Orchesterprobe
Deutsche Erstaufführung
Sechs musikalische Szenen vom Ende des Jahrhunderts
Text nach Frederico Fellinis "Prova d'orchestra" von Giorgio Battistelli
Deutsche Übersetzung von Claus Henneberg
Musik von Giorgio Battistelli
Premiere der Deutschen Oper am Rhein
am 18. Oktober 1997
Von Annette van Dyck
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Fotos von Eduard Straub
Deutsche Erstaufführung
von Battistellis "Prova d'orchestra"
Lieben Sie Fellini?
DES PUDELS KERN
Vielleicht haben Sie schon einmal vorne im Parkett eines Musiktheaters gesessen und irgendwann am Abend versucht, den wunderbaren Klängen bis zu ihrem akustischen Ursprung im Orchestergraben nachzuspüren? Oder Sie singen in einem Chor, der hin und wieder mit einem professionellen Orchester zusammenarbeitet? Möglicherweise spielen Sie sogar selbst eines der ehrwürdigen oder weniger angesehenen Orchesterinstrumente und wissen schon, wenn Sie den Titel dieser Oper hören, wovon das Werk handeln muß!
Oh, diese routinierten Orchestermusiker/innen, deren künstlerische Ideale in den Taschen ihrer schwarzen Berufskleidung verkramt sind! Wie wichtig ist ihnen die kleinste Pause - die gewerkschaftlich vorgeschriebene Kaffeepause, versteht sich. Wie achtlos können sie in 25 Tacet-Takten mit ihrem Nebenmann schwatzen oder Zeitung lesen! Und ewig stehen sie, die individualistischen Künstler, in offenem oder heimlichem Widerspruch zum Dirigenten, der sie diktatorisch zu 'Kunst' zusammenfaßt und der seine Einzigartigkeit feiern läßt, obwohl doch in Wahrheit das Orchester die Arbeit verrichtet. ---
Natürlich geschehen diese Dinge nur selten vor Publikum, nein: hinter den Kulissen werden Dramen inszeniert, deren Tragik wir kaum erahnen. Das wahre Zentrum spannender, zuweilen katastrophaler Entwicklungen ist: 'Die Orchesterprobe'.
PROBEN ODER NICHT PROBEN, EINE EXISTENTIELLE FRAGE
Besonders moderne Musik wird ja von vielen Musikern wenig geliebt und provoziert oft extreme Reaktionen; insofern besteht eine große Ähnlichkeit zwischen der Gesellschaft auf bzw. unter der Bühne und der Gesellschaft auf den Theatersesseln.
'Das Leben ist eine große Orchesterprobe', so wollte Fellini seinen Film verstanden wissen. Mit weisem Einblick in orchestertypische Probleme und augenzwinkerndem Verständnis für gruppendynamische Prozesse legte Komponist und Librettist Battistelli nach Fellinis Vorlage diese Oper an, die viele Anleihen ans Melodram macht, das ja in jüngster Zeit auch im populären Film eine erneute Renaissance erlebte (achten Sie mal auf die Musik von John Williams in 'Robin Hood').
Manchmal klingt es wirklich wie Filmmusik, denn Battistelli scheut sich nicht, mit der Musik zu illustrieren, Stimmungen zu erzeugen und aus einem reichen Fundus zu zitieren. So hörten wir neben lateinamerikanischer Tanzmusik auch Popanklänge, Marschmusik, und als - wie die Bacchantinnen den Orpheus - das Orchester seinen Dirigenten fast lynchen will, klingt eine ganze Szene wie der Tanz des Kaschtschei in Strawinskys 'Sacre du Printemps'.
Also nichts Neues? Haben wir alles schon gehört? Bleibt die Avantgarde auf der Strecke?
Ich fürchte, mein Nachbar war genau dieser Ansicht und outete sich damit als 'radikaler Vertreter der Moderne'... - Nein, 'Die Orchesterprobe' will nicht belehren, dennoch fühlten wir uns weder von der Geschichte noch von der Musik unterfordert, sondern niveauvoll unterhalten. Dazu bietet die Handlung eine Reihe von Elementen, die 'Die Orchesterprobe' als Oper geradezu prädestinieren; Sie können sich sogar auf eine Art 'deus ex machina' freuen, der endlich einmal die Bühnentechniker fordert.
DER KLARINETTIST DES TOSCANNINI
Die Sänger und Sängerinnen spielten mit Inbrunst und Gefühl für die Ironie der Situation auf der Bühne Orchestermusiker, die sich von einem echten Orchester im Graben begleiten lassen. Herrlich!
Der Chor der deutschen Oper vollbrachte eine imposante Leistung (Einstudierung: Volkmar Olbrich). Die Solisten bewiesen, daß sie auch gehörige dramatische Begabung besitzen: wunderbar der sentimentale, stimmungsreiche Monolog des ersten Klarinettisten (Heinz Leyer), eine Eloge auf Toscannini und die Musik, die dieser dirigierte!
Geschickt durch die pantomimische Darstellung der Fernsehleute gerahmt, konnte Stephen Bronk der Figur des Dirigenten die von Fellini gewünschte Eleganz und Arroganz verleihen, seinen sonoren, vollen Baßbariton hätte man im Stück gerne öfter gehört.
Ebenso bereits durch die Geschichte exponiert war der Part der leicht naiven Harfenistin; Lisa Griffith' hoher Sopran bildete dafür die ideale Besetzung. Wir träumten uns mit ihr in die höheren Gefilde der Musen.
Zoltan Pesko, der 'echte' Dirigent, besaß nicht immer die vom Bühnendirigenten vorgespielte Souveränität; es gab doch hin und wieder leichte Koordinationsschwierigkeiten von Orchester und Chor. Dies beeinträchtigte den Kunstgenuß jedoch nur unerheblich; es blieb der Eindruck von einem engagierten Orchester oberhalb und ebenso unterhalb der Bühne.
FAZIT
Ärgerlicherweise hat die Rezensentin die kürzliche Uraufführung von Giorgio Battistellis 'Die Entdeckung der Langsamkeit' nach Sten Nadolny in Bremen verpaßt, man sollte sich den Namen Giorgio Battistelli wohl merken. Die 'Orchesterprobe' gehört jedenfalls ins musiktheatralische Repertoire.
Eine Inszenierungskritik ist oben schmählich der Werkkritik gewichen; unberechtigterweise: auch diesmal werden Sie das Düsseldorfer Opernhaus verlassen mit dem sicheren Gefühl, daß die Leute dort ihr Handwerk beherrschen und mit Sachverstand und Liebe zum Detail arbeiten. Lieben Sie Themen und Musik unserer Zeit? Lieben Sie Fellini? Dann spielen Sie Zuschauer in der 'Orchesterprobe'!