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SWR Symphonieorchester
Leitung: Teodor Currentzis



17. Februar 2020, Saalbau Essen, Alfried Krupp Saal
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Philharmonie Essen
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Spätromantische Zeitgenossen auf dem Weg in die Transzendenz

Von Stefan Schmöe

Weimar, 1889: Der aufstrebende junge Kapellmeister Richard Strauss vollendet die symphonische Dichtung Tod und Verklärung, im darauffolgenden Sommer mit großem Erfolg uraufgeführt, was Strauss zu einem der führenden Komponisten seiner Zeit machen wird. Die Thematik mag am Ende des 19. Jahrhunderts zum Erfolg beigetragen haben, obwohl (oder doch eher weil?) das Sterben mit einer fast obszönen biologischen Genauigkeit, die anschließende Verklärung in opulenter Erhabenheit vertont ist. Ein eigentümliches Werk, über dessen musikalischen Gehalt sich streiten lässt - das thematische Material ist eher dünn, das Verklärungsthema ziemlich banal, die weit ausschwingenden Phrasen späterer symphonischer Dichtungen wie Also sprach Zarathustra oder auch der Alpensymphonie findet man hier noch nicht. Trotzdem hält sich das Stück hartnäckig im Repertoire.

Teodor Currentzis nimmt die Musik als Steilvorlage für einen genau austarierten, sich flächig entwickelten Orchesterklang, zelebriert einzelne Klänge, die er sorgfältig disponierend aufschichtet - da schwingt eine Ahnung von Ligeti und dessen Klangflächen mit. Die klassische Entwicklung scheint zurückgedrängt, die tonmalerischen Elemente (Herzschlag, Atmung) ignoriert Currentzis, vielmehr nimmt er diese als motivische Fragmente im großen musikalischen Fluss, und wenn die Seele mit Tam-Tam entweicht, dann wird das, dazu unten mehr, zwei Stunden später in einem ganz anderen Kontext umgedeutet. Strauss erscheint so mehr als Klanggestalter denn als symphonischer Erzähler. Dabei gelingt Currentzis das Kunststück, quasi aus dem Nichts große Spannung aufzubauen - so verdichtet sich die Atmosphäre am Ende der Largo-Einleitung, ohne dass man dies bewusst an einzelnen Tönen festmachen könnte. Die Spannung ist plötzlich einfach spürbar.

Phänomenal, wie Dirigent und Orchester selbst im mächtigsten Fortissimo noch eine Aufsplitterung des Klangs, eine Durchhörbarkeit, erreichen (die ausgezeichnete Akustik der Essener Philharmonie trägt natürlich auch dazu bei). Die orchestralen Ausbrüche entwickeln physische Kraft, aber sie sind nicht lärmend, und immer sind die Orchestergruppen sorgsam ausbalanciert. Die Holzbläser spielen meist mit wenig Vibrato, wodurch ein orgelartiger Klang entsteht, das Blech darf immer wieder hell strahlen, wird aber nie unangenehm scharf. Weil vieles nahezu perfekt gelingt, fallen ein paar wenige nicht ganz genaue Einsätze auch direkt auf. Hält sich ein Dirigent bei Tod und Verklärung allzu sehr an das beigegebene Programm, droht der Musik schnell eine reißerische Banalität; bei Currentzis dagegen wird daraus eine schillernde Klangfläche. Das gehört zu den besseren Deutungsmöglichkeiten.

Leipzig, 1888: Gustav Mahler komponiert seine erste Symphonie, lange Zeit unschlüssig, ob er das Werk nicht besser als symphonische Dichtung bezeichnen solle. Wie der vier Jahre jüngere Strauss steht er am Beginn einer Karriere als Dirigent, beide werden zu den Stars ihrer Epoche gehören (mit unterschiedlichen Konsequenzen: Strauss wird sich in seiner Villa in Garmisch vor den politischen Entwicklungen wegducken, Mahler in Wien an der antisemitisch grundierten Hetze und familiären Krisen zugrunde gehen). Ob der jubelnde Schluss, die gesamte Hörnergruppe spielt im Stehen, als Verklärung gemeint ist oder als diesseitige Glückserfüllung oder vielleicht doch ganz mahlerisch als prinzipielle Möglichkeit, an die man besser nicht glauben sollte? "Die zwei blauen Augen von meinem Schatz / Die haben mich in die weite Welt geschickt." Mahler zitiert mehrfach seine Lieder eines fahrenden Gesellen mit ihrer Ambivalenz aus Liebesleid und dem romantischen Berauschen an der Natur. So einfach wie Strauss, der mit dem Titel seines Werkes im Grunde schon alles sagt, macht er es sich und den Hörern nicht.

Zwei Kompositionen, in unmittelbarer zeitlicher Nähe entstanden, und beide beginnen mit einer ausgedehnten langsamen (leisen) Einleitung. Bei Mahler findet Currentzis das Flächige bereits offen vor, dass er bei Strauss erst suchen musste. Auch hier macht der Dirigent jeden Ton, jeden Klang zum Ereignis. Ein wenig überdehnt er das Verfahren, und wenn die Einleitung im Durchführungsteil erneut aufgegriffen wird, steht die Musik ein wenig selbstverliebt auf der Stelle. Das Hauptthema (die Melodie des zweiten Gesellen-Liedes "Ging heut' morgen übers Feld") wird nicht so sehr zum Zielpunkt der Einleitung, sondern zum Auftakt eines zweiten Abschnitts. Currentzis nimmt die Melodie zurück, lässt sie fast distanziert erklingen, ein weiteres Einsprengsel "wie von ferne" wie zuvor die Ferntrompeten im Einleitungsteil. Ein wenig ist's, als läge ein feiner Schleier vor der Musik, als wolle Currentzis sie nicht ganz heranlassen. Da ist er seiner Strauss-Interpretation ziemlich nahe, auch bei Mahler geht es ihm weniger um die Entwicklung als um den Moment, in dem sich Klänge ereignen. Dennoch wird das Trio im zweiten Satz zum ironisch-sentimentalen Wirtshauswalzer allererster Güte. Bedrückend gespenstisch der dritte Satz mit dem grotesken Trauermarsch über die "Bruder Jakob"-Melodie (in Moll) - Currentzis ist auch hier ein Klanggestalter, der in kleinste Nuancen hinein auslotet, was an Farbigkeit in dieser Musik steckt. Da ist nichts dem Zufall überlassen, jedes Detail durchdacht. Das Finale bietet natürlich die große Bühne, in der Dirigent und Orchester noch einmal alle Register ziehen. Frenetische Ovationen.

Currentzis, nicht nur in Modefragen wie der Farbe der Schnürsenkel extravagant, beschloss das Konzert mit einer kurzen Ansprache zum Lobe von Saal und Publikum sowie der Ankündigung, nach einer viertelstündigen Umbaupause ein weiteres Werk spielen zu lassen - ein Format, das er auch an anderen Orten schon ausprobiert hat. So gab es zum Abschluss Okanagon von Giacinto Scelsi, komponiert 1968 für Harfe, Kontrabass und (da kommt es also wieder) Tam-Tam, eigentlich mit Regieanweisungen versehen (und als Schattenspiel aufzuführen), hier aber konzertant aufgeführt - eine geräuschhafte Musik, bei der auf Harfe und Bass zwischendurch auch geklopft wird, aber gleichzeitig schwingen tiefe Grundtöne durch, die das Ganze "erden". Scelsi hat das etwa 10minüte Stück einmal als "Herzschlag der Erde" bezeichnet. Thematisch schließt sich das Stück durchaus passend an Mahler an (der mit schier endlosen Orgelpunkten ja ähnliche "Grundtöne" verwendet wie Scelsi), an den ersterbenden Herzschlag und den Moment des Sterbens in Tod und Verklärung sowieso, als finde das Leben hier in der Transzendenz seine Fortführung. Nach einer kompletten, durchaus erschlagenden Mahler-Symphonie und anschließender Pause ist es allerdings nicht ganz einfach, als Zuhörer die Konzentration wiederzufinden (Renie Yamahata, Felix von Tippelskirchund Franz Bach spielten unbeeindruckt), und ein paar Erläuterungen wären auch hilfreich (nicht einmal Werk oder Komponist wurden angesagt; ein Dank geht an die Dramaturgie und Pressestelle der Essener Philharmonie, die solche Informationen prompt nachlieferte). Das Setting scheint also noch optimierbar. Gleichwohl: Die Auftritte von Teodor Currentzis bleiben aufregend, nicht nur des hohen technischen Niveaus wegen.




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Ausführende

SWR Symphonieorchester

Leitung: Teodor Currentzis


Werke

Richard Strauss:
Tod und Verklärung
Tondichtung für großes Orchester op. 24

Gustav Mahler:
Symphonie Nr. 1 D-Dur

Zugabe:

Giacinto Scelsi:
Okanagon
für Harfe, Kontrabass und Tamtam

Renie Yamahata, Harfe
Felix von Tippelskirch, Kontrabass
Franz Bach, Tam-Tam



Weitere Informationen:

Philharmonie Essen



Da capo al Fine

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