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Teodor Currentzis
musicAeterna Chor und Ensemble
musicAeterna byzantina
und Solisten

Werke von Jean Philippe Rameau, Philippe Hersant und Wolfgang Amadeus Mozart

Aufführungen im Festspielhaus Baden-Baden am 31. Oktober, 2. und 3. November 2019

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Festspielhaus Baden-Baden
(Homepage)

Höchste Erwartungen erfüllt

Von Christoph Wurzel / Foto: Alexandra Muravyeva

Welch eine Vielfalt! Die Leben sprühende barocke Pracht der Opern- und Ballettmusiken Rameaus, die dunkle, erdenschwere Traurigkeit der Gefangengedichte in Philippe Hersants Tristia, die hoffnungsvolle Transzendenz in Mozarts Requiem: Wer das Glück hatte, alle drei Konzerte zu besuchen, die Teodor Currentzis mit seinem musikAeterna Ensemble und Chor in Baden-Baden gab, konnte sich wohl kaum der spirituellen Macht dieser Musik entziehen, zumal  sie in derart künstlerischer Wahrhaftigkeit präsentiert wurde.

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Mitreißende Musik von Rameau

Eingangs also Rameau. Von seiner Musik fühlt Currentzis, dass sie  "unsere Herzen so direkt wie ein Sonnenstrahl" treffe. Und aus dem Dunkel des Raums lassen die Musiker*innen seines Ensembles auch das erste zarte Stück strahlen, ein sanftes Rondeau aus den Suites de clavecin in einer Fassung als Triosonate für Violine und Flöte mit Bassbegleitung. Noch mehrmals werden in diesem Konzert derartige Inseln delikaten, solistischen Klangs entstehen, die wie Ruhepole im quirligen Treiben des gesamten Ensembles wieder Aufmerksamkeit sammeln lassen für die nächste Attacke der triumphierend vitalen Rameau'schen Musik. Etwa wenn man in der Ouvertüre zu der Pastorale héroique Zaïs buchstäblich die Urelemente klingen hört - Feuer, Wasser und Luft in flirrenden Streichern und wirbelnden Holzbläsern. Oder wenn in der Ouvertüre zur Oper Naïs in allem dazugehörigen Pomp ein Friedensschluss der damals unzähligen Kriege mit Pauken und Trompeten gefeiert wird. Wie unbändig sich auch das musikalische Temperament entfaltet, stets strahlt die Musik all ihren Glanz aus, spielen die Instrumentalisten mit stupender Technik auch das heikelste Prestissimo in phänomenaler Präzision. Momente, in denen man den lebendigsten Begriff von barocker Prachtentfaltung bekommt.

Leider nur drei Mal trägt Nadine Koutcher mit ihrem schlackenlosen hellen Sopran eine Arie aus dem reichen ¼uvre Rameus bei. Auch diese aber einen weiten Bogen schlagend von der feierlichen Ruhe der Auftrittsarie der Priesterin Aricie (Hippolyte et Aricie) bis zur vokalen Verrücktheit in der Air de la Folie aus Platée, in der es die Sängerin mit brillanter Koloraturakrobatik nur so lachen, kichern und gackern lässt.  Aber auch instrumental lässt Currentzis keine Gelegenheit zu musikalischer Klangmalerei aus, sei es das Huhn (La poule) oder der Schüchterne (Le timide) in seinen furchtsam tastenden Bewegungen.

Currentzis klebt nicht am Pult. Oft richtet er sich direkt an seine Musiker, modelliert regelrecht den erwünschten Klang mit seinen Händen aus. Am Schluss des ersten Teils greift er selbst zum Tambourin und mit einem Contredanse aus Les Boréades  zieht mit ihm das ganze Ensemble von der Bühne durch die Mittelgänge zum Saal hinaus. Es hat auch mit Inszenierung zu tun, wenn Currentzis mit seinem Ensemble ein Programm präsentiert. Dabei hält es weder Musiker*innen noch Publikum auf den Sitzen. Schon am ersten Abend ernteten die Mitwirkenden stehende Ovationen.

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Musik auf Gedichte aus dem Gefangenenlager: Tristia von Philipp Hersant

Das änderte sich auch nach den beiden folgenden Konzerten nicht. Doch hier erst nach einigen Momenten nachspürender Stille. Inszeniert ist auch der Zyklus von 34 Texten aus Gefangenenlagern in Frankreich und Russland. Im Kloster Clairveaux hat es nach der Säkularisation in der Französischen Revolution bis in die 1960er Jahre hinein ein Staatsgefängnis gegeben, für dessen Insassen seit 2004 Schreibworkshops eingerichtet wurden, um den Gefangenen Gelegenheit zur künstlerischen Verarbeitung ihrer Situation zu geben. Daraus ist der erste Teil des Zyklus Tristia entstanden, Gedichte und kurze Gedankensplitter, die Philippe Hersant für Chor und Instumentalensemble in überaus sensibler Musik auskomponiert   hat. Teodor Currentzis war von dem Werk so begeistert, dass er um eine Erweiterung mit Texten aus russischen Arbeitslagern bat, in diesem Fall längeren Gedichten von namhaften Lyrikern wie Warlam Schalamow oder Ossip Mandelstam, der den Gulag nicht überlebte. Dezidiert verstand Currentzis die Uraufführung 2016 im russischen Perm als politisches Statement und widmete sie der Freiheit, "dem Kostbarsten was wir haben".

In diesem Konzert zeigte vor allem der musicAeterna Chor seine überragende Qualität. In wechselnden Formationen ließen die Sänger*innen in den oft kurzen Sätzen je nach der Aussage der lyrischen Texte deren Stimmung intensiv erstehen, die vom Komponisten in unmittelbar emotionale Musiksprache gefasst wurde: die Klangmonotonie der tiefen Depression ("Meine Welt ist grau") ebenso wie die zermürbende Eintönigkeit des Gefängnisalltags, wenn der Stumpfsinn der sinnlos verstreichenden Zeit zusätzlich durch tickende Metronome sinnfällig wird.

Meist sind es nur einzelne Instrumente, die den Ausdruckscharakter des Chorsatzes verstärken, ein Akkordeon etwa zur Illustration des Lageralltags, das Fagott für die Imagination düsterer Gedanken des Nachts oder der Duduk, ein georgisches Blasinstrument mit vollem, melancholisch weichem Klang, das die betrübten Gedanken an die aussichtslos verfließende Zeit im Gefängnis ("ich werde alt") begleitet.

Bei allem bleiben die Choristen nicht statisch an ihren Plätzen, sondern verteilen sich je nach geschilderter Situation auf der Bühne, formieren sich zum Kreis, rennen wie orientierungslos umher ( "Weg ohne Ausweg") oder bilden eine Mauer wie um Einen der Ihren zu schützen. Intensiv wirkt dabei die dramatische Lichtregie. Hauptsächlich herrscht Dunkel vor, wie auf einem Gefängnishof scheint mitunter ein Lichtkegel von oben auf die Menge oder die Sänger*innen wirken in grellem Gegenlicht wie eine anonyme Masse. Zu den Texten der russischen Lyriker werden deren Häftlingsbilder an die Rückwand projiziert. So wird der Abend auch zu einem Memorial und nimmt im ansonsten sachlich nüchternen Saal des Festspielhauses fast eine sakrale Atmosphäre an, die durch milde Weihrauchschwaden von der Bühne her noch verstärkt wird.

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musicAeterna Chor und Ensemble mit den Solisten Paula Murrihy, Sandrine Piau, Sebastian Kohlhepp und Evgeny Stravinsky (v.links) unter der Leitung von Teodor Currentzis in Mozarts Requiem

Sakrale Atmosphäre stellt sich auch mühelos am dritten Abend bei Mozarts Requiem ein. In langen schwarzen Kutten erscheinen die Choristen und das im Stehen spielende Orchester. Es beginnt nicht mit dem ersten Satz von Mozarts Musik, sondern von der Hinterbühne aus leiten - wieder in vollkommenem Dunkel - ein gregorianischer Introitus und ein byzantinischer Kirchengesang die musikalische Totenliturgie ein. Nicht allein ein Stimmung stiftender dramaturgischer Einfall, sondern auch ein Religionen verbindendes Friedenszeichen, musikalische Ökumene sozusagen. Auch nach dem Lacrimosa, wo Mozart nach acht Takten die Komposition als Fragment hinterließ, erklingt noch einmal ein griechisch orthodoxer Gesang von den Sängern der musicAeterna byzantina.

Das Requiem gestaltet Currentzis innig und dramatisch zugleich, in beidem aber gleichermaßen radikal. Selbstverständlich historisch informiert übertrifft sein Mozartstil aber bei weitem etwa den von Harnoncourt oder Jacobs. An diesem Abend wird das in Mozarts Musik nur allzu ohrenfällig. Wie er im ersten Satz  auf das Wort "Requiem" schroffe sforzati auf jede Silbe setzt, so als sei dies keine Bitte, kein Wunsch, sondern eine Forderung. Das Kyrie meißelt er zu einer strengen Fuge, das Dies irae, dies illa hetzt vorbei wie ein Spuk. Im Tuba mirum tritt die Soloposaune nach vorn neben den Bassisten. Wirklich wie ein Ruf vor das Gericht. Das wunderbar homogen auf einander abgestimmte Solistenensemble scheint in seiner ausdrucksstarken Präsenz stellvertretend für Alle zu sprechen.

Das ist gestisches Musizieren und Singen par excellence. In dem bittenden, ja flehenden Sechzehntelmotiv des Recordare  ist motivische Feinarbeit aufs Schönste zu hören, und extreme Kontraste im Confutatis zwischen der im verstärkten fortissimo geschildertren Buße in "heißen Flammen" und der zaghaft im leisesten pianissimo vorgetragenen Bitte "rufe mich zu dir". Deutlich von Bach herkommend mutet im Hostias die Anrufung der Nachkommen Abrahams wie ein Turba-Chor der Volksmengen in den Passionen des Thomaskantors an.

Den schlanken, jungen Stimmen der Solist*innen passt  sich das Orchester im Benedictus wunderschön geschmeidig an. Herrlich immer wieder die solistisch hervortretenden Instrumente, die weichen Hörner, das markant tiefgründige Fagott im Agnus Dei. Und dann am Schluss die Bekräftigung einer Zuversicht: "quia pius es" - jede Silbe wieder wie ein Stein eines festen Mauerwerks gesetzt,  Ausdruck von Hoffnung und Transzendenz.

FAZIT

Inspiration und Vitalität, Klangzauber und Perfektion, Geistigkeit und Emotionalität: Teodor Currentzis und musicAeterna vermochten an diesen Abenden die höchsten Wünsche an eine musikalische Darbietung zu erfüllen.


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Ausführende

musicAeterna Ensemble und Chor

Teodor Currentzis, Dirigent

 

Programme

31. Oktober 2019

Jean Philippe Rameau
Auszüge aus Opern und
Ballettmusiken sowie
Bearbeitungen von Cembalowerken

Solistin
Nadine Koutcher, Sopran

2. November 2019

Philippe Hersant
Tristia für Sprecher, gemischten Chor
und Instrumentalensemble
nach Gedichten von Gefangenen
aus der Haftanstalt Clairvaux
und russischen Straflagern
in französischer und russischer Sprache

Solist
Michael Meylac, Sprecher

3. November 2019

Wolfgang Amadeus Mozart
Requiem d-Moll KV 626

Solisten
Sandrine Piau, Sopran
Paula Murrihy, Alt
Sebstian Kohlhepp, Tenor
Evgeny Stravinsky, Bass

sowie:
musicAeterna byzantina
Solist
Adrian Sirbu

 

 

 


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Festspielhaus Baden-Baden
www.festspielhaus.de/



Da capo al Fine

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