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Elektra
Tragödie in einem Aufzug
Text: Hugo von Hofmannsthal
Musik: Richard Strauss


1 3/4 Stunde, keine Pause

Premiere am Theater Aachen am 16. Oktober 1999

Rezensierte Aufführung: 24.Oktober 1999


Logo: Theater Aachen

Theater Aachen
(Homepage)

Kammerspiel der Neurosen

Von Heike Schumacher / Fotos von Ludwig Koerfer



Die Spielzeiteröffnung mit der Strauss'schen "Elektra" wurde für den Aachener Interims-Intendanten Claus Schmitz zu einem beachtlichen Erfolg. Die Aachener honorierten den großen Regieentwurf in Verbindung mit einem eindringlichen Bühnenbild, das zeigt, das man in Aachen auf dem Weg zum modernen Musiktheater ist.

Mit dem Einakter "Elektra" begann die kongeniale Zusammenarbeit zwischen dem Dichter Hugo von Hofmannsthal und dem Komponisten Richard Strauss. Strauss hatte den Einakter im Wiener Burgtheater gesehen und war von der psychologischen Dichte des Textes beeindruckt. Hofmannsthal hat den antiken Mythos insofern verändert, als er in sein Drama nicht mehr die Vorgeschichte der Ermordung Agamemnons einbezog, sondern das Drama in dem Moment einsetzen lässt, wo nur noch die Schwestern Chrysothemis und Elektra am Königshof weilen, zusammen mit ihrer Mutter Klytämnestra und deren zweiten Mann, Ägisth. Es ging ihm um ein Gegenbild zur klassisch-verklärten Antike, er sah das Archaisch-Finstere in diesen Mythen. Strauss beließ für das Libretto den Dramentext fast unverändert bis auf einige wenige Umstellungen und Erweiterungen, die Hofmannsthal für die Opernfassung erstellte. Musikalisch stellte Strauss die innere Zerrissenheit der Figuren dar und ließ Freiraum für die Interpretation der Charaktere.

Aachen: Elektra (Foto 1) Foto links:
Jeannine Altmeyer (Elektra) und Snejinka Avramova (Klytämnestra)

Claus Schmitz ließ sich nicht festlegen auf die gängige Interpretation vom Aschenputtel Elektra, das im Wahn verfallen am Königshof dahinfiebert, bis endlich die Erlösung in Gestalt des rächenden Bruders erscheint. Er legte das Gewicht der Darstellung bei der Titelfigur Elektra nicht auf ihren wahnsinnigen Rachedurst, sondern auf ihren Machthunger. Sie wird als entthronte Königstochter gezeigt, die ihre alte Machtposition wiedererlangen will und deshalb den Mord an Agamemnon durch einen erneuten Mord des Orest an Mutter und Liebhaber rächen will. Auch Chrysothemis, die sonst als einzige Lichtgestalt des Dramas angesehen wird, wird in ihrer Motivik als eigennützig entlarvt. Auch sie versucht alles, um der Situation zu entkommen und sieht die Raserei der Elektra als einzigen Grund dafür an, dass sie nicht ein normales Leben außerhalb führen und eine eigene Familie haben kann. Sie lebt in der Illusion, dass sie einfach weggehen kann, alles hinter sich lassen und ihr ganz privates Glück finden wird. Klytämnestra schließlich versucht auch alles, um ihre Träume loszuwerden, auch sie geht skrupellos ihren Weg und würde auch weitere Morde begehen, um ihren Frieden zu haben. Wer im Recht ist, wer gut handelt und wer böse, das ist alles ins Wanken geraten.

Elektra ist in dieser Interpretation ein Kammerspiel der zerstörten familiären Beziehungen. Jeder kreist um seine Neurose und nimmt den anderen höchstens als Mittel zur Erreichung seines Zweckes wahr. Die Szenerie erinnert sowohl an Strindberg'sche Dramen als auch an die Ausweglosigkeit existentialistischer Konstellationen wie in Sartres "Geschlossene Gesellschaft".

Dementsprechend ist auch die große Wiedersehensszene zwischen Orest und Elektra in Aachen szenisch umgedeutet worden. Elektra umarmt nicht ihren totgeglaubten Bruder, sondern einen Mantel (seinen oder des Vaters?), den sie im Sockel der Vater-Statue verborgen hatte. Am Ende der Szene legt sie Orest diesen Mantel um, er geht, seine Mutter zu ermorden und nimmt damit die ihm von Elektra vorgezeichnete Rolle an, ihr Triumph ist perfekt.



Aachen: Elektra (Foto 2) Foto rechts:
Snejinka Avramova (Klytämnestra) mit

Das Bühnenbild von Detlev Beaujean setzt die Idee des Kammerspiels um. Um eine ellipsenförmige Scheibe sind Wände gruppiert, durchbrochen von unzähligen Ausgängen, so dass der Eindruck eines Labyrinthes entsteht. Im Zentrum der geneigten Scheibe steht eine rot verhüllte Statue, in den Konturen als Standbild eines Mannes, eben wohl Agamemnons, zu erkennen. Der weiße Raum mit den wenigen blutroten Tüchern erinnert ebenso an einen Kunstraum wie an eine Irrenanstalt. Die Atmosphäre einer engen, bedrückenden, trostlosen weil verstecklosen Hölle ist überzeugend ins Bild gesetzt worden.

Liest man Hofmannsthals szenische Vorschriften zur "Elektra", so stellt man fest, dass die Hofmannsthal'schen Intentionen in der Aachener Aufführung genau umgesetzt wurden. Dort entwirft der Dichter die Grundzüge der Szenerie, die vor allem frei sein sollte von "antikisierenden Banalitäten" wie griechischen Säulen und Treppenstufen. Der Charakter des Bühnenbildes sei "Enge, Unentfliehbarkeit, Abgeschlossenheit". Auch für die Kostüme schreibt er eine zeitlose Wirkung vor, ohne "jedes falsche Antikisieren sowie auch jede ethnographische Tendenz". Dies lösen die Kostüme von Lin-May Saeed genau ein. Elektra ist statt der üblichen schwarzen Lumpen in Neongelb gekleidet, ihre Schwester Chrysothemis in mildes Gelb. Dies soll die Bezogenheit der Figuren aufeinander symbolisieren. Die anderen Hofpersonen dagegen erhalten stilisierte Gewänder im Hofstil Ludwigs des XIV, Klytämnestra erinnert im steifen Gewand an die Kartenkönigin aus "Alice im Wunderland". Dagegen sind Orest und sein Diener weiß, farblos neben den nuancenreichen Frauengestalten. Ebenso die Dienerinnen und Diener des Hofes, die als kriechende Maden sich über die Bühne winden, um ins Bild zu setzen, dass sie allzu opportunistisch sind.



Aachen: Elektra (Foto 1) Foto links:
Beatrice Niehoff (Chrysothemis) und Jeannine Altmeyer (Elektra)

Ursprünglich hatte Strauss die "Elektra" für ein über 100 Musiker starkes Orchester komponiert, aber er selbst stellte eine reduzierte Orchesterfassung her, die es auch kleineren Häusern ermöglichen sollte, die "Elektra" zu spielen. Auf diese Fassung griff auch die Aachener Aufführung zurück. Dass die reduzierte Fassung keineswegs Reduzierung in der Lautstärke bedeutet, fiel leider ab und zu im fehlenden Gleichgewicht zu den Sängerstimmen auf. An einigen Stellen hätte es auch schon mal etwas leiser sein dürfen, die Sängerinnen hatten doch Mühe, immer gegen das Orchester durchzudringen. Aber ansonsten präsentierte das Orchester sich imposant, facettenreich und präzise. Mit Leichtigkeit bewältigten Elio Boncompagnis Musiker die Partitur, mit der Strauss ja bekanntermaßen bis an die Grenzen des Atonalen vordrang.

Mit den drei Frauenrollen schuf Strauss grandiose Partien, die nicht zuletzt durch ihre Beliebtheit bei den Sängerinnen zum Verbleiben dieser Oper im Repertoire beitrugen. An erster Stelle steht die Partie der Elektra, sie ist praktisch das ganze Stück hindurch auf der Bühne und beherrscht die Szenerie. In der Aachener Inszenierung ist sie nicht die Wahnsinnige, die den Hunden gleich auf der Erde scharrt, sondern durchschreitet aufrecht mit großen Schritten die von ihr selbst geschaffene Enge. Angetan mit Kinderstiefeln und kurzem Haar hat sie zugleich etwas kindlich-trotziges, garstig mit vorgeschobenen Unterlippe, wie aber auch etwas entschlossen-hartes. Sie trägt keine Bürde mit sich herum, sondern betreibt entschlossen ihr Mordwerk. Dagegen ist Chrysosthemis als die Feminine angelegt, das Weibchen, das ein "Weiberschicksal will" und dennoch gewollt-naiv mit einem Schnuffeltuch wie Linus von den Peanuts daherkommt. Die dritte Frau im Bunde, Klytämnestra, besteht nur aus Steifheit, aufrecht gehalten durch ihr Kostüm und eine Unzahl von Edelsteinen, die sie in die Ärmel eingenäht trägt, zum Zauber gegen alles, was sie nie verbannen kann, weil sie es täglich neu schafft. Alle Figuren verharren in ihren Zwängen und wiederholen sie jeden Tag ritualhaft aufs Neue. Die Beschränkung, die die Regie den Darstellerinnen mit dem Konzept des ritualhaften Wiederholens und der Non-Kommunikation auferlegt, macht die Rolle der Elektra noch schwieriger als sie ohnehin schon ist.

Die Wagner-Sängerin Jeannine Altmeyer hätte ohne dieses Regiekonzept bestimmt noch mehr Möglichkeiten, nuanciert stimmlich darzustellen, jetzt ist sie fast zum Dauer-Forte gezwungen, was sie dennoch mühelos und mit Bravour bewältigt. Ihr hätte man mehr Gestaltungsspielraum gewünscht. Die Zuschauersympathien lagen dann bei den beiden anderen Darstellerinnen, aber auch hauptsächlich deshalb, weil sie sprachlich besser zu verstehen sind und leichteres Spiel haben, sich von der ständig wild dreinblickenden Elektra abzuheben. Stimmlich sind sie ebenfalls perfekt, sowohl Snejinka Avramova (Klytämnestra) in den Tiefen der Partie als auch Beatrice Niehoff (Chrysothemis) in den lyrischen Passagen. Nahtlos zum Gesamtkonzept passend präsentieren sich die Männerstimmen, allen voran Götz Seitz als Orest, gefolgt von Robert Woroniecki als Ägisth und den Darstellern der Diener. Bei den Mägden ist durch die Umverteilung der Rolle der Aufseherin auf die fünf Dienerinnen gleichermaßen eine starke Sängerinnengruppe entstanden, die zeigt, dass man auch im Kriechen ganz wunderbar singen und gestalten kann. Ein großes Lob für alle Sängerinnen!



Aachen: Elektra (Foto 2) Foto rechts:
Jeannine Altmeyer (Elektra)

An manchen Stellen geht das Regiekonzept über Handlungsteile hinweg, die so dann nicht mehr verständlich sind. Die oben geschilderte Mantel-Szene ersetzt eine Szene, in der Elektra das Beil ausgräbt, mit dem ihr Vater erschlagen wurde und dass sie in der Wiedersehensfreude mit Orest vergisst, ihm auszuhändigen. So vollzieht Orest die Rache nicht ganz nach ihren Vorstellungen. In Aachen wundert man sich, von welchem Beil da die Rede ist, da es in der Szenerie gar nicht auftaucht. Ähnlich geht es mit den fehlenden Fackeln am Schluss, auch hier wünscht man sich szenische Verdeutlichung, wenn der Text nicht ganz verstanden werden kann. Das statuarische Aneinander-Vorbeireden in der Orest-Elektra-Szene bekommt doch etwas Lächerliches, das hätte man auch verstanden, ohne dass die Figuren nebeneinander stehen und sich nicht ansehen, aber im Text davon sprechen ("so seh ich sie? Ich seh sie wirklich?"). Am Ende stirbt Elektra nicht, sondern geht ab in die Kulisse, verschwindet aus der Geschichte, weil ihre Rolle erfüllt ist, auch hier eher ein Moment der Verwirrung als der Verdeutlichung der Szene.

In der Theorie ist das Regiekonzept sehr stimmig und am Text nachvollziehbar. In der musikalischen Ausführung geht es manchmal an der Musik vorbei und mutet den Sängerinnen fast eine Verleugnung ihres schauspielerischen Könnens zu.


FAZIT
Moderne, atmosphärisch-dichte Inszenierung


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
GMD Elio Boncompagni

Regie
Claus Schmitz

Bühnenbild
Detlev Beaujean

Kostüme
Lin-May Saeed

Dramaturgie
Dr. Astrid Gubin

Choreinstudierung
Bernhard Moncado



Opernchor des Theaters Aachen

Sinfonie Orchester Aachen



Solisten

Klytämnestra
Snejinka Avramova

Elektra
Jeannine Altmeyer

Chrysothemis
Beatrice Niehoff

Ägisth
Robert Woroniecki

Orest
Götz Seiz

Der Pfleger des Orest
Wolfgang Biebuyck

Die Vertraute Klytämnestras
Julietta Figulla

Die Schleppträgerin Klytämnestras
Jolanta Kosira

Ein junger Diener
Andreas Joost

Ein alter Diener
Johannes Piorek

Erste Magd
Kowollik

Zweite Magd
Laure de Marcellus

Dritte Magd (Aufseherin)
Kirsten Schötteldreier

Vierte Magd
Kyung-Hye La

Fünfte Magd
Maja Tabatadze


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Aachen (Homepage)




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