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Musiktheater
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Programmheft Julien
Lyrisches Gedicht (Poème lyrique)
in vier Akten und einem Prolog
Libretto und Musik von Gustave Charpentier

In französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h (eine Pause)

Premiere im Theater Dortmund
am 3. Dezember 2000

Logo: Theater Dortmund

Theater Dortmund
(Homepage)

Mythische Seelenlandschaften

Von Stefan Schmöe / Foto von Andrea Kremper


Das Pariser Publikum muss wohl ziemlich verblüfft gewesen sein, als Gustave Charpentier 1913 Julien als vermeintliche Fortsetzung seiner Erfolgsoper Louise auf die Bühne brachte. Das Dortmunder Publikum ist von seinem Intendanten John Dew allerlei gewöhnt und auf vieles gefasst, wenn eine deutsche Erstaufführung ansteht. Trotzdem ist die unmittelbare Gegenüberstellung von Louise und Julien irritierend, 46 Jahre nach dem Tod des Komponisten erstmals an zwei aufeinander folgenden Abenden, also unmittelbar zusammenhängend (wie dem Komponisten das vorschwebte), gespielt. Nach dem „musikalischen Roman“ Louise mit seiner letztendlich konventionellen Erzählweise wartet Julien mit einer völlig anderen Struktur auf: (Alp- )traumhafte Sequenzen treten an die Stelle von Milieuzeichnung und Realismus, die in Louise vorherrschten.


Szenenfoto Julien, Komponist der Erfolgsoper Louise, ist auf der Suche nach sich selbst und trifft dabei allerlei obskure Getstalten...

Es gibt gerade in der französischen Musikgeschichte Vorbilder für dieses Modell. Berlioz hat seiner Symphonie Fantastique ein ganz merkwürdiges Werk mit dem Titel Lélio ou Le Retour à la Vie (Lelio oder die Rückkehr ins Leben) zur Seite gestellt, ein „Lyrisches Monodram“, das inhaltlich die Geschichte des Helden der Symphonie unter Verwendung von Traumsequenzen weiterspinnt. Julien ou La Vie du poète (Julien oder Das Leben des Dichters, wie der komplette Titel lautet, ist mit „Poème lyrique“ (lyrisches Gedicht) überschrieben und schildert die Seelenzustände des Künstlers bis zu seinem Tod. Schon die Orte der Handlung grenzen das Werk gegen Louise ab: Bildet dort das Stadtleben von Paris die Schablone, vor der erst das Schicksal des Arbeitermädchens Louise einen „Sinn“ bekommt (die Stadt nimmt beinahe die Rolle eines abstrakten Protagonisten ein), so verweisen in Julien die Ortsangaben Rom, Slowakische Landschaft, wilde Gegend in der Bretagne und selbst Montmartre auf mythische Orte ohne realen Bezug.


Szenenfoto ... wird drogenabhängig ...

In John Dews Inszenierung kommt das in dem immer weniger naturalistischen Bühnenbild (Thomas Gruber) zum Ausdruck. Ist zu Beginn noch Juliens Bett mit Radiowecker und Bücherstapel Anhaltspunkt für eine reale Welt, so ist schon die slowakische Landschaft durch eine Ansammlung von Buddha-Statuen ersetzt: Julien befindet sich offenbar auf Selbstfindungskurs. Charpentier hat den vier Akten Überschriften gegeben: „Im Land der Träume“, „Zweifel“, „Kraftlosigkeit“ und „Trunkenheit“. Dew führt vor, wie sein tragischer Anti-Held, den der Komponist mit autobiographischen Elementen ausgestattet hat, vom bewunderten Schöpfer der Erfolgsoper Louise (in etlichen Partituren auf der Bühne allgegenwärtig) zum Junkie absteigt, der im Drogenrausch vor sich hin dämmert. In relativ wenigen Szenen wird ein Bezug zu Louise hergestellt: Im Schlussbild etwa verweist er auf die bunte Gesellschaft aus dem Montmartre-Bild der vorigen Oper (manches Detail dort, etwa die Personifizierung einiger zeitgenössischer Maler, wird erst aus diesem Blickwinkel verständlich).


Szenenfoto ... gerät dabei in eine slowakische Landschaft (so der Komponist) bzw. in fernöstliche Gefilde (so der Regisseur)...

Stärkere Querverbindungen aber gibt es überraschenderweise zu einem ganz anderen Werk, das Dew vor einiger Zeit ausgegraben hat nämlich zu Pfitzners Der arme Heinrich, und damit zu einem Werk mit geradezu erzdeutschem Anspruch. In beiden Werken geht es um den Untergang eines Anti-Helden, und im Bühnenbild gibt es – Zufall oder Prinzip? - etliche Parallelen. Dazu hat Dew in beiden Fällen die Titelrolle mit Norbert Schmittberg besetzt, einem veritablen Heldentenor, dessen Stimme zwar nicht unbedingt „schön“ zu nennen ist, der aber viel Bühnenpräsenz besitzt und hier wie da die Rolle an sich reißt. Dazu ist der Gestus Schmittbergs in beiden Stücken der gleiche, und auch als Julien singt er, auch größere Klangmassen übertönend, in einer Art, der man sich schwer entziehen kann. Im Vergleich zu dem vielleicht kultivierteren, aber etwas farblosen Brian Nedvin, der den Julien in Louise singt, ist Schmittberg der ungleich ausdrucksvollere Darsteller.



Überhaupt ist es in Julien deutlich besser um die musikalische Seite bestellt als in Louise. Axel Kobers Dirigat ist ungleich zupackender als am Vorabend, und die Abstimmung mit den Sängern funktioniert um einiges besser. Das Philharmonische Orchester Dortmund, am Vortag ziemlich mit sich selbst beschäftigt, lässt lustvoll die verschiedenen Stilelemente aufeinander prallen. Charpentier lässt den Chor oft hinter der Bühne singen und spielt überhaupt viel mit den räumlichen Möglichkeiten von Musik – auch darin sind beide Opern überraschend modern. Nicht alle, aber doch viele dieser Effekte werden in Dortmund zu Gehör gebracht.


Szenenfoto ... und dreht zuletzt am Montmartre völlig durch.

Auch Barbara Dobrzanska, an beiden Abenden die Louise (bzw. die Frauen, in denen Julien Louise zu erkennen glaubt), steigert sich erkennbar. Zwar ist ihre Rolle in Julien nicht so umfangreich, dafür aber von der Sängerin vielschichtiger gestaltet. Und sie legt zum Finale gar einen Chanson hin, dass man Lust bekommt, sie einmal einen Abend in diesem Genre zu hören. Die weiteren Rollen geben ihren Sängern wenig Gelegenheit, sich zu profilieren, sind aber durchweg gut besetzt.

Julien ist sicher (nicht nur wegen der musikalischen Qualitäten) die aufregendere der beiden Stücke, zumindest in der Dortmunder Inszenierung. Dew ist hier in der Tat die Krönung seiner Reihe mit französischen Opern gelungen – und ein spektakulärer Event, der, französisch hin oder her, unbedingt sehenswert ist.

Aber wächst hier nun zusammen, was zusammen gehört? Eigentlich nicht. Louise bedarf keiner Fortsetzung (und schon gar nicht So einer, die Oper ist in sich geschlossen und lebt gerade von ihrem offenen Ende. Julien bedarf seiner Vorgängerin nur insofern, als man die Vorgeschichte, insbesondere den seelischen Konflikt der zwischen Elternhaus und Julien zerrissenen Louise kennen muss, um Julien richtig zu erfassen. Aber sei’s drum: Spannendes Theater ist John Dew allemal gelungen.


FAZIT

Starkes Stück! John Dew setzt einen spektakulärer Schlusspunkt unter seine Reihe französischer Opern: Während sich seine Intendanz dem Ende neigt, mobilisiert er noch einmal alle Dortmunder Theaterkräfte.




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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Axel Kober

Inszenierung
John Dew

Bühne
Thomas Gruber

Kostüme
José-Manuel Vazquez

Chor
Granville Walker



Chor und Extrachor
des Theater Dortmund

Statisterie des Theater Dortmund

Das Philharmonische
Orchester Dortmund


Solisten

Julien
Norbert Schmittberg

Louise, die Schönheit,
ein junges Mädchen,
Juliens Großmutter, Nutte
Barbara Dobrzanska

Vater von Louise,
der Oberpriester,
ein Bauer, der Magier
Karl-Heinz Lehner

Mutter von Louise, eine Bäuerin
Sonja Borowski-Tudor

Gehilfe, Arbeiter,
Student, Zelebrant,
Stimme aus dem Abgrund
Jeff Martin

Glöckner, Holzfäller,
Künstler, Steinklopfer,
Totengräber, Stimme aus dem Abgrund
Hannes Brock

EIn leichtes Mädchen
Diana Blais


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Dortmund
(Homepage)




Da capo al Fine

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