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Schubert, kristallklar
Von Stefan Schmöe Es ist eine alte Diskussion: Franz Schubert sei, so sagen manche, allzu unkritisch bei der Auswahl seiner Liedtexte gewesen. Tatsächlich findet man manches literarisch Zweit- und Drittrangige unter den rund 700 Liedern (wobei freilich der Zeitgeschmack eine Rolle spielt), aber die Kernfrage ist vielmehr, ob das Kunstlied überhaupt die Funktion haben soll, einen an sich bereits "guten" Text musikalisch zu verstärken. In diesem Liederabend von Philippe Jaroussky mit einem reinen Schubert-Programm kann man einen anderen Ansatz erkennen: Das Lied als musikalische Miniaturform, die von der Struktur (und der Atmosphäre) des Textes weitaus mehr geprägt ist als vom genauen Wortlaut. Damit schlägt der französische Countertenor einen grundsätzlich anderen Weg ein als in der vorherrschenden Rezeption, in der vor allem Dietrich Fischer-Dieskau die Maßstäbe gesetzt hat, die nicht nur Qualitätsmaßstäbe sind, sondern die differenzierte Wortgestaltung zum Interpretationsideal erheben. Jaroussky aber geht nicht von der Wortbedeutung aus, sondern von der Gestaltung der Gesangslinie, die nicht abreißen darf, und von der Schönheit des Tons. Der genaue Text ist dabei, pointiert gesagt, im Grunde genommen egal. Auf das klassische Repertoire des Countertenors lässt Jaroussky sich schon lange nicht mehr festlegen. Er hat unter anderem mit seiner betörenden CD Opium 2009 das spätromantische französische Lied neu entdeckt, wobei die latente Erotik des Fin de Siècle zusätzlich ein Spiel mit der Geschlechtsidentität anstieß - das gibt es bei Schubert in diesem Sinne nicht. Hier muss die Stimme allein die Liebes- und Jenseitsträume der Romantik und des Biedermeier als bürgerlichem Pendant tragen - und das funktioniert auch im ungewohnten Countertenor. Jaroussky stellt immer wieder den glasklaren, ätherischen, gleichwohl auch im Pianissimo tragfähigen Ton in den Raum, ohne Vibrato, das er lange hinauszögert und dann mit leichtem Druck auf die Stimme einsetzen lässt. Er riskiert viel; ein-, zweimal wackelt die Stimme bei extrem leise angesetztenTönen, aber diese potenzielle Gefährdung macht einen nicht unbeträchtlichen Reiz der Interpretation aus, die eben auch von der Zerbrechlichkeit lebt - Schubert wie aus hauchdünnem Porzellan. Das größte Manko dieser faszinierenden Interpretation ist das Ungleichgewicht zwischen der fragilen stimmlichen Gestaltung und dem klanglich allzu "dicken" Steinway-Flügel - ein dezenteres historisches Instrument, ein Hammerklavier, hätte wohl die reizvollere und passendere Begleitung abgegeben. Zudem spielt Jérôme Ducros arg akademisch, die Melodie hervorgehoben und die Begleitung geschmackvoll zurückgenommen, was ja richtig ist, nur hier allzu deutlich vorgeführt wird - da fehlt das spezifisch "schubertsche" Moment der Unbestimmtheit. Die plötzlichen Wechsel zwischen Dur und Moll, die wie Giftpfeile wirken können, verlieren paradoxerweise ihre Wirkung, wenn Ducros sie zu stark betont. Das zeigt sich auch in den beiden Instrumentalwerken des Abends, dem zweiten der Drei Klavierstücke D946 und dem dritten der Impromptus D899, Spätwerke, denen hier die todessüchtige Melancholie verloren geht. Immerhin: Ducros und Jaroussky, die schon lange gemeinsam auftreten, sind traumwandlerisch sicher aufeinander eingespielt. Jaroussky hat neben dem Musensohn nach Goethe und An die Musik (Franz von Schober) vieles Unbekannte ausgewählt, auch von längst vergessenen Dichtern (als einzige Zugabe reichte er mit dem Ständchen "Leise flehen meine Lieder" eines der bekanntesten Schubert-Lieder nach). Inhaltlich baut er einen Spannungsbogen von Frühling und Liebe, die den ersten Teil des Programms beherrschen, zum Abend und Abschied nach der Pause, sodass dieser Liederabend eine (nicht allzu feste) Form erhält. Der Charakter ist meist elegisch, gelegentlich flüchtig-heiter (wie im erwähnten Musensohn), die dramatischen Lieder meidet er - die Auswahl ist natürlich gut angepasst an die stimmliche Disposition. Sicher ist dabei Jarousskys Bandbreite an stilistischen Möglichkeiten begrenzt, den das große Pfund, mit dem er wuchert, ist eben vor allem die Schönheit seiner Stimme, auch die Eleganz der Phrasierung, das kristallene Leuchten bei Aufschwüngen. Sicher, manches Gestaltungsmittel wiederholt sich. Aber man kann sich versenken in diese Art, Schubert zu singen. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
AusführendePhilippe Jaroussky, CountertenorJérôme Ducros, Klavier WerkeFranz Schubert:Im Frühling op. 101,1 D 882 (1826) Text von Ernst Schulze Des Fischers Liebesglück D 933 (1827) Text von Karl Gottfried von Leitner An die Laute D 905 (1827) Text von Johann Friedrich Rochlitz Strophe aus Die Götter Griechenlands D 677 (1819) Text von Friedrich Schiller Wiedersehn D 855 (1825) Text von August Wilhelm von Schlegel Nr. 2 Es Dur Allegretto aus: Drei Klavierstücke D 946 (1828) An die Musik D 547 (1817) Text von Franz von Schober Erster Verlust D 226 (1815) Text von Johann Wolfgang von Goethe An Silvia D 891 (1826) Text von William Shakespeare deutsche Fassung von Eduard von Bauernfeld Gruppe aus dem Tartarus D 583 (1817) Text von Friedrich Schiller Du bist die Ruh D 776 (1823) Text von Friedrich Rückert Romanze der Axa aus Rosamunde, Fürstin von Zypern D 797 (1823) Der Musensohn D 764 (1822) Text von Johann Wolfgang von Goethe Nacht und Träume D 827 (1823) Text von Johann Mayrhofer Herbst D 945 (1828) Text von Ludwig Rellstab Am Tage Aller Seelen D 343 (1816) Text von Johann Georg Jacobi Impromptu Nr. 3 Ges-Dur aus: Vier Impromptus D 899 (1827?) Auf dem Wasser zu singen D 774 (1823) Text von Friedrich Leopold Graf zu Stolberg-Stolberg Im Abendrot D 799 (1824/1825) Text von Karl Lappe Die Sterne D 939 (1828) Text von Karl Gottfried von Leitner Abendstern D 806 (1824) Text von Johann Mayrhofer Nachtstück D 672 (1819) Text von Johann Baptist Mayrhofer Zugabe: Ständchen ("Leise flehen meine Lieder") D957 (1828) Text von Ludwig Rellstab aus: Schwanengesang
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