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Paris, die schöne GroßstadtwüsteVon Stefan Schmöe / Foto von Andrea Kremper
Wächst hier etwa zusammen, was zusammen gehört, aber nie zusammen kommen konnte? Gustave Charpentier (1860 1956) feierte 1900 mit Louise einen Sensationserfolg an der Pariser Opéra-Comique; noch im gleichen Jahr erlebte das Werk dort seine hundertste Aufführung, und die Bühnen in Europa und Amerika zogen nach. 1913 wollte Charpentier an diesen Erfolg anknüpfen und schuf mit Julien eine Art Fortsetzung zu Louise und beschäftigte sich sogar mit dem Plan, die beiden Werke zu einem Triptychon zu ergänzen. Julien aber fiel durch, obwohl kein geringerer als Enrico Caruso in New York die Titelrolle sang. Zusammen sind die beiden Opern bisher nie aufgeführt worden, und der scheidende Dortmunder Intendant John Dew krönt seine Reihe französischer Opern quasi mit einer kleinen Uraufführung, nämlich Louise und Julien endlich einmal zusammenhängend und an zwei aufeinander folgenden Tagen aufzuführen. Julien ist bei der Gelegenheit zum ersten Mal überhaupt in Deutschland zu sehen.
Klangbeispiel: Barbara Dobrzanska (Louise) und Brian Nedvin (Julien)
John Dew greift in seiner Inszenierung die narrative Struktur auf, indem er sehr detailliert die Geschichte nacherzählt. Thomas Grubers Bühnenbild setzt dazu extrem naturalistische Bildelemente so z.B. die Küche von Louise Eltern in einen abstrakten Raum. Realistische und symbolische Elemente sind dadurch geschickt ausbalanciert. Gruber hat beeindruckende Bildlösungen gefunden; so wirken die akkurat beschnittenen Bäume im Park, in dem Louise und Julien Glück und Freiheit besingen, wie überdimensionale Hämmer, bereit, das anarchistische Treiben zu ihren Wurzeln jederzeit niederzuschlagen. Damit die Geschichte funktioniert, transformiert sie Dew ein wenig: Louise ist Türkin oder Araberin, eine extrem graue Maus mit Kopftuch, die sich unter Juliens Einfluss in ein schillerndes Flower-Power-Girl verwandelt. Das rückt den Konflikt in eine immerhin noch einigermaßen nachvollziehbare Vergangenheit. Julien träumt von Che Guevara und wohnt offenbar im gleichen Mietshaus einen Balkon weiter. Diesen Wirrkopf können Louise Eltern natürlich nicht akzeptieren. In seiner Trostlosigkeit entspricht das Ende dem Fatalismus der großen Romane: Die Wohnung ist Ruine, hinter einem Bauzaun steht die Abrissbirne: Von Moulin Rouge oder Eiffelturm keine Spur mehr. Louise wird in eine Einöde ohne Hoffnung verstoßen, aber ihre Eltern befinden sich längst in selbiger.
Obwohl Dews Inszenierung viele bezwingende Momente enthält und in der frechen Übersetzung von Dramaturg Bodo Busse, die per Übertitel eingeblendet wird (gesungen wird in französischer Sprache), ist das Stück von beklemmender Aktualität und Modernität stellt sich doch eine gewisse Distanz ein. Dews Ästhetik ist in ihrer peniblen Genauigkeit die des kleinen Fernsehspiels (aber aus der Zeit vor der Erfindung des Privatfernsehens): Sehr intelligent und mit bisweilen langatmigem pädagogischem Anspruch. Es fehlen dann aber an entscheidenden Stellen die musikalischen Impulse.
In all ihrem Bemühen um die französische Oper hat die Dortmunder Oper leider nie einen spezifisch französischen musikalischen Stil entwickeln können. Auch Louise erklingt recht teutonisch. Sicher ist es schwer, in Charpentiers Partitur das dezidiert Französische herauszufiltern, denn in vielen Passagen wagnert es ordentlich, wobei vor allem die Askese des Parsifal (und daraus besonders die Gurnemanz-Erzählungen) keinen unbedeutenden Einfluss auf den Komponisten ausübten. Dirigent Axel Kober bleibt zwischen den verschiedenen Stilelementen äußerst unentschlossen und dadurch ziemlich konzeptionslos. Dazu hat das Orchester permanent mit Intonationsproblemen zu kämpfen. Viel Esprit konnte da nicht aufkommen; man beließ es bei routiniertem Herunterspielen der vorgeschriebenen Töne.
Klangbeispiel: Karl-Heinz Lehner (Louises Vater)
Stilistische Unsicherheit zeigte sich auch bei Barbara Dobrzanska in der Titelrolle: Eigentlich alles ganz ordentlich gesungen, aber alles wenig charakteristisch. Brian Nedvin (Julien) wartete mitunter mit berückend schönen Tönen auf, stieß aber auch an seine stimmlichen Grenzen, wenn das Orchester aufdrehte. Karl-Heinz Lehner gab ein eindrucksvolles Charakterbild des Vaters, Sonja Borowski-Tudor als Mutter blieb dagegen eindimensional (viel Spielräume lässt ihr Charpentier aber auch nicht). Alles in allem war das solide (und angesichts des Riesenaufwandes mit etlichen gut besetzten Nebenrollen muss man dem Theater zweifelsohne Respekt zollen). Um auf Dauer überlebensfähig zu sein, braucht die Oper aber musikalisch mehr als Solidität Und wächst nun zusammen, was zusammengehört? Das steht in unserer Rezension zu Julien...
Einmal mehr eine beeindruckende Inszenierung von John Dew. Nur die Musik spielt nicht immer so mit, wie man sich das wünschen würde: Dews kühlem Intellekt fehlt der musikalisch-emotionale Widerpart. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Chor
Solisten
Louise
Julien
Mutter von Louise
Vater von Louise
Lumpenhändlerin, Zeitungsmädchen,
Nachtschwärmer, Narrenkönig,
Milchfrau, Artischockenhändlerin,
Lumpenhändler
Schutzmänner
Hans-Werner Trede
Straßenjunge
Maler
Student, Lumpenhändler
1. Philosoph, Kressehändler
Bildhauer
Dichter
Vogelfutterhändlerin, Irma
Margarethe
Susanne
Gertrude
Lehrmädchen
Elise
Vorarbeiterin
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