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Jede Sinfonie wie neu gehört Von Christoph Wurzel / Fotos: Andrea Kremper, manolopress (Michael Bode) und Michael Gregonovits "Endlich!" Mit einem Stoßseufzer der Erleichterung begrüßte Festspielhaus-Intendant Benedikt Stampa die Besucherinnen und Besucher im Festspielhaus. Zum ersten Mal nach sieben Monaten konnten nach einigen Streaming-Konzerten im Frühjahr wieder Aufführungen vor Publikum stattfinden - der erhoffte Neustart heraus aus der konzertlosen Zeit. Und diese "Renaissance" (Stampa) gelang fulminant. Sie wurde zu einem Beethoven-Festival der Extraklasse: alle Sinfonien in vier Konzerten im Abstand nur weniger Tage in großartigen Interpretationen. Dass das Chamber Orchestra of Europe seine vierzehntägige Residenz in Baden-Baden für eine intensive Probenphase genutzt hatte, verfestigte sich zum bleibenden Eindruck bereits im ersten Konzert. Höchst intensive Kommunikation zwischen Dirigent und Orchester und exzellent auf einander abgestimmtes Zusammenspiel der einzelnen Gruppen wurden zum Merkmal jeder der neun Sinfonien. Allen widmeten sich die Musikerinnen und Musiker mit derselben Konzentration und derselben Leidenschaft. Aus einem gemeinsamen Geist wurde hier musiziert. Yannick Nézet- Séguin am 1. Abend (Foto: Andrea Kremper) Auf dem Feld der Beethoven-Sinfonien ist die Konkurrenz wahrhaftig nicht klein. Hervorragende Interpretationen sind in den letzten Jahren zu hören gewesen und aufgenommen worden. Gespannt konnte man sein, welchen Ansatz Yannik Nézet-Ségiun für die Aufführungen in Baden-Baden wählen würde, zumal daraus eine neue CD-Edition entstehen soll, die auch auf dem Markt gegen die Konkurrenz bestehen kann. Um diese Konkurrenz muss man allerdings nicht fürchten. Nézet-Séguins Zugang war nicht nur schlüssig und rundum überzeugend, er war überragend. Und dies gerade weil er kein Konzept von außen an die Musik herantrug, sondern sie allein aus sich sprechen ließ. Sein Ansatz war, auf die Emotionalität in Beethovens Musik zu vertrauen. In seiner kurzen Begrüßung des Publikums vor dem ersten Konzert sprach er es an: aus Beethovens Musik spreche Humanität, Idealismus und intensive Empfindung. Tatsächlich konnte er all dies in den Aufführungen dem Publikum vermitteln. Keines der Beethoven-Klischees hat Nézet-Séguin bedient. Im zweiten Satz der Eroica - "Marcia funebre" - wurde dies am deutlichsten. Kein bleiernes Staatsbegräbnis-Pathos klang da heraus, sondern allein höchst ausdrucksvolle absolute Musik in bezwingener Ausleuchtung ihrer emotionalen Kraft und Aussage. Zu Beginn der Fünften klopfte nicht das vielbeschworene Schicksal an die Tür, sondern aus dem musikalischen Kern dieses 4-Töne-Motivs entwickelte sich in einem mitreißenden Sog ein sinfonisches Geschehen von höchster Ausdruckskraft. Ebenso in der Pastorale: Auch hier vermied Nézet-Séguin ausgetretene Wege, d.h. eine übermäßige Nähe zur Romantik. Die Musik wurde wirklich zum Ausdruck von "Heiterkeit, die bei der Ankunft auf dem Lande im Menschen erwacht", wie sie den Natur liebenden Beethoven beseelte. Diese Grundstimmung durchzog die Sinfonie als ganze, nur unterbrochen durch die kurze Gewitter- und Sturmszene, die aber auch viel mehr ein kraftvolles sinfonisches Allegro war als naturalistische Tonmalerei. 9. Sinfonie mit Solistinnen und Solisten und dem Chor accentus (Foto: Andrea Kremper) Nicht nur in der Pastorale, in allen anderen Sinfonien gleichermaßen konnte das COE durch besonderen Klangfarbenreichtum in allen Gruppen glänzen. Der überaus homogen gestaltete vibratoarme Klang der Streicher vom zartesten Pianissiomo der Violinen bis zum kräftigen Sound der Celli und Kontrabässe etwa im "Freuden"-Thema der Neunten bestach durch Schlankheit und subtile Differenzierung. Da der Dirigent auf hohe Tranzparenz achtete, vermochten die Farben in den Holzbläsern stets aufs Schönste zu leuchten, besonders delikat in den Trios und vor allem im zweiten Satz der Pastorale die Vogelimitationen der Flöte (Clara Andrada), Oboe (Philippe Tondre) und Klarinette (Romain Guyot), nicht weniger aber auch die zahlreichen solistischen Stellen im Fagott (Ole Kristian Dahl). Sehr gut disponiert waren die Hörner- und Posaunen-Gruppen, auch die Naturtrompeten trugen markant zum überaus farbigen Klangbild bei. Staunen konnte man nur über die reichhaltige Palette von Paukentönen, die John Chimes aus den Kesseln seines Instruments herausholte. In der 9. Sinfonie trug der französische Chor accentus mit exzellenter Diktion und homogener Intonation entscheidend zum großen Erfolg bei. Das Solistenquartett war vor dem Chor und hinter dem Orchester positioniert und wurde dadurch zum integralen Teil der vokalen Gruppe; eine überzeugende Lösung besonders beim Bariton-Rezitativ von Florian Boesch zu Beginn des vierten Satzes "O Freunde, nicht diese Töne!". Siobhan Stagg (mit leichter, lichter Höhe), Ekaterina Gubanova (warmer Mezzo) und der lyrisch schöne Tenor von Werner Güra komplettierten das einheitliche Ensemble. Yannick Nézet- Séguin am 3. Abend (Foto: manolopress (Michael Bode)) Yannick Nézet- Séguins Dirigat war auch spannend anzusehen, vom Publikum aus sportiv, dem Orchester gegenüber sicherlich mit magischer Suggestion. So gelingen eben derart intensive Interpretationen wie an diesen Abenden, derart spannungsgeladene Wechsel in der der Dynamik solcher Passagen, die mit latent anschwellender Energie nur scheinbar zu Haltepunkten wurden, um dann in umso intensiverem Brio ihrem Ziel entgegenzuwirbeln, wie in der Coda des letzten Satzes der zweiten Sinfonie. Überhaupt gehörte es zu den vielen wahrhaft beglückenden Eindrücken dieser vier Konzerte, dass auch die im Repertoire (zu Unrecht) weniger beachteten Sinfonien Beethovens in mustergültiger Interpretation zu erleben waren, wie auch die achte, mit welcher der Zyklus begann. Schon hier beeindruckte etwa im sog. Mälzel-Motiv des zweiten Satzes, wie feinsinnig Nézet- Séguin den Rhythmus des konstant tickenden Staccatos auffasste, nicht mechanisch stur wie ein Metronom, sondern federnd und charmant. Yannick Nézet- Séguin am 4. Abend (Foto: Michael Gregonovits) Durch das offenkundig intensive Studium der Partitur - es wurde nach der im Jahre 2000 abgeschlossenen Urtext-Ausgabe gespielt - und die exzellent ausgefeilte Artikulation war es, als würde Beethovens expressives Potential in aller Kraft und Frische aufleben und man diese Sinfonien so neu zu hören bekommen. Manchmal schien das Publikum so überwältigt, dass der Beifall zuerst nach kurzer Besinnungspause einsetzte. Auch klang der Saal anders als bei voller Besetzung, wärmer und mit schönem Nachhall. Nach der letzten Sinfonie, der Eroica, wollte aber der Jubel nicht enden. Diese Aufführungen hatten niemanden kalt gelassen.
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