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Schwerpunkt Weinberg

Szymanowski Quartet
Michail Lifits, Klavier

Kammermusik von Mieczysław Weinberg und Dimitri Schostakowitsch

20. Oktober 2019 in der Laeiszhalle Hamburg

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Elbphilharmonie und
Laeiszhalle Hamburg
(Homepage)
Dramen ohne Bühne

Von Christoph Wurzel / Foto: © Małgorzata Popinigis

 

Die beiden Komponisten dieses Programms Mieczysław Weinberg und Dimitri Schostakowitsch verbindet viel. Sie waren Freunde und musikalische Partner. Wenn sie sich trafen, sollen sie ununterbrochen nur über Musik geredet haben, wie die Tochter Schostakowitschs berichtete. Schostakowitsch hatte 1943 den jungen Weinberg, den polnischen jüdischen Exilanten im fernen Taschkent, nach Moskau geholt und ihn intensiv gefördert. Seitdem standen sich beide sehr nahe. Sie stellten sich jeweils ihre neuen Kompositionen vor und spielten mit Vorliebe vierhändig Klavier. Lange schien es, als stehe Weinberg kompositorisch im Schatten des 13 Jahre älteren Schostakowitsch. Doch Weinberg begriff sich nicht als dessen Schüler. Aber dass seine Kompositionen von seinem berühmten Kollegen und Freund wertgeschätzt wurden, empfand Weinberg als große Ehre, die, wie er selbst bekundete, seine "kompositorische Kreativität beflügelt" habe.

Vor allem unterstützten sich beide gegenseitig in Zeiten des kulturellen Drucks vonseiten des Stalin- Regimes. Als im Februar 1948 durch den berüchtigten "Erlass Nr. 17" die stalinistische Hetze gegen die "bourgeoisen und formalistischen Bestrebungen in der Musik" begann und neben Prokofjews vor allem auch Schostakowitschs Werke heftiger Kritik ausgesetzt waren (letzterer bereits nach seiner Lady Macbeth zum zweiten Mal), wurde auch der bis dahin oft aufgeführte Weinberg Opfer der stalinistischen Kunstzensur und seine Werke verschwanden von den Programmen. Beide Künstler verband nun die erzwungene Außenseiterposition und die ständige Furcht vor physischen Repressalien, die für Weinberg zudem unter dem Vorwurf des "jüdischen Nationalismus" in einem Gefängnisaufenthalt gipfelten. Schostakowitsch hat sich später in mehreren jüdisch konnotierten Werken bewusst gegen diese Verdammung seines Freundes gewandt.

Die drei Werke dieses Kammermusikabends im Rahmen des Weinberg-Schwerpunkts der Elbphilharmonie anlässlich seines im Dezember bevorstehenden 100. Geburtstages entstanden noch vor diesem Schreckensjahr 1948, spiegeln aber nichtsdestoweniger die Schwere der Zeit wider, die in der Sowjetunion vom gerade zu Ende gegangenen Krieg noch stark geprägt war. Zusammen mit dem Pianisten Michail Lifits verband das in Warschau gegründete Szymanowski Quartet in seinem Konzert in der Laeiszhalle drei Werke der beiden Freunde aus unmittelbar zeitlicher Nähe. Zwischen dem 1944 entstandenen Klavierquintett Weinbergs und seinem Klaviertrio von 1945 war Schostakowitschs 3. Streichquartett von 1946 eingebettet.

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Das Szymanowski-Quartet

Eine Programmwahl, welche die Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede in der Kompositionsweise der beiden Freunde schlagend deutlich machte. Neben rein formalen Gemeinsamkeiten wie der Fünfsätzigkeit in Weinbergs Klavierquintett und Schostakowitschs Streichquartett sind sich beide mit einer erzählenden Haltung in ihrer musikalischen Diktion ähnlich. Bei beiden finden sich versteckte Botschaften, die bei Schostakowitsch oftmals satirisch subversiven Ausdruck annehmen, wie das im 2. Satz des Streichquartetts von der Bratsche fratzenhaft verfremdete sture Marschtempo oder die Doppelbödigkeit des scheinbar munter hüpfenden Hauptthemas im 1. Satz. Das großartig aufspielende Szymanowski Quartet arbeitete diese Feinheiten markant heraus. In den beiden Werken Weinbergs sind derartige Botschaften eher allgemeinmenschlicher, persönlicher Natur. Hier waren es besonders die heftigen, fast alptraumhaften Ausbrüche aus scheinbarer Ruhe und Geschlossenheit, welchen die Musiker*innen eine ungeheure Dramatik verliehen. So im Poem bezeichneten 3. Satz des Klaviertrios, das in deutlich narrativem Tonfall zwischen bedächtiger Reflexion und hochfahrender Emotionalität einen weiten dramaturgischen Bogen spannt. In der Musik beider Komponisten ereigneten sich so auf je eigene Weise nicht selten die heftigsten Dramen ohne Bühne.

In den Weinberg-Stücken trug aber auch Michail Lifits am Flügel zur Steigerung derart dramatischer Wirkungen bei. In der Toccata, dem 2. Satz des Klaviertrios, gab er unerbittlich und kraftvoll einen strengen Charakter der Musik vor, den Violine und Cello mit rhythmisch prägnanten Gegenbewegungen beantworteten, die in Bereiche des Jazz und der Wirtshaus- und Zirkusmusik hinüberführten. Wie Schostakowitsch auch hatte Weinberg in diesen musikalischen Genres umfassende Erfahrungen gemacht.

Doch auch der plötzliche Rückzug in die vollkommen verinnerlichte Reflexion, ja Versenkung nimmt in den präsentierten Stücken beider Komponisten wesentlichen Raum ein. So wurde das Largo, der 4. Satz im Klavierquintett, zum Höhepunkt des brillanten Zusammenspiels des Ensembles. In der Mitte dieses Satzes hat das Klavier unvermittelt eine lange kadenzartige Passage, in der die musikalischen Gedanken wie improvisatorisch in die entlegensten Winkel zu fließen scheinen. Wunderbar sensibel formte der Pianist  hier den melodischen Fluss subtil  zu versonnenen Gesangslinien aus, bis beginnend im Cello sich unter den Streichern bald darauf ein glühender Klangrausch heftigster, fast erbitterter Intensität entwickelte. Großartige Gegensätze und dramatische Spannungen ließen die Musiker*innen hier innerhalb weniger Augenblicke entstehen.

Komplexes Ineinandergreifen, perfekte Ausgewogenheit und zugleich höchste Transparenz der einzelnen Stimmen zeichnete das Zusammenspiel des Szymanowski Quartets mit dem Pianisten aus. Kraftvoll und ausdrucksstark, zupackend und prägnant war ihr Spiel. An einer Stelle berührten sich beide Komponisten unmittelbar. Denn Weinberg zitiert an einer Stelle seines Klaviertrios das ein Jahr zuvor entstandene 2. Klaviertrio von Schostakowitsch, welches dieser dem gemeinsamen Freund Iwan Sollertinski gewidmet hatte, der Schostakowitsch gegen die stalinistische Kritik verteidigt hatte. So schloss sich hier auf berührende Weise der Kreis um zwei Komponistenfreunde, die sich in diesem wunderbaren Konzert auf Augenhöhe begegneten.




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Ausführende

Szymanowski Quartet
Agata Szymczewska, Violine
Robert Kowalski, Violine
Volodia Mykytka, Viola
Alexey Stadler, Violoncello


Michail Lifits, Klavier


Werke

Mieczysław Weinberg
Klaviertrio a-Moll op. 24

Dimitri Schostakowitsch
Streichquartett Nr. 3 F-Dur op. 73

Mieczysław Weinberg
Klavierquintett f-Moll op. 18




Weitere Informationen:

Elbphilharmonie



Da capo al Fine

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