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Premiere im Opernhaus der Stadt Köln am 09. März 1997
Kölner Einrichtung der Aufführung der Bregenzer Festspiele 1996
Von Stefan schmöe
Der Niedergang der Tafelrunde vollzieht sich in der ehebrecherischen Liaison von Lancelot, dem Vorzeigeexemplar des tugendhaften Tafelritters, und Genièvre, der Gattin des Arthus. Beim nächtlichen Stelldichein überrascht sterben sie keinen Wagnerschen Liebestod, sondern fliehen und lösen quasi nach trojanischem Vorbild einen Krieg aus - bis der reuige Lancelot sich schuldbewußt seinem König zu Füßen wirft. Zu spät, denn inzwischen haben andere die Macht übernommen, und Arthus entschwindet, um in fernen und besseren Zeiten neu zu erstehen.
Krämer erzählt den Mythos auf einer zeitlos-abstrahierenden Ebene: Keine „echten“ Ritter, sondern eher modern gekleidete Menschen, die Rüstungsteile mehr als Zitat mit sich herumtragen. John Dew hatte in Dortmund einen ähnlichen Ansatz gewählt; Krämer versucht jedoch stärker, das Drama zu entschlüsseln. Ein riesiger runder Tisch symbolisiert die Tafelrunde; während des Liebesduetts zwischen Lancelot und Genièvre zeigen sich erste Risse, zuletzt sind nur noch Trümmer übrig. Die Schwerter, zwischenzeitlich in den Tisch gerammt, mutieren zu Grabkreuzen der aussterbenden Spezies „Ritter“. Und die Erscheinung des Zauberers Merlin, von Chausson mystisch in den Apfelbaum verlegt, kommt als Verdopplung des Arthus daher, was Günter Krämer immer noch nicht reichte, denn vor der Kulisse blühender Apfelbäume liegt im Nachtgewand ein träumender dritter Arthus, als sei er, pardon, von Walter Moers dort plaziert worden. Aller guten Könige sind hier drei.
Das variable Bühnenbild (Herbert Kapplmüller), grandios ausgeleuchtet (Licht: Max Keller), und die dezente, aber nie beliebig wirkende Personenführung sind meisterhaft gelungen. Die Umsetzung der Handlung in symbolische Bilder ist stets durchdacht und plausibel. Die Risse in der Tafelrunde schon im ersten Akt nehmen das Ende bereits vorweg, eigentlich könnte das Stück hier schon zu Ende sein. Lancelots Zögern, mit Genièvre zu fliehen, kommentiert Krämer, indem er die beiden die Pulsadern aufschneiden läßt: Der Tod wird vorweggenommen, der dritte Akt dient nur noch als Abgesang. Hier könnte das Stück zu Ende sein. Der Dialog zwischen Arthus und Merlin, seinem zweiten Ich, faßt noch einmal alles zusammen. Hier sollte das Werk nun wirklich zu Ende sein. Tatsächlich ist erst einmal Pause.
Je schlüssiger Krämer die Oper dechiffriert, desto mehr nimmt er auch von deren Reiz: Die permanenten Hinweise auf das Ende sind so ähnlich, als ob bei einem „Tatort“ alle fünf Minuten per Untertitel der Name des Mörders eingeblendet wird. John Dews naivere Erzählweise, bei der Merlin in Dortmund ganz unintellektuell (aber wirkungsvoll) wie ein Wunder tatsächlich im Apfelbaum erscheint, war in vieler Hinsicht poetischer und dadurch eindrucksvoller. Chaussons Schwäche, den Figuren wenig Entwicklung und wenig Geheimnis zuzugestehen, wird von Günter Krämer in Köln sozusagen kongenial verstärkt.
Problematisch ist insbesondere die Figur des Lancelot: Die Idee, zugunsten der Tugend die zuvor entehrte Geliebte von sich zu stoßen, ist ja nun nicht gerade ritterlich; hier hat die Oper ihren wohl größten Schwachpunkt. Douglas Nasrawi legt seinen Lancelot als ausgesprochenen Schwächling an. Das ist richtig, erhöht die Glaubwürdigkeit des Ganzen indes nicht. Geradezu exemplarisch wird an dieser wie an anderen Stellen die Genialität des „Tristan“, der auf einem ähnlichen Konflikt aufbaut, deutlich. Und im Orchester läßt Dirigent Phillipe Auguin es leider viel zu sehr „wagnern“: Ein wenig delikater hätte es denn doch sein dürfen. Ansonsten ist es musikalisch passabel; zum ganz großen musikalischen Abend fehlt Phillipe Rouillon (Arthus) ein wenig die Durchschlagskraft, Douglas Nasrawi (Lancelot) die Wärme und Susan Anthony, wiewohl zu bezaubernden lyrischen Tönen fähig, das dramatische Element.
Bezeichnenderweise wird die Aufführung dann gut, wenn eigentlich alles gesagt ist: Nach der Pause nämlich. Nach und nach verabschieden sich die Akteure von Leben und Publikum, und hier setzt sich endlich Poesie gegen Symbolik durch. Arthus wird allerdings nicht vom unsichtbaren Chor abberufen, sondern oratorisch kommt der exzellente Chor (Einstudierung: Horst Meinardus) in bläulichem Nebel auf die Bühne. Leider fängt Arthus noch an, die Trümmer der Tafel aufzuräumen und wieder zusammenzusetzen: Die Utopie der besseren Welt gerät arg plump.
Mystisch bleiben da nur noch die Übertitel: Wer da was singt, bleibt angesichts der nicht immer sinnvoll verkürzten Übersetzung oft rätselhaft.
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