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Premiere im Theater Hagen am 27.4. 1996
Rezensierte Aufführung: 4.5. 1996
Musikalische Leitung: Alexander Rumpf
Choreinstudierung: Lothar Welzel
Inszenierung der Navarraise: Peter Ebert
Inszenierung der Cavalleria rusticana: Peter Bisang
Bühnenbild: Michael Tietjens
Kostüme: Susanne Sommer
Solisten der Navarraise:
Anita, das Mädchen von Navarra: Angelina Ruzzafante Araquil, Sergeant im Regiment von Biscaya: Arturo Valencia Garrido, ein General: Stefan Adam Remigio, Araquils Vater: Andreas Haller Ramon, Hauptmann im Regiment von Biscaya: Peer-Martin Sturm Bustamente, Unteroffizier im selben Regiment: Markus Brück Ein Soldat: Henry Ryall Lankester
Santuzza, eine junge Bäuerin: Ulrika Jäder Turiddu, ein junger Bauer: Bernd Gilman Lucia, seine Mutter: Ewa Gajewska-Lalla Alfio, ein Fuhrmann: Horst Fiehl Lola, seine Frau: Marilyn Bennett Eine Frau: Gisela RibbertChor und Extrachor des Theater Hagen
In Hagen wurde einmal nicht die Kombination der beiden Klassiker des Verismus, die "Cavalleria rusticana" von Mascagni und "I Pagliacci" ( "Der Bajazzo") von Leoncavallo aufgeführt, sondern dem Einakter von Mascagni wurde die kurze Oper "La Navarraise" von Massenet an die Seite gestellt. Dieses Programm war vielversprechend und bot denn auch einen äußerst interessanten und eindrucksvollen Abend.
Die in Deutschland bisher selten gespielte 'Navarraise' gilt als Massenets veristisches Werk. Es spielt in Spanien 1874, zur Zeit des Karlistenkrieges. In einem zeitgenössischen Wortspiel wurde das Stück daher als "Cavélleria espagnola" bezeichnet. Neben der Anspielung auf Mascagnis Oper wurde damit auch Emma Calvé geehrt, die die erste Darstellerin der Hauptfigur Anita war. Die Uraufführung mit ihr, 1894 in London, war ein großer Erfolg.
Im direkten Vergleich der beiden Opern, der in Hagen ermöglicht wurde, konnten sowohl die Gemeinsamkeiten als auch die Unterschiede zwischen beiden Werken deutlich werden. Es zeigte sich, daß die Problematik der 'Navarraise', das Leiden von Einzelpersonen in Zeiten des alle Individualität bedrohenden Krieges, erschütternder, da fataler und allgemeiner gezeichnet ist als der Konflikt in der 'Cavalleria'.
Die Geschichte der Navarreserin endet nicht nur mit dem Tod des Geliebten,
sondern auch mit dem Wahnsinn der zu allen entschlossenen Frau. Der Krieg und
die gesellschaftlichen Normen bestimmen die Personen, lassen sie handeln und
scheitern, sind sie doch eigentlich ohnmächtig gegen die gewaltigen
überpersönlichen Faktoren. Die starke Einengung der Menschen führt die Musik
vor. Das auffallend dramatische Motiv, mit dem bereits das Vorspiel beginnt,
beherrscht immer wieder die musikalische Linie der Figuren und verschlingt
schließlich das wahnhafte Lachen Anitas, die aus Liebe zur Mörderin wurde und
ihren Geliebten darüber verliert.
Der Krieg ist stets gegenwärtig in den zwei Akten dieser Oper. Bis auf
vereinzelte spanische Anklänge wird er unhistorisch dargestellt und bleibt somit
allgemeines mögliches Vorkommnis.
Ganz anders verhält es sich in der 'Cavalleria'. Krieg ist zwar der Grund für
die Trennung von Lola und Turiddu, aus der die Verbindung beider mit jeweils
anderen Partnern resultiert; somit ist er letztlich konfliktauslösend, er ragt
aber selbst nicht in das sizilianische Dorf hinein. Hier geht es um Ehebruch und
Leidenschaft, um Skrupellosigkeit und Ehre. Diese werden entwickelt in
volkstümlicher und zugleich glühender Musik. In ihrer Form entspricht die Oper
von Mascagni noch sehr der italienischen Nummernoper und bleibt damit der
Tradition verbundener als die stark deklamatorisch geführte
Opernsprache, die Massenet entwickelte und in der 'Navarraise' zur
Personenzeichnung verwendete.
Inszenierung
Die Inszenierungen sind nicht außergewöhnlich, aber durchaus gelungen (besonders die 'Cavalleria' ).
Der Regisseur läßt die 'Navarraise' nicht auf dem Dorfplatz, sondern im Lager
der Soldaten spielen. Im Hintergrund liegen die müden Soldaten und auch
Verletzte auf den Betten. Durch das große Holztor des Lagers scheint
stimmungsvoll die südliche Sonne und später das Blau der Nacht. Bestimmendes
Element auf der Bühne ist die Eingangsrampe, die in den tieferliegenden Raum
führt, auf der die Personen ins Geschehen im Lager treten und auf der sie
sich auf den Weg ins Dorf anschicken. Vom Dorf ist nur etwas zu sehen, wenn
zeitweise das Holztor geöffnet wird. Der Blick wird dann frei auf einen
steinernen Bogen.
Schräge und Bogen sind die Elemente, die auch die Darstellung des
sizilianischen Dorfes in der 'Cavalleria' ausmachen. Somit wird über die Pause
hinweg unaufdringlich der Bogen zwischen beiden Stücken gespannt. In der
"Cavalleria rusticana": Wiederum agieren die Personen auf der Schräge oder
ziehen sich von ihr zurück. Wunderbar gestaltet ist das Dorf mit echter
Patina und intensiver süditalienischer Ausstrahlung! Hinter dem Dorf muß das
Meer beginnen, es kann nicht anders sein bei diesem Licht, das durch den Bogen
scheint. Während die Hauptfiguren im ersten Stück noch etwas gespielt
wirken, überzeugen sie ganz in der zweiten Oper. Sie lassen von der Hitze der
Leidenschaft in Stimme und Spiel spüren.
Musik
Das Orchester baute mit dem Vorspiel der 'Navarraise' sofort enorme Spannung
auf, die es den ganzen Abend fortführte. Im Zwischenspiel der ersten Oper fiel
das saubere und pointierte Zusammenspiel der Bläser auf; entsprechend
musizierten die Streicher im berühmten 'intermezzo sinfonico' der 'Cavalleria'
wie auf einer Geige. Das Spiel der Hagener kann nicht anders als diszipliniert,
schwelgerisch und emotionsgeladen bezeichnet werden. Recht hatte das
Publikum, als es sich schließlich mit Bravorufen bedankte!
Auch die Sänger stellten sehr zufrieden. In der 'Navarraise' musizierten sie
bewegend und stimmschön. (Würdig: Stefan Adam als General Garrido mit großer,
warmer Stimme.) Die Leistung der Sänger blieb allerdings vereinzelt in dem
Sinne, als daß zwischen den Personen die Spannung nicht aufgebaut werden
konnte. Die Erschütterung, die von diesem Stück ausging, wurde vor allem vom
Orchester erreicht.
Anders war es im zweiten Teil. In der Auseinandersetzung der Figuren jagte ein
tönendes Wort das andere. Die beiden Frauen, Ulrika Jäder als Santuzza und Ewa
Gajewska-Lalla als Lucia, boten mit tiefen Timbre packenden Gesang. Bernd
Gilmann als Turiddu spielte und sang mit Glut; so konnte man leicht verzeihen,
daß die hohen Töne nicht ganz locker kamen. Orchester und Ensemble waren hier
auf gleich hohem Spannungsniveau und machten die Aufführung der "Cavalleria
rusticana" zu einem großen Erlebnis.
Resümee
Unbedingt eine Vorstellung in Hagen besuchen!
Dies gilt besonders für Freunde veristischer Opern, operngeschichtlich
Interessierte und alle Fans Süditaliens.
Sehr erfreulich ist auch das äußerst informative Programmheft zur Aufführung.