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In der Reihe "Meisterpianisten"

Klavierabend Igor Levit


9. Januar 2020, Konzerthaus Dortmund
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Konzerthaus Dortmund (Homepage)
Zwischenwelten

Von Stefan Schmöe

Eigentlich kein Programm, um große Säle zu füllen: Bach ist zwar dabei, aber nur "aus zweiter Hand", nämlich die Chaconne aus der zweiten Partita für Violine, in einer Klavierfassung für die linke Hand von Johannes Brahms; ansonsten Musik von Frederic Rzewski, Johann Kaspar Kerll und Ferruccio Busoni. Und trotzdem ist das Konzerthaus Dortmund fast bis auf den letzten Platz gefüllt, auch die Chorempore. Und weil die allermeisten dem anspruchsvollen Programm mucksmäuschenstill folgen, fallen die leider ziemlich vielen Huster, es ist halt Erkältungszeit, umso störender auf.

Von Bachs absurd schwieriger Chaconne für Violine solo gibt es eine Bearbeitung für Klavier von Ferruccio Busoni, die ab und zu gespielt wird - darin ist der Bach'sche Kosmos gleichsam pianistisch aufgeweitet, als wolle Busoni hörbar machen, was Bach als Gedankenmusik am Rande der Unspielbarkeit eben nur angedeutet hat. Brahms ging 1878 einen anderen Weg; erstelle eine Fassung nur für die linke Hand, wodurch die spieltechnischen Schwierigkeiten auf das Klavier übertragen werden und damit substantieller Bestandteil dieser Musik bleiben. Bei Levit erklingt die Chaconne trotzdem mit frappierender Selbstverständlichkeit, und auch mit einer Hand gibt er den gegenläufigen Linien unterschiedliche musikalische Farben. Er interpretiert die Musik durchaus romantisch, introvertiert und mit leiser, romatisch eingefärbter Melancholie - eben Bach durch die Brille Brahms' interpretiert.

Szenenfoto

Igor Levit (Foto © Robbie Lawrence)

Gehört Bachs Chaconne unbestritten zu den Gipfelwerken abendländischer Musik, so ist die Passacaglia von Johann Kaspar Kerll (1627 - 1693), als Pendant an den Beginn des zweiten Teils des Konzertes gesetzt, ein ziemlich unbekanntes Juwel. Formal sind beide Formen - Chaconne und Passacaglia - nicht klar zu unterscheiden; beide basieren auf einer vielfach wiederholten Bassfigur. Levit vermeidet, wie bei Bach/Brahms, die auftrumpfende Geste, entwickelt aber in diesen wundersamen sieben Minuten eine ganze Welt an Klangfarben. Wenn kurz vor Schluss eine Mittelstimme wie singend aufleuchtet, dann scheint das aus einer anderen Sphäre zu kommen.

Barocke Formen in aberwitziger Weise greift Ferruccio Busoni in seiner Fantasia Contrappuntistica auf, nicht weniger ist als der Versuch, Bachs unvollendet hinterlassene Kunst der Fuge zu einem krönenden Abschluss zu bringen, allerdings aus der Sicht von 1910 und mit dem Wissen um Liszt und die Romantik. Imponierend, wie Levit vermittelt zwischen strenger Kontrapunktik und aufrauschenden Kaskaden, wie er die Balance hält zwischen einer sich wieder und wieder steigernden Klanglichkeit auf der einen, strenger Klarheit auf der anderen Seite.

Levits überragendes Gespür für musikalische Logik zeigt sich auch im längsten Werk des Abends, dem zweiten Teil des Zyklus'Dreams von Frederic Rzewski (*1938). Die insgesamt acht Sätze (der an diesem Abend gespielte zweite Teil umfasst die letzten vier davon) sind inspiriert von dem Episodenfilm Dreams von Akira Kurosawa aus dem Jahr 1990, allerdings nicht inhaltlich. Vielmehr greift Rzewski formal mit seinen acht Sätzen das Episodische des (ebenfalls achtteiligen) Films auf, und wenn der Film mehr über die Suggestivkraft der Bilder wirkt als über Sprache und Handlung, so wecken tonmalerische Motive in Rzewskis Musik bestimmte Assoziationen. In Bells (Glocken) setzt der Komponist choralartig Töne und Akkorde nebeneinander. Levit variiert Lautstärke und Anschlagsart sehr deutlich, nimmt die Musik zudem in gesetztem Tempo - aber er hat unglaubliches Gespür, einen Ton mit dem nächsten zu verbinden, die musikalische Linie auch nahe dem Stillstand im Fluss zu halten. Seine Interpretation klingt ungleich raffinierter und vielschichtiger, auch delikater, als die des Komponisten selbst (die man auf Youtube findet).

Die flirrenden Trillerflächen von Fireflies und der Beginn von Ruins korrespondieren auf merkwürdige Weise mit dem Beginn von Busonis Fantasia - nicht nur da ergeben sich faszinierende Querverbindungen. Im letzten Stück Wake up verarbeitet Rzewski ein von Woodie Guthrie komponiertes Kinderlied mit ebendiesem Titel. Levit, dem Dreams II gewidmet ist und der die Komposition 2015 auch uraufgeführt hat, entwickelt die Melodie wie improvisiert - wie er überhaupt die Musik oft aus dem Moment heraus zu erfinden, zu improvisieren scheint, ihr eine Dimension von Unbestimmtheit zugesteht, ohne die immanente Stringenz aus den Augen zu verlieren. Er nimmt diese vier Stücke wie vier ineinander übergehende Sätze einer Sonate; mehr Großform als Miniaturen. Dreams ist in dieser grandiosen Interpretation zweifellos eine Entdeckung.

Als Zugabe gab es noch einmal Bach und Busoni, das Choralvorspiel Nun komm, der Heiden Heiland BWV 659 in Busonis Fassung für Klavier - Musik von betörender Schönheit, changierend zwischen Bach'scher Kontrapunktik und einer nachromantischen Klangvorstellung, von Klangzauberer Levit so introvertiert zurückgenommen gespielt, dass sich jede weitere Zugabe verbot.




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Ausführende

Igor Levit, Klavier


Werke

Johann Sebastian Bach:
Chaconne aus der Partita d-Moll
für Violine solo BWN 1004
Fassung für Klavier (linke Hand) von
Johannes Brahms

Frederic Rzewski:
Dreams II: (2014)
Bells
Fireflies
Ruins
Wake up


Johann Kaspar Krell:
Passacaglia

Ferruccio Busoni:
Fantasia Contrappunctistica

Zugabe:

Johann Sebastian Bach:
Nun komm, der Heiden Heiland
Choralvorspiel BWV 659
Bearbeitung für Klavier von Ferruccio Busoni



Weitere Informationen:

Konzerthaus Dortmund



Da capo al Fine

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