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Nabucco

Dramma lirico in quattro parti
(Oper in vier Teilen)
Text von Temistocle Solera
nach dem Stück "Nabuchodonosor"
von Auguste Anicet-Bourgeois und Francis Cornu
Musik von Giuseppe Verdi

In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 40' (eine Pause)

Premiere in der Oper Frankfurt am 13. April 2001
Besuchte Aufführung: 20. April 2001


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Oper Frankfurt
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Großer Verdiabend

Von Thomas Tillmann / Fotos von Bettina Strauss


Bereits während der Sinfonia fällt das Auge des Zuschauers auf einen rot illuminierten Würfel mit hebräischen Schriftzeichen, der den jüdischen Tempel und damit das Allerheiligste symbolisiert. Vor ihm hat sich die aufgesetzt unbekümmert wirkende jüdische upper class in dezenter Abendgarderobe zum Sektempfang eingestellt. Er wird im späteren Verlauf auch Mittelpunkt der babylonischen Machtzentrale, in der Abigaille, hingestreckt auf einer Flut überall verstreuter Aktenordner, das ihre Karriere gefährdende Schriftstück aufspürt. Gnadenlos brutal herrscht sie hinfort über die in adrettes gelb und dunkles Blau gewandeten, instrumentalisiert-gleichgeschalteten Babylonier, entreißt sie dem von Beginn an zerrissenen Vater die Krone, dessen papierne Nachbildung der Geläuterte, gestützt auf die am rechten Bühnenrand allen Verfall überdauernden jüdischen Gesetzestexte, am Ende ernüchtert in Stücke reißt.



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Abigaille (Marina Fratarcangeli) zeigt Nabucco (Paolo Gavanelli), wer das Sagen in Babylon hat.

Bettina Giese, künstlerische Produktionsleiterin und Referentin des Intendanten, und ihr Ausstatter Roland Aeschlimann verzichten bei ihrer Annäherung an Verdis seit 80 Jahren in Frankfurt nicht mehr gespielten "Nabucco" auf das historisierend-naturalistische Ambiente aus Pappmaschefelsen und Ischtartornachbildungen aus Styropor, die einem bei den zahllosen Open-air-Produktionen des Werks häufig den Abend verderben. Der in streng geometrischen Formen gehaltene, modern-unterkühlte Bühnenraum (in dem man freilich auch jedes andere Werk spielen könnte) wird beherrscht von riesigen Treppenkonstruktionen und allgegenwärtigen durchsichtigen Vorhängen, die vermutlich auch die Ursache waren für die Verschiebung der Premiere auf Grund "schwerwiegender akustischer Probleme im Probenablauf" vom 3. März auf den 13. April. So ergibt sich eine wohltuende Konzentration auf die handelnden Figuren, deren Befindlichkeiten und Verstrickungen die Regisseurin dank ihrer bestechenden Personenführung, ihrem Sinn für starke Bilder (so bilden die als riesiges Dreieck formierten Hebräer beim berühmten Gefangenenchor die eine Hälfte des Davidsterns) und unter Verzicht auf eine vordergründige Aktualisierung, überflüssige Mätzchen und unmotivierten Aktivismus glänzend und ungemein fesselnd herausarbeitet.

In der besuchten dritten Vorstellung sang zum ersten Mal Philippe Rouillon mit seinem gut ansprechenden, unverbraucht klingenden, legatostarken Heldenbariton den Nabucco; der Franzose erwies sich als sowohl vokal wie szenisch vielschichtig agierender Sängerdarsteller, der neben einem kraftvollen Forte auch feinere Nuancen anzubieten hat, leider dann aber im "Dio di Giuda" leichte Ermüdungserscheinungen erkennen ließ. Die Geister schieden sich an der Leistung von Marina Fratarcangeli in der immens schwierigen, kaum singbaren, auch auf Tonkonserven kaum je wirklich bewältigten Partie der Abigaille. Sicher, die Register des künstlich vergrößerten, eher lauten als wirklich dramatischen Soprans sind nicht gut miteinander verbunden, so dass man mitunter das Gefühl hatte, die Italienerin verfüge gleich über drei Stimmen, von denen die brustige Tiefe und die scharfen, extrem flackernden hohen Töne bisweilen schon eine Pein fürs Ohr waren, die vertrackten Intervallsprünge und die Skalen wurden - anders als die Koloraturen - auch nicht durchgängig sauber ausgeführt, auch den übermäßigen Einsatz des Portamento empfand ich als störend, aber andererseits verdient das schonungslose Sichhineinwerfen in die Rolle der vom Geliebten verstoßenen Sklavin und illegitimen Herrschertochter, die ihre Erniedrigung durch größenwahnsinnige Ambition zu kompensieren sucht, um als Sterbende die Transzendenz der Erlösung zu erflehen, ebenso großen Respekt wie die Sorgfalt in der Textbehandlung und die große Präsenz in den Ensembles.

Vergrößerung Foto rechts:
Die Hebräer (Chor und Extrachor der Oper Frankfurt) flehen ihren Gott an.

Einen großen persönlichen Erfolg ersang sich Ensemblemitglied Magnus Baldvinsson als hier im Kostüm eines orthodoxen Juden mit Hut und Schläfenlocken auftretender Zaccaria, gerade auch weil sein etwas verwittert und aufgerauht, nicht sehr italienisch klingender Baß, der weder in der Höhe noch in der besonders sonoren Tiefe Grenzen zu kennen scheint, hervorragend die Autorität der Figur wiederspiegelt. Jorge Perdigón tat sich als Ismaele vor allem durch die dunkle, warme Mittellage seines sehr "spanisch" klingenden Tenors hervor, der in der mit viel Druck produzierten Höhe deutlich an Farbe und Volumen verliert. Nidia Palacios war mit ihrem schlanken, sauber geführten, aber etwas anonym und bieder klingenden Mezzosopran keine schlechte Fenena, Peter Marsh ein sehr leicht besetzter Abdallo, während Julia Raschke als Anna einige schöne Spitzentöne im letzten Bild beisteuerte und Franz Mayer als Gran Sacerdote eher szenisch präsent war.

Den meisten Applaus erhielt freilich Paolo Carignani, der am Pult des Frankfurter Museumsorchesters ein enormes Gespür für den Aufbau von Spannung, das richtige Timing und eine klar strukturierte, bei aller militärisch-zackigen Wucht stets transparente Werkwiedergabe bewies. Nach sehr gesetztem Beginn bevorzugte er packend-vorwärtsdrängende Tempi, die einige Sänger stellenweise in Schwierigkeiten brachten, ohne dass man auf wunderbar verinnerlichte Momente wie etwa die von den Celli glänzend musizierte Einleitung des Zaccaria-Gebets im zweiten Akt hätte verzichten müssen. Besondere Aufmerksamkeit ließ der Generalmusikdirektor dem auf über 120 Mitglieder verstärkten, von Andrés Máspero betreuten Chor angedeihen, in dessen Reihen er sich dann auch beim Verbeugen konsequent einreihte. Wie aus einer Kehle sangen die zusätzlich noch eine ausgefeilte Choreographie ausführenden Damen und Herren, denen mit dem fast durchgängig im mezzoforte gesungenen, unendlich fein abgestuften, durchdacht phrasierten und mit einer schier endlos gehaltenen Pianissimofermate beendeten "Va pensiero" vielleicht der eigentliche Höhepunkt des Abends gelang, den das begeisterte Auditorium im ausverkauften Opernhaus mit sekundenlangem Schweigen aufnahm - bravi!


FAZIT
Eine moderne, werkdienliche Inszenierung des populären Verdi-Frühwerks, das auch musikalisch auf hohem Niveau umgesetzt wird!


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Paolo Carignani

Inszenierung
Bettina Giese

Bühnenbild und Kostüme
Roland Aeschlimann

Dramaturgie
Norbert Abels

Licht
Olaf Winter

Chor
Andrés Máspero



Chor und Extrachor der
Oper Frankfurt
Statisterie der
Oper Frankfurt
Frankfurter Museumsorchester


Solisten

* Besetzung der rezensierten Aufführung

Nabucco
Paolo Gavanelli
Philippe Rouillon *

Ismael
Jorge Perdigón

Zaccaria
Magnus Baldvinsson

Abigaille
Marina Fratarcangeli *
Simona Baldolini

Fenena
Nidia Palacios

Il Gran Sacerdote
Franz Mayer

Abdallo
Hans-Jürgen Lazar
Peter Marsh *

Anna
Julia Raschke *
Britta Stallmeister



Weitere Informationen
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Oper Frankfurt
(Homepage)










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