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Zirkus Grubinger
Text von Stefan Schmöe Um den großen Saal der Wuppertaler Stadthalle an einem Montagabend komplett zu füllen (zumal dann, wenn das Konzert eine Weiderholung vom Vortag ist), dazu bedarf es schon eines besonderen Ereignisses. Das war in diesem Fall wohl Martin Grubinger, 39jähriger Star der Schlagzeugszene, und in Wuppertal Solist eines brandneuen Konzerts für Solo-Percussion und großes Orchester des isländischen Komponisten Daníel Bjarnason (*1979). Inferno, so der Titel des Werkes, wurde im November 2022 in Helsinki uraufgeführt. Mit den beiden Wuppertaler Konzerten erlebt das großformatig besetzte, etwas mehr als halbstündige Werk jetzt seine deutsche Erstaufführung. ![]() Martin Grubinger (Foto © Simon Pauly)
Die dreisätzige Komposition bietet Grubinger die große Bühne, wobei das Instrumentarium um allerlei exotische Instrumente erweitert ist wie ein baskisches Txalaparta (eine Variante des Xylophons) oder Alltagsgegenstände wie Schlüssel und Weinflasche. Vor allem im ersten Satz spielt Bjarnason mit verschiedensten Klängen, wobei im Klangbild die hölzernen, dadurch "hart" klingenden Instrumente dominieren. Melodische Strukturen sind nur zu ahnen, treten in kleinen Partikeln auf. Die Musik bleibt recht spröde, zumal Bjarnason (so zumindest der Eindruck beim einmaligen Hören) episodisch Abschnitt an Abschnitt reiht. Grubinger hat viel zu tun - bereits das Zuschauen ist ziemlich unterhaltsam -, und naturgemäß ist sein Instrumentarium ziemlich laut. Das Orchester ist trotz imposanter Größe (volles Holz und Blech, Streicher, Pauke, Schlagzeug und Harfe) Nebensache und oft kaum zu hören. Sicher ist das Wechselspiel zwischen dem Percussion-Arsenal und der vielfarbigen orchestralen Grundierung nicht ohne Reiz, droht aber doch in die kompositorische Beliebigkeit abzurutschen - Hauptsache action. Nicht ohne Grund liegt für Grubinger ein Handtuch gegen den Schweiß bereit. ![]() Foto © Uwe Schinkel
Kompositorisch zwingender (oder zumindest leichter fassbar) wirkt der viel ruhigere Mittelsatz, der schon dadurch im starken Kontrast zu den Ecksätzen steht, dass Grubinger hier lediglich mit Pauken spielt, dem klassischsten und auch konventionellsten der orchesterüblichen Schlaginstrumente. Zwei Schlagzeuger des Wuppertaler Sinfonieorchesters unterstützen ihn, sodass der dunkel grummelnde Klang zwischen drei Pauken hin und her wandert. Bjarnason spielt mit den Tonhöhen der Instrumente, wobei kleine Verschiebungen statt der großen Geste den Charakter bestimmen. Nach der Frontalattacke des Eingangssatzes ist das eine Musik zum genauen Hinhören. Zwar besteht die Funktion des Orchesters auch hier wieder vor allem darin, geheimnisvolles Kolorit beizusteuern, aber zumindest ist die Balance hier besser ausgesteuert. In Finale zieht sich ein kleines Motiv durch den Satz, in dem man den Beginn der Dies irae-Sentenz heraushören kann - der einzige für mich hörbare (trotzdem fragliche) Bezug zum (nachträglich hinzugefügten) Werktitel Inferno. Nach Programmmusik klingt die Komposition jedenfalls nicht. Auch dieser letzte Satz wirkt blockhaft in nur lose miteinander verbundene Abschnitte unterteilt, und das Ende kommt ziemlich abrupt. Ein Stück für die Ewigkeit ist das wohl nicht geworden, aber allemal ein durchaus abwechslungsreiches und interessantes Werk, dem man auch gerne noch länger hätte zuhören und -sehen können. Die Zugabe sei gar keine Musik, das sei Sport, erklärte Grubinger. Dabei kommt er mit einem Instrument aus, einer Margin Drum, eine Art kleiner Trommel. Die als "Kadenz" bezeichnete kleine Nummer ist eine Variation über ein schlichtes Übungsmuster, und es dient als Vorlage für virtuose und akrobatische Show-Einlagen - Grubinger ist eben auch Entertainer, und zwar ein guter. (Die Ankündigung, sich als solcher zukünftig rar zu machen, ist schon sehr bedauerlich.) Gerahmt wird die percussion show von zwei konventionellen, aber selten gespielten Orchesterwerken. Das symphonische Zwischenspiel aus Franz Schrekers Oper Der Schatzgräber wirkt ohne die Opernhandlung etwas verloren. Wuppertals junger Generalmusikdirektor Patrick Hahn nimmt die Musik im historischen Ambiente des Saals aus wilhelminischen Zeiten satt und etwas massig, dabei aber mit hoher Binnenspannung. Sergej Prokofjews dreiviertelstündige 5. Symphonie von 1949 in ihrem Formbewusstsein und melodischen Gehalt wirkt wie ein Pendant zu Bjarnasons driftendem Konzert. Dem schnellen zweiten Satz fehlt es ein wenig an Leichtigkeit, im dritten und vierten Satz können vor allem die Bläser des gut aufgelegten Sinfonieorchesters Wuppertal glänzen. Gleichwohl lässt die Musik in ihrer Formelhaftigkeit den Hörer ziemlich ratlos zurück. Und warum trägt das Konzert, das vierte in der Abonnementsreihe des Wuppertaler Sinfonieorchesters, den kryptischen Titel An Bord? In der blumigen Sprache des Programmhefts heißt es dazu: "So beruhigend das Wiegen des Meeres sein kann, so bedrohlich präsentiert sich bisweilen die raue See. […] Mit den drei Kompositionen des heutigen Konzerts begibt sich Generalmusikdirektor Patrick Hahn in turbulente Gewässer, die ein knappes Jahrhundert sowie große Entfernungen innerhalb Europas umspannen." Mit solchen Allgemeinplätzen wird man weder den Kompositionen noch den Interpreten gerecht. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
AusführendeSinfonieorchester WuppertalLeitung: Patrick Hahn Martin Grubinger, Percussion WerkeFranz Schreker:Sinfonisches Zwischenspiel aus der Oper Der Schatzgräber Daníel Bjarnason: Inferno Konzert für Solo-Percussion und Orchester Sergej Prokofjew: Sinfonie Nr.5 B-Dur op.100
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