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Idyllen
Musikalische Szenen nach Jean Paul
Libretto von Michael Schneider
Musik von Thomas Beimel
Uraufführung

Premiere der Theater Krefeld Mönchengladbach
Mönchengladbach, Studio am 20. November 1999

Vorstellungsdauer: ca. 1 Stunde, keine Pause


Logo: Theater Mönchengladbach

Theater Mönchengladbach
(Homepage)

Fiktion als Erfüllung und Verstrickung -

Beimel entdeckt modernen Opernstoff
von und mit Jean Paul



Von Meike Nordmeyer / Fotos von Matthias Stutte



Mit der Premiere der Kammeroper Idyllen von Thomas Beimel lieferten die Theater Krefeld Mönchengladbach nach der Aufführung von Zauberflöte 2.2 (siehe unsere Rezension) bereits die zweite Uraufführung in dieser Spielzeit. Besonderer Clou an diesem außerordentlichen Engagement für die zeitgenössische Oper: Die beiden neuen Werke stehen durchaus in enger Beziehung miteinander. Es handelt sich um zwei Literaturopern, beide haben das Werk eines Klassikers zur Vorlage. Während die erste Komposition einen nahezu unbekannten Entwurf des großen Jubilars Goethe vertonte, liegt der Oper von Beimel ein Text des fast unbekannten Klassikers Jean Paul zugrunde.

Sehr gelungen ist also das Spielzeit-Programm in Krefeld / Mönchengladbach, dem in der Rezeptionsgeschichte übermächtigen und dieses Jahr ausgiebig gefeierten Dichter Goethe den fast vergessenen Zeitgenossen Jean Paul zur Seite zu stellen. Dem erhabenen Sujet der Zauberflöte den humorvollen, tiefsinnig gebrochenen Text Jean Pauls folgen zu lassen, paßt auf besondere Weise, versteht dieser doch den Humor als umgekehrte Erhabenheit, wie er in seiner Vorschule der Ästhetik angibt.

In dem zugrundeliegenden Roman Leben Fibels erzählt Jean Paul die Biographie des Gotthelf Fibel, dem Schöpfer einer Lesefibel. Es handelt sich bei dieser Schilderung um eine Fiktion, darüber läßt der Autor keinen Zweifel, ja mehr noch: er spielt mit den literarischen Entstehungsbedingungen seiner Figur, er führt diese sogar bis zu ihrer Auflösung.

Foto: MG: Idyllen

Das Libretto von Michael Schneider faßt den Roman zu sieben Szenen zusammen, die Schlaglichter auf das Leben Fibels werfen. Die verschiedenen Personen der Vorlage werden verdichtet zu zwei Figuren: Person 1 umfaßt Fibel, aber auch den Autor Jean Paul selber. Person 2 stellt ebenfalls Jean Paul dar und zwei weitere Personen, den Vater und den Magister Pelz. Folgerichtig wird so mit dem Libretto gezeigt, daß es nicht allein um die Geschichte dieses Fibels geht, sondern daß es sich recht eigentlich um eine Auseinandersetzung mit der eigenen Autorenexistenz handelt, die Jean Paul humorvoll abarbeitet in der Tiefenschicht seines Romans. So geht es auch in der Oper Beimels um Jean Paul selbst. Die Hauptfigur Jean Paul / Fibel wird aufgeteilt in ego und alter ego, und dementsprechend sind beide Darsteller in derselben Stimmlage angesiedelt, zwei Bässe, die in der Inszenierung von Roland Spohr konsequenterweise auch das gleiche Aussehen bekommen.

Der Komponist Beimel erarbeitet die musikalischen Szenen mit einer ungewöhnlichen, doch höchst wirkungsvollen Besetzung: eine Tuba und Streichquartett. Die Tuba übernimmt den Erzählpart. Es gibt Einsätze mit Fanalwirkung, ebenso lyrische Passagen. Farbenreich und experimentierfreudig wird das Instrument eingesetzt und in enger Verbundenheit mit den Sängern geführt. Höchst eindrucksvoll werden von Tubist Carl Ludwig Hübsch alle möglichen und nicht für möglich gehaltenen Spielarten des Instrumentes ausgelotet. Der Tubist spricht und gurgelt auch humorvoll die Fibel-Verse in sein Instrument. Die Streicher liefern dazu dichte Klangfelder, die ebenfalls erzählerische Qualität besitzen und konzentriert ausgeführt werden vom Ensemble Indigo. Beimel erweitert zudem das Klangspektrum seiner kleinen Besetzung maßgeblich: Alle Musiker bedienen zusätzlich verschiedene Percussions, sie haben rhythmisch zu Sprechen, zu Stöhnen, auch zu Hicksen, und einiges mehr. Erzeugt wird so ein facettenreiches sinnliches Klangerlebnis.

Ausdrucksstark gespielt und gesungen werden die beiden Fibel-Figuren von John T. Gates und Ulrich Schneider. Enorme Spiel-Spannung wird verlangt von Gates, der große Strecken über alleine auf der Bühne agiert. Die Person des Fibels sehen wir täppisch naiv, empfindsam, dann enthusiastisch über die Entdeckung der Buchstaben, der Sprachen, damit des Wortens und Ordnens der Welt. Besonders eindrucksvoll gelingt das Duett von Pelz und Fibel, als sie begeistert ihre Veröffentlichungspläne feiern und ausrufen "Mir ist heute so tänzerisch zumute". Stimmgewaltig zeigt sich hier vor allem Ulrich Schneider als Pelz. Alle beteiligten Musiker erbringen vorzügliche Leistung unter der Leitung von Ulrich Wagner.

Foto: MG: Idyllen Die Inszenierung von Roland Spohr reduziert die Geschichte ebenfalls gekonnt: In der Mitte der Spielfläche befindet sich als einziges Requisit ein Bett, das schräg auf einem großen Papierstapel aufliegt - beschriebenes Papier des Fibel und des aus sich die Figur des Fibels herausspinnenden Autors. Umgeben ist die Bühne an allen Seiten von Gaze-Schleiern, die in breite graue Rahmen gefaßt sind, auf denen es Projektionen zu sehen gibt. Es sind Träume, vielleicht auch Halluzinationen, wahnhafte Vorstellungen. Sie beziehen sich auf den gesprochenen Text der Figuren, und der Fibel-Verse von Jean Paul selber, die beständig von den Instrumentalisten geliefert werden. Die Projektionen sind künstlerisch anspruchsvoll erarbeitet worden von CROSSOVERMEDIA Wuppertal, die Bilder erzielen starke visionäre Wirkung.

Die Regie findet zur Umsetzung der Szenen höchst poetische Bilder, wenn es da beispielsweise Federn schneit und kleine Lichter auf Schulter und Arme Fibels aufgesetzt werden. Große Dramatik wird entwickelt bei der Darstellung von Fibels Kampf mit den Medien: sinnfällig gemacht durch die lebensgefährliche Verwicklung in ein Mikrophon und sein Kabel. Fibel stürzt zu Boden und wird dabei noch gefilmt - gesteigerte mediale Erfassung und kein Ende.

Foto: MG: Idyllen Die Gaze-Schleier mit den breiten Rahmen sehen daher auch nicht zufällig aus wie Computer-Bildschirme, es zeigt sich vielmehr deutlich der aktuelle Bezug der Oper, der aus der Vorlage entwickelt wurde. Ausgehend von der Schilderung Jean Pauls, der in seiner fiktiven Biographie einen Biographen auftreten läßt, der die Titelfigur in Bedrängnis bringt durch die mediale Vervielfältigung seines Lebens, spielt die Oper und ihre Inszenierung auf heutige virtuelle Welten an. In rasant zunehmender Geschwindigkeit werden heute die fiktiven Welten von der Technik produziert. Sie treten neben die des Traumes und der Literatur, die es immer schon gegeben hat. Die Frage nach dem Verhältnis von Fiktion und Leben hat neue Bedeutung bekommen, die Gefahr des Wirklichkeitsverlustes ist angewachsen. Fiktionen können einsam machen. Es geht schon bei Jean Paul um das abgeschiedene Leben eines Autors in der eigenen Phantasie, in der unerreichbaren Welt seiner Idyllen. Die Rückbindung zum Leben wird schwieriger, die Verortung der eigenen Existenz wird Problem. Das sind Themen, Tiefenschichten, die Jean Paul aufscheinen läßt unter der sichtdurchlässigen Oberfläche seines Humors. Sie bleiben erschütternd und sind aktueller denn je - das zeigt überzeugend die Oper in dieser gelungenen Umsetzung, die Jean Paul mit großem Ernst würdigt als modernen Autor.


FAZIT
Das engagierte Musikerteam und die gelungene Inszenierung ließen eine packende Uraufführung des anspruchsvollen Werkes entstehen.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Ulrich Wagner

Inszenierung
Roland Spohr

Bühne und Kostüme
Jessica Westhoven

Filmprojektionen
CROSSOVERMEDIA
Wuppertal
Caroline Keufen
Oliver Blum

Dramaturgie
Katja Leonhard

Regieassistenz und
Abendspielleitung
Jens Fischer



Tuba
Carl Ludwig Hübsch

Ensemble INDIGO
1.Violine: Heike Haushalter
2. Violine: Petra Stalz
Viola: Monika Malek
Violoncello: Gesa Hangen




Solisten

Person 1 / Jean Paul / Fibel
John T. Gates

Person 2 / Jean Paul / Vater / Pelz
Ulrich Schneider







Weitere Aufführungen
am 30. November
und 9., 17., 21. Dezember



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Krefeld
Mönchengladbach

(Homepage)






Beachten Sie auch unser
Interview mit dem Komponisten!




Hier können Sie noch mehr
über Jean Paul erfahren.





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