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Il trionfo del Tempo e del Disinganno

Oratorium in zwei Teilen, HWV 46a
Libretto von Benedetto Pamphilj
Musik von Georg Friedrich Händel

Aufführungsdauer: ca. 2h 50' (eine Pause)

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Sonntag, 30. Januar 2022, 17.00 Uhr
Alfried Krupp Saal in der Philharmonie Essen

 



Philharmonie Essen
(Homepage)

Triumph der Musik

Von Thomas Molke

Als Georg Friedrich Händel im Frühjahr 1706 nach Italien aufbrach, hatte er bereits in Hamburg Erfolge als Opernkomponist gefeiert, die er im "Geburtsland der Oper" vertiefen wollte. Die Voraussetzungen dafür waren aber zunächst nicht allzu günstig, da in Rom seit 1697 eine päpstliche Anordnung existierte, die Opernaufführungen untersagte. Mit dem Kardinal Benedetto Pamphilj hatte Händel allerdings einen Kunst liebenden Gönner gefunden, der ihn in anderen Bereichen experimentieren ließ. So legte er ihm 1707 das Oratorium Il trionfo del Tempo e del Disinganno vor, das von der Läuterung der Schönheit und ihrer Bereitschaft zur Buße handelt. Inspiriert ist Pamphiljs Dichtung von Petrarcas Trionfi, in denen die Fragen der Ewigkeit erörtert werden. Der Theatermensch Händel erkannte sofort, wie viel Opernpotenzial in dem Stoff steckte. So verwundert es nicht, dass in den vergangenen Jahren Händels erstes Oratorium auch häufig szenisch auf der Bühne zu erleben war. Erinnert sei hier an die bemerkenswerte Inszenierung von Kobie van Rensburg in der Spielzeit 2009/2010 am Landestheater Niederbayern mit der Blue-Screen-Technik, an eine recht moderne Deutung und Übertragung der Geschichte auf die Gegenwart in der Spielzeit 2018/2019 im Theater Aachen, an die Hauptproduktion bei den Pfingstfestspielen in Salzburg 2021 mit Cecilia Bartoli in einer ihrer Paraderollen als Piacere und an die kammerspielartige szenische Umsetzung vor zwei Wochen im Nationaltheater Mannheim. Vielleicht galt das Werk schon bei der Entstehung als zu opernhaft und wenig spirituell. Eine Aufführung 1707 konnte nämlich bislang noch nicht nachgewiesen werden. In der Philharmonie Essen gibt es nun in der Reihe "Alte Musik bei Kerzenschein" eine hochkarätige konzertante Aufführung mit dem Bach Consort Wien unter der Leitung von Rubén Dubrovsky.

Behandelt wird im Oratorium ein dramaturgisch an eine Oper erinnernder Konflikt zwischen vier allegorischen Figuren. Bellezza (die Schönheit) lässt sich aus Angst vor der eigenen Vergänglichkeit mit Piacere (dem Vergnügen) ein. Als Gegenspieler von Piacere treten Tempo (die Zeit) und Disinganno auf. Für Letzteren lässt sich schwer eine passende Übersetzung finden. Im Wörterbuch findet man die Bedeutungen "Ernüchterung" und "Enttäuschung", die aber die metaphorische Figur nur bedingt beschreiben. Auch der Begriff "Erkenntnis", der im Programmheft gewählt wird, trifft es eigentlich nicht ganz. Mit "inganno" ist die Täuschung gemeint, der Bellezza durch das Vergnügen (Piacere) erliegt. "Disinganno" heißt dann eigentlich, dass dieses Trugbild aufgelöst wird, Bellezza also zur Erkenntnis gelangt, was für die Übersetzung im Programmheft spräche. Erkenntnis allein ist aber zwangsweise nicht daran gebunden, dass man vorher einer Täuschung erliegt. Von daher wäre "Enttäuschung" eigentlich ein treffenderer Begriff, der jedoch im Deutschen anders konnotiert ist. Ernüchternd mag diese Erkenntnis zwar auch sein, hat aber mit der vorherigen Täuschung noch weniger gemein, so dass dies sicherlich die am wenigsten geeignete Übersetzung darstellt. Aber auch wenn Tempo und Disinganno, wie es der Titel verrät, den Sieg über Piacere davontragen und Bellezza schließlich auf ihre Seite ziehen können, findet ein Triumph im eigentlichen Sinne nicht statt. Das Finale gehört allein der bekehrten Bellezza. Tempo und Disinganno kommen nicht noch einmal zu Wort, nachdem Piacere sich mit einer fulminanten Rachearie von Bellezza getrennt hat.

Musikalisch ist man sich auch nicht sicher, ob wirklich Tempo und Disinganno den Sieg erringen. So hat man das Gefühl, dass Händel Piacere und Bellezza mit wesentlich eindringlicherer Musik ausgestattet hat, die das Vergnügen und die Schönheit unterstreichen. Mit Jeanine De Bique als Bellezza und Sophie Rennert als Piacere stehen in der Philharmonie zwei großartige Interpretinnen auf der Bühne. Mit glasklarem Sopran und zart angesetzten Höhen unterstreicht De Bique den zunächst wankelmütigen Charakter Bellezzas. Schon in ihrer Auftrittsarie "Fido specchio", in der sie sich selbstverliebt im Spiegel betrachtet, begeistert De Bique mit sauberen Spitzentönen, die bei ihr federleicht klingen. Zunächst können Tempo und Disinganno sie mit der Mahnung an die Vergänglichkeit nicht erreichen. Stattdessen trotzt sie ihnen mit atemberaubenden Koloraturen in der Arie "Una schiera di piaceri", wobei De Bique in einen großartigen Dialog mit der Solo-Oboe tritt. Überzeugend vollzieht sie auch den Stimmungswechsel. Wenn sie sich im Spiegel der Wahrheit betrachtet, wirkt sie beinahe schon schwach, und man merkt, dass sie Tempo und Disinganno nicht mehr viel entgegenzusetzen hat. De Bique lotet den inneren Kampf zwischen Reue und Vergnügen intensiv aus, bevor sie sich in ihrer Schlussarie in fast schon transzendenten Höhen als geläutert zeigt.

Sophie Rennert verfügt als Piacere über einen runden und warmen Mezzosopran, der mit seinem lieblichen Klang den Zuhörer einzuwickeln versteht. Ein Höhepunkt ist die großartig interpretierte Arie "Lascia la spina", die Händel später unter dem Titel "Lascia ch'io pianga" in seine erste Oper für London, Rinaldo, übernahm und die auch im Oratorium in gewisser Weise bereits eine Wiederverwendung darstellte. Die Melodie tauchte nämlich schon als Sarabande in Händels erster Oper Almira auf. Im Oratorium legt Händel die Arie Piacere als letzten Versuch in die Kehle, Bellezza in ihrem Machtkreis zu halten. Mit einer großen Portion Verzweiflung rät Piacere Bellezza, statt der Dornen doch lieber nur nach der Rose zu greifen und den Schmerz zu vermeiden. Rennert rührt mit ihrem weichen Mezzosopran in diesem Stück zu Tränen. Umso heftiger gerät wenig später Piaceres Abgang mit der Arie "Come nembo che fugge col vento", wenn das Vergnügen sich von Bellezza lossagt und zornig mit dem Wind in einer Wolke entflieht. Hier begeistert Rennert mit halsbrecherischen Koloraturen und dramatischen Ausbrüchen in sauber angesetzte Höhen. Bewegend gestaltet Rennert auch mit De Bique das Duett zu Beginn des Oratoriums, in dem Bellezza und Piacere noch unzertrennlich sind.

Terry Wey gestaltet die Partie des Disinganno mit weichem Countertenor. Anders als bei der Tenorpartie des Tempo kommt Disinganno im Klang Piacere sehr nahe, was betont, dass es schließlich Disinganno ist, der Bellezza auf den "richtigen" Weg führt. Im Ohr bleibt vor allem sein großartiges "Crede l'uom". Hier betont Wey, dass die Zeit nicht schläft, wie der Mensch zu denken pflegt. Jorge Navarro Colorado ist kurzfristig für Emiliano Gonzalez Toro als Tempo eingesprungen und punktet mit geschmeidigem lyrischen Tenor, der im Vergleich zu den hohen Stimmen recht nüchtern klingt. Das Bach Consort Wien lotet unter dem unaufgeregten Dirigat ihres Mitbegründers Rubén Dubrovsky die farbenreiche Partitur differenziert aus, so dass es für alle Beteiligten am Ende verdienten Applaus gibt.

FAZIT

Dieser Abend ist ein Triumph für die Musik, auch wenn es eher die Musik des Vergnügens und der Schönheit und nicht die der im Titel siegreichen Zeit ist.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Rubén Dubrovsky

Bach Consort Wien


Solist*innen

Bellezza (die Schönheit)
Jeanine De Bique

Piacere (das Vergnügen)
Sophie Rennert

Disinganno (die Erkenntnis)
Terry Wey

Tempo (die Zeit)
Jorge Navarro Colorado

 

 

 


Weitere Informationen
erhalten Sie von der

Philharmonie Essen
(Homepage)



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