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Die Nazis erobern DisneylandVon Stefan Schmöe / Foto von Andrea Kremper
Raoul Wallenberg ist eine der ganz besonders rätselhaften Gestalten des 20. Jahrhunderts. Der Spross einer schwedischen Bankiersdynastie, der "für das Bankgeschäft ungeeignet" war (so ein Zeugnis aus Wallenbergs Lehrzeit), betrieb in den 40er-Jahren einen Delikatessenhandel in Budapest, ehe er 1944 im Auftrag der Vereinten Nationen mehr als 100.000 Juden vor der Deportation bewahrte, indem er ihnen schwedische Schutzpässe ausstellte. Nach Kriegsende wurde Wallenberg von den Sowjets unter Spionageverdacht verhaftet, und 1947 verliert sich seine Spur wahrscheinlich ist er in der Haft gestorben oder ermordet worden. Jedoch gab es hin und wieder Berichte, Wallenberg sei irgendwo gesehen worden. Die sowjetische, später russische Regierung scheint bis heute nicht sonderlich interessiert, den Fall Wallenberg aufzuklären. Posthum ist Wallenberg vielfach geehrt worden, in jüngster Zeit mehrfach in Budapest, bereits 1981 durch die Verleihung der amerikanischen Ehrenbürgerschaft durch Ronald Reagan, oder auch in Buenos Aires. Durch die Ungewissheit bezüglich seines Schicksals ist Wallenberg aber auch eine fast mythische Gestalt geworden allerdings nicht unbedingt in Deutschland.
Die Figur Wallenberg birgt zweifelsohne erhebliches (musik-)theatralisches Potenzial, und der Dortmunder Intendant John Dew hat deshalb bei Lutz Hübner (Libretto) und Erkki-Sven Tüür (Musik) eine Wallenberg-Oper in Auftrag gegeben. Das nun in Dortmund präsentierte Ergebnis beschränkt sich allerdings keineswegs darauf, musikalisches Denkmal eines geheimnisvoll-tragischen Helden zu sein, sondern nähert sich seinem Stoff von einer ganz anderen Seite: Nicht um die historische Figur Wallenberg geht es, sondern um die Wahrnehmung insbesondere die Trivialisierung - dieser Figur durch die Nachwelt, die sich ihren eigenen Wallenberg zurechtrückt. So wird in der Oper der "richtige" Wallenberg nach und nach durch "Wallenberg 2", eine mediengerechte Kunstfigur zur Gewissenspflege, ersetzt. Klangbeispiel 1Um das Klangbeispiel hören zu können, müssen Sie den RealPlayer installiert haben. Diesen gibt es kostenlos bei www.real.com
Hübner und Tüür haben bei diesem überaus anspruchsvollen Vorhaben etliche dramaturgische Hürden zu überspringen. Zu allererst muss dem (deutschen) Publikum die historische Situation und die Geschichte Wallenbergs gezeigt werden; dies beansprucht mehr als die Hälfte des zweistündigen Werkes. Hübner ist nicht dokumentarisch vorgegangen, sondern hat einige wenige Szenen (Wallenbergs Auftrag, Verteilen der Pässe, Gespräch mit Eichmann) in artifizieller Manier herauskristallisiert. Das erzählerische Moment wird dadurch weitgehend zurückgedrängt (und das ist gut so: Eine spannende Story im Stile von "Schindlers Liste" will das Werk gerade nicht sein, sondern vielmehr ein Gegenentwurf). Und auch die Entstehung des Wallenberg-Bildes, die Mythos-Bildung, muss dargestellt werden, um dessen Funktion verständlich zu machen. Und schließlich muss die Diskrepanz zwischen historischer Figur und dem Zerrbild in der Wahrnehmung auch noch herausgearbeitet werden. Um alles dies wirklich zu leisten, hätte die Oper mindestens doppelt so lang werden müssen.
Hübner und Tüür zeigen Wallenberg als einen von humanitären Idealen geradezu besessenen Menschen, dessen Heldentum allerdings mehr oder weniger auf Zufall beruht: Auf einige Zehntausend Juden kommt es seinem Gegenspieler Eichmann nicht an, solange er sich dadurch diplomatische Freiräume verschaffen kann. Dem Heldentum des einen entspricht der Zynismus des anderen. Die Stärke des Librettos liegt darin, Wallenbergs Leistung zu würdigen und gleichzeitig zu relativieren und die Schwäche darin, doch sehr, sehr viel in ein Stück pressen zu wollen. Klangbeispiel 2
Indem Librettist Lutz Hübner den Text auf das Allernotwendigste verknappt, lässt er Raum für die Musik des 1959 geborenen estnischen Komponisten Erkki-Sven Tüür. Der Orchestersatz ist vor allem durch das dominante Schlagwerk geprägt. Elemente der Unterhaltungsmusik sind oft latent, seltener als unmittelbares Zitat, vorhanden. Tüür ist in seiner Heimat als Rock-Musiker bekannt geworden, bindet Elemente dieser Musik aber in eine "ernste" Opernmusik ein, und die disparaten Mittel verbinden sich durchaus zu einem eigenen "seriösen" Stil. Häufig verdichtet sich die Musik zu stark dissonanten Klangflächen und neigt darin zum Dekorativen. Im ersten Akt der Oper kommt sie oft nicht über eine Illustration des Geschehens hinaus, hier ist das Werk stark text- und handlungslastig. Eigenständiger wirkt der zweite Teil, in dem der mitunter hypernervöse Tonsatz frecher ist und den (ohnehin in seiner Verklärung Wallenbergs ironisch gemeint ist).
Sehr sängerfreundlich ist die Musik nicht (und immer wieder werden die Solisten vom souverän und farbig, aber auch oft zu laut spielenden Orchester, geleitet von Alexander Rumpf, zum Forcieren verleitet). Die wenigen Kantilenen sind nicht unbedingt die Glanzlichter der Partitur, sondern wirken beinahe wie Zugeständnisse an klassische Operndramaturgie. Die Oper schließt mit der "Stimme eines Opfers", und nach dem vorangegangenen "Wallenbergzirkus" mit absurden Ehrungen (und entsprechend abgedrehter Musik) soll dies wohl das ernsthafte Gedenken der Toten an das Ende stellen (und entsprechend zahm ist die Musik). Unfreiwillig laufen Hübner und Tüür hier in die selbst gestellte Falle: Das in seiner Schlichtheit schon wieder pathetische Finale hat selbst etwas von der gemütsberuhigenden Verklärung, die zuvor auf anderer Ebene angeprangert wurde.
Regisseur Philipp Kochheim hat rechtzeitig die Probleme der Oper erkannt und im Programmheft umrissen: Die Schrecken des Holocaust können auf der Opernbühne natürlich nicht dargestellt werden. Kochheims Inszenierung hat deshalb etwas von Schadensbegrenzung. Riesige Stellwände mit Akten deuten den perfekten Mechanismus der Judenvernichtung eindrucksvoll an, ohne sich konkreter Schreckensbilder zu bedienen. Realistische Momente sind weitestmöglich unterdrückt, alles wirkt ganz gezielt in doppeltem Sinne "inszeniert". Der zweite Teil tendiert zum Surrealen: Wie Aufziehpuppen lässt Kochheim zur Verleihung der US-Ehrenbürgerschaft fesch ausstaffierte Hochglanz-Nazis im Stechschritt unter der Hakenkreuz-Leuchtreklame aufmarschieren. Hier wird der Nazi zum Disneyland-Event. Das Bild irritiert, weil eine derart drastische Banalisierung von Nazi-Emblemen an ein Tabu rührt, aber es hat auch den bedenklichen Unterton: So treiben's die Amerikaner mit der Geschichtsbewältigung. Das wieder auf die deutschen Verhältnisse zu übertragen erfordert eine weitere gedankliche Transfer-Leistung und irgendwo ist der arme Opern-Wallenberg inzwischen auf einer Meta-Meta-Meta-Ebene angekommen.
Das Dortmunder Ensemble schlägt sich überwiegend tapfer. Hannu Niemelä singt den "historischen" Wallenberg mit großer Intensität, und Hannes Brock gestaltet den Wallenberg 2 im Stile eines bühnenerfahrenen Chansonniers in ihren Gegensätzen ergänzen sich die beiden gut. Thomas Mehnert gelingt ein scharf umrissenes Charakterbild Eichmanns. Leider steht es beim kompletten Ensemble mit der Textverständlichkeit nicht eben gut; dankbar überrascht nahm das Premierenpublikum hin, dass unvermittelt gegen Ende der Oper Übertitel eingeblendet wurden. Wenn sich das Künstlerteam zum Ziel gesetzt hat, den unkritischen Umgang mit der Figur Wallenberg (und was daran hängt) anzuprangern, dann scheiterte dieses Ziel spätestens beim ungetrübt fröhlichen Schlussapplaus. "Auch wir nehmen in gewissem Sinne mit einer Opern-Abonnementsvorstellung, wie ungern auch immer, an der Holocaust-Disneyworld teil" schreibt der Regisseur den Zuschauern ins Programmheft. Oder anders gesagt: Die Oper weist eindrucksvoll und durchaus sehenswert nach, dass es Opern wie diese gar nicht geben darf.
Thema verfehlt: Die Oper scheitert an ihren eigenen Ansprüchen. Allerdings scheitert sie auf hohem Niveau; und am Ende der Intendanz von John Dew steht sie sinnbildlich für dessen politisches, oft in letzter Konsequenz gescheitertes, aber fast immer anregendes politisches Engagement. In ihren Widersprüchen ist Wallenberg hörens- und sehenswert. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Chor
Solisten
Wallenberg
Wallenberg 2
Mitarbeiter Wallenbergs
Eichmann
Deutscher Offizier, Ronald Reagan
Überlebende
Jae-Seok Lee Hanno Kreft
1.Gast, Jacob Wallenberg
2. Gast, General
3. Gast
Soldat
Diplomaten
Andrea Rieche Karin Robben
Eine Frau
Eine Dame
russische Offiziere
Darius Scheliga
3 Gulag-Häftlinge
Thomas Günzler Georg Kirketerp
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