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"Die ganze Welt im herzen einschließen"
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Andrea Kemper
Im Tagebuch des jüdischen Mädchens Anne Frank, im Amsterdamer Versteck während der deutschen Besatzung bis zu ihrer Deportation nach Auschwitz-Birkenau geschrieben, sieht der 1915 in St. Petersburg geborene Komponisten Grigori Frid ein Sinnbild für menschliches Leiden überhaupt, und nicht zuletzt mögen es autobiographische Elemente sein, die ihn zur Komposition angetrieben haben (Frid lebte einige Zeit bei seinem in einem Straflager internierten Vater). Den sowjetischen Machthabern scheint dies suspekt gewesen zu sein, jedenfalls kam es lediglich in finsterster Provinz 1980 (in Woronesch) zu einer szenischen Aufführung. In Deutschland liegen die Dinge derzeit anders: Seit der deutschen Erstaufführung 1996 in Nürnberg ist die Oper an etlichen Bühnen aufgeführt worden. Jetzt kann man sie in Dortmund (in einer Fassung für Klavier) erleben. "Ich werde, hoffe ich, Dir alles anvertrauen können, wie ich es noch bei niemandem gekonnt habe, und ich hoffe, Du wirst mir eine große Stütze sein."
Frid hat den Tagebuchtext auf knappste Form komprimiert: In 21 kurzen Szenen fasst er die Essenz des Textes zusammen. Es sind Stimmungsbilder des jungen Mädchens, wobei die sich dramatisch zuspitzenden äußeren Geschehnisse fast im Hintergrund bleiben. Frid interessiert sich für die subjektive Wahrnehmung, für das Individuum, weniger für die objektiven Umstände, die zur Katastrophe führen. Durch diese Form des "Mit-Leidens" gewinnt er dem Text eine universelle Botschaft ab, die eine Ausdeutung des Stoffes durch Musik erst rechtfertigt: Hier soll nicht das Grauenhafte musikalisch unterlegt werden, sondern durch die Musik der humanitäre Aspekt in den Vordergrund gestellt werden. Daseinsbewältigung: Im Tagebuch parodiert Anne die Streitigkeiten der Erwachsenen im Amsterdamer Versteck
Die Wahl der Form "Mono-Oper" (es tritt nur die Titelfigur auf) ist eine bewußte Absage an konventionelle Operndramaturgie. Formal kann das etwa einstündige Werk beinahe als Liederzyklus aufgefasst werden - und macht es nicht ganz einfach, eine szenische Realisation zu finden, die nicht diese Balance wieder zerstört. In Dortmund ist dem jungen Regisseur Patrick Bialdyga das außerordentlich gut gelungen. Auf einem dreistufigen Podest lässt er die Sängerin agieren, die sich - entsprechend der sich zuspitzenden Situation - immer weiter nach oben zurückzieht. Parallel dazu bauen zwei SS-Offiziere (Statisten) die unteren Podeste ab, dahinter kommen Maschendraht und Fotografien aus dem KZ zum Vorschein. Bialdyga weiß diese Elemente virtuos zu handhaben und richtet die Konzentration jederzeit auf seine Darstellerin, so dass die Intention des Komponisten gewahrt bleibt. Ambivalenz der Gefühle: Den Traum vom privaten Glück zerstört die Angst vor dem KZ
Jillian Anderton verkörpert die Anne Frank mit mädchenhafter Leichtigkeit, mal verträumt nachdenklich, mal witzig die Erwachsenen parodierend. Mühelos nimmt man ihr die Vierzehnjährige ab. In ihrer Stimme liegt auch das Zerbrechliche, das die Rolle erfordert. Mit kleinen, aber wohlüberlegten Gesten besitzt sie die erforderliche Präsenz: Ein Glücksfall für diese Inszenierung. Am Klavier begleitet Hannelore Bretz souverän, ohne aber die Tiefen der Komposition wirklich auszuloten: Manches hätte schärfer und pointierter erklingen müssen. Das blieb aber der einzige kleine Schwachpunkt an einer beeindruckenden Aufführung, die sicher auch ein anderes als das gewohnte Publikum erreichen kann.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung und Klavier
Regie
Bühnenbild und Kostüme
Licht
SolistenAnne FrankJillian Anderton
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- Fine -