eben noch nicht den abgeklärten Altersstil der letzten drei Symphonien aufweist (was sie gerade reizvoll macht - Bruckner bezeichnete sie nicht ohne Grund als seine "keckste" Symphonie), und vielleicht auch, weil er im Finale ziemlich ausgiebig Wagner zitiert, Mild und leise, wie er lächelt, den Liebestod aus Tristan und Isolde, nicht ungefährlich, denn da tritt er natürlich in Konkurrenz zu einem opus summum der Musikgeschichte. Aber diese eben nicht ganz so bombastisch konstruierte, helle Symphonie (in der Lohengrin-Tonart A-Dur - eine Oper "nach Art des Lohengrin hatte Bruckner auch mal angedacht), mit einem noch an Mendelssohns Sommernachtstraum-Duftigkeit erinnernden Scherzo, mit einem nicht unwitzigen Finale, dessen Thema mit provokativer Nebensächlichkeit auftritt, hat ihren ganz eigenen Reiz.

Ein analytischer Dirigent war Rattle ohnehin selten, und in dieser Interpretation scheint er sich frei gemacht zu haben von allen Interpretationszwängen, dirigiert wie aus dem Moment heraus, trifft gut den Ton zwischen "zu leicht" und "zu schwer", wirkt entspannt und gibt der Musik auch hier mehr pulsierende Kraft als statische Wucht. Er ließ Orchester und Publikum ziemlich lange warten, bevor er nach der Pause das Podium betrat - daran mag gelegen haben, dass sich im ersten Satz die eine oder andere Unkonzentriertheit einschlich. Das LSO ist zweifellos ein sehr gutes Orchester, gleichwohl erreicht es an diesem Abend nicht die Perfektion der Berliner Philharmoniker. Klanglich versucht Rattle den Spagat: Helle, lichte, strahlende Farben auf der einen, ein sattes Bassfundament auf der anderen Seite, was ziemlich gut gelingt. Wenn sich manche Kantilene schwelgerisch entfaltet, weist das bereits auf die voraus, die Bruckner nachfolgen werden: Richard Strauss und Gustav Mahler. Rattle genießt das, ohne in falsches Sentiment zu verfallen. Und die Schlussakkorde nimmt er elegant zurück: Eine Geste der Bescheidenheit ganz im Dienste der Musik.




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Ausführende

London Symphony Orchestra

Leitung: Sir Simon Rattle


Werke

Belá Bartók:
Musik für Saiteninstrumente,
Schlagzeug und Orchester


Anton Bruckner:
Symphonie Nr. 6 A-Dur




Weitere Informationen:

Philharmonie Essen



Da capo al Fine

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