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Philharmonia Orchestra London
Leitung: Esa-Pekka Salonen




2. Oktober 2019, Saalbau Essen, Alfried Krupp Saal
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Philharmonie Essen
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Auslöschungen

Von Stefan Schmöe

"Es scheint, die Neunte ist eine Grenze. Wer darüber hinaus will, muss fort." Arnold Schönberg sprach in diesen Sätzen das Mysterium der "neunten Symphonien" an, die für Beethoven, Bruckner und Dvorak die letzte komponierte Symphonie war, und auch Mahler war bekanntlich lange davor zurückgeschreckt, eine "Neunte" zu komponieren und so den Tod heraufzubeschwören - auf die "Achte" in großformatiger Kantatengestalt ließ er das Lied von der Erde folgen, bevor er 1909 mit der rein instrumentalen Symphonie begann, die schließlich die Nummer Neun bekam (und seine letzte vollendete Symphonie sein sollte). Die Todesahnung, die beim Schaffensprozess mitschwang, war jenseits aller Zahlenmystik berechtigt, denn bereits 1907 war die Herzkrankheit diagnostiziert worden, die schließlich 1911 zum Tod Mahlers führte. Und nach dem Tod der Tochter Anna, der zunehmenden Zerrüttung seiner Ehe, dem fluchtartigen Verlassen Wiens nach antisemitischen Hetzkampagnen und seiner zunehmend schwierigeren Situation in Ney York komponierte Mahler die Symphonie in einem Zustand zwischen Resignation und Depression. Gleichwohl merkte Schönberg an: "Dieses Werk ist nicht mehr im Ich-Ton gehalten."

Das ist wohl der Ansatzpunkt für die Interpretation von Esa-Pekka Salonen mit dem grandiosen Philharmonia Orchestra aus London, dessen Chefdirigent der Finne seit 2008 ist. An der Schnittstelle zwischen Spätromantik und Moderne ist seine Lesart eine sachliche, objektive, fast nüchterne, eher im 20. als dem 19. Jahrhundert beheimatet. Dabei lässt Salonen es nicht an dramatischen Zuspitzungen fehlen, aber an die Stelle einer romantischen Expressivität tritt eine analytische Distanz und Schärfe. Der zweiten Satz, laut Spielanweisung in der Partitur "im Tempo eines gemächlichen Ländlers. Etwas täppisch und sehr derb.", führt eben dieses Derbe und Täppische als Zitat vor: Der Ländler ist als Modell erkennbar, hat aber jede unmittelbare Volkstümlichkeit verloren. Salonen lässt energiegeladen den federnden Dreierryhthmus durch den gesamten Satz geistern; das "Täppische" wird wie durch die Brille Strawinskys von höherer Warte als Kunstform interpretiert. Salonen mildert nichts ab, nimmt die "derben" Passagen aber sehr reflektiert. Das lässt sich auf die anderen Sätze übertragen: Auch hier übernimmt der Dirigent den "objektiven" Blick aus der Distanz.

Der Orchesterklang ist schlank und hell, das Vibrato sehr gemäßigt, die Streicher sind zugunsten der Bläser zurückgenommen. Salonen verzichtet auf jeden "Weichzeichner", wie ihn ein samtener Streicherklang über die Musik legen könnte, vielmehr ist hier alles sehr offen und direkt, sehr pointiert und nuanciert ausgearbeitet, ohne dass Salonen sich im Detail verlieren würde. Die Musik ist von bestechender Klarheit. Das Orchester verfügt insbesondere über ganz ausgezeichnete Holzbläser, der Soloflötist etwa besticht durch einen sehr eigenen, charakteristischen Ton, und doch bleibt die Bläsergruppe immer eine klangliche Einheit.

Bei aller Nüchternheit baut Salonen große Spannung auf. Zum Ereignis wurde der verlöschende Schluss des Werkes, bei dem das Pianissimo in unfassbarer Weise immer weiter zurückgeschraubt wird - die sprichwörtliche Stecknadel hätte beim Fallen wie Donnergetöse geklungen. Es ist, als löse sich der Klang regelrecht auf. Nicht nur in diesem Moment bewegt sich Salonens Mahler tief in der musikalischen Moderne. Ein denkwürdiger Konzertabend.




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Ausführende

Philharmonia Orchestra

Leitung: Esa-Pekka Salonen


Werke

Gustav Mahler:
Symphonie Nr. 9



Weitere Informationen:

Philharmonie Essen



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